Eine viel diskutierte Lösