Schlechte Nachrichten für den Multilateralismus und die Doha- Runde: Das Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU rückt näher. Bild: Containerterminal im Hamburger Hafen

Anfang Jahr überraschten die USA und die EU die Welt mit ihrer Ankündigung, Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen aufzunehmen. Dass diese Absichtserklärung ernst gemeint ist, zeigte die EU-Kommission bereits Anfang März, als sie  den Entwurf für  ein Verhandlungsmandat verabschiedete. Ein Freihandelsabkommen EU/USA würde nicht nur die grösste Freihandelszone der Welt schaffen, es resultierten für die beiden Partner auch positive  Wohlstandseffekte. Nach Berechnungen  des deutschen Marshall Fund ergäbe sich für die EU eine Zunahme von 190 Mrd. $ oder 1,5% des BIP und für die USA eine solche von 100 Mrd. $ oder 0,9%  des BIP. Diese Zahlen sind zwar ökonomisch nicht vernachlässigbar, aber sie sind doch eher bescheiden, weil die Zolltarife zwischen den beiden Partnern bereits schon relativ tief sind.  Viel wichtiger wären die indirekten, nur schwer messbaren Effekte eines Abbaus der nichttarifären Handelshemmnisse und des grösseren Wirtschafsraums. Denn dieser würde für mehr Wettbewerb sorgen, Skaleneffekte ermöglichen,  die Innovationen fördern und die volkswirtschaftliche Produktivität stärken.

Auch wenn ein Freihandelsabkommen EU/USA angesichts erheblicher Interessenskonflikte (Agrarpolitik, Hormonfleisch, genmanipulierte Lebensmittel, Schutz des geistigen Eigentums usw.) nicht für morgen zu erwarten ist, so ist es doch eine starke Botschaft.  Wie fällt die Bewertung aus multilateraler Sicht aus?

Der Multilateralismus unter Druck

Aus einem Freihandelsabkommen EU/USA könnten die übrigen Länder auch Nutzen ziehen. Es stünde ihnen ein  vielfältigeres Güterangebot zur Verfügung.  Ob damit allerdings das  erhebliche Diskriminierungspotenzial, das ein Freihandelsabkommen EU/USA  gegenüber anderen Handelspartnern  schaffen würde,  kompensiert werden könnte, ist doch eher fraglich. Denn mit jedem neuen bilateralen Freihandelsabkommen  entstehen zusätzliche Hürden, vor allem neue Ursprungsregeln , die den Handel komplizieren und bei den Unternehmen zu zusätzlichen administrativen Kosten führen.

Viel wichtiger ist deshalb die Frage, was mit einem Freihandelsabkommen EU/USA für Signale ausgesendet werden. Darüber gehen die Meinungen auseinander. Die eine Seite ist überzeugt, dass damit ein starkes Zeichen für eine liberale Welthandelsordnung gesetzt würde. Vor allem China würde unter Druck gesetzt, sich endlich den multilateralen Handelsregeln zu unterwerfen.  Auf der andern Seite wird befürchtet, dass  dies als Eingeständnis für das endgültige Scheitern der Doha-Runde der WTO interpretiert werden könnte, was ein harter Schlag für das multilaterale Handelssystem wäre, verschafft dieses doch nicht nur allen  Ländern gleiche Rechte, sondern auch gleiche Chancen, um von der Globalisierung zu profitieren.  Das ist vor allem für die kleinen Länder wichtig. Zudem wäre die Rolle der  WTO  als neutraler Schiedsrichter zwischen streitenden Vertragsparteien möglicherweise in Frage gestellt.

Die Zeichen, dass der Multilateralismus als weltwirtschaftlicher Steuerungs- und Regelmechanismus  möglicherweise den Zenit überschritten hat, mehren sich seit geraumer  Zeit. Die Doha-Runde steckt schon mehrere Jahre in einem Patt divergierender Interessen, und alle Versuche, die G-20 stärker in die Veranwortung für ein multilaterales Handelssystem zu nehmen, verliefen bisher erfolglos. Die IMF-Reformen mit dem Ziel, den aufstrebenden Schwellenländern mehr Gewicht in den Entscheidungsgremien einzuräumen, kommen nur schleppend voran.  Und die BRICS-Staaten( Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika)  sind daran, sich von den Industrieländern durch die Schaffung eigener Gremien stärker abzugrenzen. An ihrer Gipfelkonferenz in Durban haben sie unlängst beschlossen,  eine eigene Entwicklungsbank zu gründen und einen Währungspool zur Abwendung von Währungsrisiken einzurichten.

Die Bemühungen zur Lösung wichtiger weltwirtschaftlicher Fragen  haben sich in letzter Zeit in andere Gruppierungen wie die G-20 oder das Global Stability Forum usw. verlagert, wo die grossen Länder unter sich sind. In Asien läuft zwischen Japan, China, Südkorea und den Asean-Staaten (Asean + 3) schon seit einigen Jahren ein währungspolitischer Kooperationsprozess, der zu einem asiatischen Währungsfonds führen könnte. Gleichzeitig  stricken viele weitere Länder am Netz bilateraler Freihandelsabkommen. Auch für die Schweiz zählt der Abschluss von Freihandelsabkommen mit wichtigen Ländern zu den strategischen Zielen in der Aussenwirtschaftspolitik. Was aus einzelstaatlicher Sicht optimal aussieht, kann aus Sicht eines funktionierenden Multinationalismus aber suboptimal sein.

Das Ende von «One nation – one vote?»

Grundsätzlich kannte die Weltwirtschaft in den letzten 150 Jahren grosso modo vier Ordnungs- bzw. Steuerungsmechanismen:

  1. Der  automatische Regelmechanismus,  wie er vor allem durch den  Goldstandard verkörpert wurde, prägte die Weltwirtschaft  bis zum Ausbruch des 1. Weltkriegs.
  2. Das Hegemonialprinzip , zuerst mit der Dominanz des britischen Weltreiches  Grossbritannien  und dann den USA , wirkte bis weit ins 20. Jahrhundert.
  3. Der Multilateralismus setzte nach dem Ende des 2. Weltkriegs mit der Schaffung der Bretton Woods- Institutionen und des GATT bzw der WTO ein.
  4. Der Supranationalismus  begann vor allem in Europa mit der Entwicklung der EU. Nun macht es den Anschein, als ob der Bilateralismus  und die weltwirtschaftliche Blockbildung wieder stärker Einzug hielten.

Die  Globalisierung dürfte zwar weiter gehen, aber alles deutet darauf hin, dass die Entwicklung  unvorhehrsehbarer,  ungeregelter und verletztlicher  verlaufen wird.