Die Einführung der Berufsmaturität und daran anschliessend der Fachhochschulen war bildungsstrategisch von eminenter Bedeutung für die Schweiz. Ein hochentwickeltes und global aus-gerichtetes Land, dessen Bildungssystem derart prominent auf die duale Berufsbildung setzt – und dies dazu noch äusserst erfolgreich –, musste den vielen Lehrabsolventen konsequenterweise Perspektiven bieten. Hier zeigt sich der Staat grosszügig: Bund und Kantone wenden pro Jahr rund 1,8 Mrd. Fr. (2015) für die Fachhochschulen auf, die Universitäten (inklusive der beiden ETH) lässt sich die öffentliche Hand jährlich 6,5 Mrd. Fr. kosten, hinzu kommen die Mittel des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) – in Höhe von fast 1 Mrd. Fr. (2015). Die Berufslehre als Sackgasse ohne formalisierten Zugang ins Hochschulsystem war gewiss keine erspriessliche Aussicht. Heute werden die Pfade von der Berufslehre in die höhere Bildung – und die gleichzeitig geschaffene Durchlässigkeit in den akademischen Strang (der entgegengesetzte Weg wird seltener eingeschlagen) – auch im Ausland als vorbildlich erachtet.
Fachhochschulen gegen Bildungsvererbung
Trotz den Diskussionen über den zu lockeren Zugang und das angeblich sinkende Niveau der Mittelschulen bleibt es eine Schweizer Eigenart, dass das Gymnasium in breiten Kreisen noch immer als Elitenschmiede verstanden wird, das einer engen Auslese unter den Fähigsten vorbehalten bleiben soll. Das stellt sicher, dass auch die Lehrbetriebe von talentierten Jugendlichen profitieren. Mit einem schweizweiten Maturitätsanteil von gut 20% wird das Bildungspotenzial der Schweizer Jugend aber gewiss nicht ausgeschöpft. Ohne die Fachhochschulen würden wir also Unterinvestition und damit eine Verschwendung von Begabungen betreiben. Die vergleichsweise strenge Selektion ins Gymnasium bringt es auch mit sich, dass die akademische Bildungsvererbung stärker ausgeprägt ist als anderswo, das heisst: werdende Akademiker stammen mit hoher Wahrscheinlichkeit selbst aus einer Akademikerfamilie. Mit der Etablierung der Fachhochschulen zielt diese Kritik aus (eher linken) Bildungszirkeln ins Leere, denn die Studierenden der Fachhochschulen stammen aus allen Teilen der Gesellschaft. Zu ihnen zählen zum Beispiel auffallend viele Secondos aus den Balkanländern, aber ebenso junge Berufsleute aus eher bescheidenen Verhältnissen. Die Fachhochschulen sind mit ihrem Ausbildungsangebot ein essenzieller Teil der integrationspolitischen Erfolgsgeschichte der Schweiz, denn sie eröffnen ambitionierten jungen Menschen mit Migrationshintergrund hervorragende berufliche Perspektiven.
Die Fachhochschulen waren auch eine (allerdings nicht günstige) Antwort auf eine durchaus berechtigte Kritik aus Berufsbildungskreisen: Während der Staat einem Maturanden die Ausbildung bis zum Doktorat fast zur Gänze bezahlt, kommt die Berufslernende für ihre nachobligatorische Bildung im Wesentlichen selbst auf. Sie bezahlt ihre Berufslehre nämlich damit, dass sie im letzten Lehrjahr eigentlich ausgelernt ist und fast voll produktiv im Beruf arbeitet – dafür aber noch den viel tieferen Lehrlingslohn bezieht. Zumindest für die Berufsmaturanden haben die Fachhochschulen also einen berechtigten Ausgleich geschaffen.
Verzettelung der Kräfte statt Fokussierung
Die Schweizer Fachhochschullandschaft ist heute, 20 Jahre nach ihren Anfängen, äusserst divers und vielgestaltig, man könnte fast sagen: unübersichtlich. Ein pauschales Urteil über die Qualität der unzähligen Bildungsgänge und Weiterbildungsangebote (MAS, CAS) ist nicht möglich. Neben Angeboten von fraglicher Qualität gibt es viele Schulen, die, trotz anderer Ausrichtung den Vergleich mit den Universitäten nicht zu scheuen brauchen. Auffallend ist aber, wie gleichmässig und dezentral die tertiären Bildungsstätten übers Land verteilt sind. Nicht weniger als 62 Schweizer Städte sind Hochschulstandorte, darunter auch viele Kleinstädte. Für ein flächenmässig kleines Land mit gut 8 Mio. Einwohnern ist dies eine fast unglaubliche Dichte.
Die Mehrzahl dieser Bildungsstätten gehört zu den Fachhochschulen. Wohlwollend könnte man das zwar als positive Ausprägung des Schweizer Föderalismus beurteilen, die Streuung der Hochschulstandorte hat aber einen entscheidenden Nachteil: die Verzettelung der Kräfte. Das betrifft einerseits die Kosten, denn es können so kaum Skalen- und Verbundvorteile entstehen. Viel entscheidender ist aber, dass die Schweiz damit ihre Position im internationalen Bildungswettbewerb schwächt. Die starke Fragmentierung erschwert oder verunmöglicht das Entstehen von international führenden Bildungs- und Forschungszentren. Dass auch Fachhochschulen international sehr erfolgreich sein können, zeigt das Beispiel der auf Elektrotechnik und Informatik spezialisierten Hochschule München, die von Personalverantwortlichen wiederholt auf Spitzenränge in den einschlägigen Rankings gewählt wurde. Das Argument der Verzettelung betrifft also nicht nur die Universitäten, auch die Fachhochschulen sind zunehmend international vernetzt und wetteifern mit ausländischen Konkurrenten um die begehrten Talente, seien sie Studierende oder Dozierende. Auf vielen Gebieten wird Spitzenforschung anspruchsvoller und aufwendiger, die kritische Masse der Mittel steigt. Viele Länder intensivieren ihre Anstrengungen in der Tertiärbildung und holen auf. Öffentliche Bildungs- und Forschungsmittel stehen in Konkurrenz mit anderen Staatsaufgaben und sind nicht – wie gern suggeriert wird – einfach im Überfluss vorhanden. Aus all dem folgt: will die Schweiz ihre Position halten oder ausbauen, wird sie nicht darum herumkommen, ihre Kräfte auf dem Wissens- und Forschungsplatz mehr als bisher zu bündeln. Sie sollte sich darum viel mehr als ein Hochschulraum im internationalen Konzert verstehen und ihre Bildungspolitik auf Tertiärstufe entsprechend ausrichten.
Mehr Bildungs- statt regionalpolitischer Wettbewerb
Wie könnte eine solche Bildungspolitik aussehen? Die Antwort ist im Grunde einfach. Um einen international ausstrahlenden Schweizer Hochschulraum zu schaffen, bräuchte es vor allem eines: echten Wettbewerb im Innern. Zwar stehen die helvetischen Hochschulen durchaus im Wettbewerb untereinander, dieser Wettbewerb ist heute aber in erster Linie ein (regional)politischer. Die Bildungsinstitutionen verstehen ihn als Werben um die öffentliche Aufmerksamkeit und letztlich um öffentliche Gelder. Die Kantone ihrerseits fassen Bildungspolitik primär als Standort- und Regionalpolitik auf. Investiert ein Nachbarkanton in den Ausbau, wird das eigene Nachziehen schnell zum Thema. Kantone ausserhalb der Wachstumszentren sehen in den Fachhochschulen nicht zuletzt eine willkommene Aufbesserung ihrer Standortgunst. Wenn es um die Bundesgelder geht – die Eidgenossenschaft zahlt mit der Botschaft über die Förderung von «Bildung, Forschung und Innovation» (BFI) immerhin 30% der Fachhochschulen und Universitäten –, treten Hochschulen hingegen zusammen auf, um sodann den von den eidgenössischen Räten gesprochenen Kreditrahmen freundeidgenössisch unter sich aufzuteilen. Letztlich entsteht so die oben beschriebene Verzettelung der Kräfte.
Mehr Exzellenz durch mehr Autonomie
Um einen wirksamen Wettbewerb herzustellen, der zur nötigen Konzentration der Mittel führt, müssen die Hochschulinstitutionen aus der politischen Einflussnahme befreit werden. Gefragt ist also nicht ein zentraler Masterplan für den Hochschulraum Schweiz, sondern im Gegenteil die weitgehende Entpolitisierung der Bildungspolitik. Bund und Trägerkantone sollten sich dafür ein Stück weit aus der Finanzierung der Hochschulbildung zurückziehen. Im Gegenzug sollten die Trägerschaften verbreitert und die Autonomie gestärkt werden. Autonomere Hochschulen und Institute können und müssen mehr private Mittel akquirieren. Dies betrifft sowohl die Anpassung der Studiengebühren als auch private Zuwendungen und Fördergelder. Gleichzeitig entsteht der willkommene Anreiz, sich über Zusammenarbeit mit den anderen Hochschulen Gedanken zu machen. Grundlage dafür ist, sich über die eigenen Stärken und Schwächen, über Chancen und Risiken Klarheit zu verschaffen, so wie dies private Unternehmen tun. Dies könnte bei den Universitäten durchaus in eine Abkehr vom heute vorherrschenden, aber teuren Modell der Volluniversität münden. Für die Fachschulen könnte es bedeuten, dass sich die vielen Standorte mehr spezialisieren oder sehr kleine Standorte zusammengelegt werden.
Ein noch konsequenterer Weg, diese Entwicklung herbeizuführen, wäre der Übergang von der heutigen Anbieterfinanzierung zur Nutzerfinanzierung, idealerweise über ein allgemeines Bildungskonto. Auf diesem wird jedem Studierenden ein Betrag gutgeschrieben, den er für Studienangebote von (akkreditierten) Anbietern einsetzen kann. Auf diese Weise müssten sich die Hochschulen vollständig über Studiengebühren aus den individuellen Bildungskontos und von ausländischen Studierenden sowie über weitere private Mittel finanzieren. Der Antrieb zur Spezialisierung und Fokussierung wäre grösser, schliesslich entstünde daraus Exzellenz in der Hochschulbildung. Mit diesem mutigen Schritt könnte die Schweiz auch zu einem wichtigen weltweiten Bildungsexporteur werden und neue Wertschöpfungsquellen erschliessen. Die Voraussetzungen dafür hätte sie eigentlich.
Podcast zum Thema: Patrik Schellenbauer über die Zukunft des Schweizer Bildungssystems
Dieser Text ist in der Zeitschrift «Schweizer Monat», Ausgabe Februar 2017, erschienen. Wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.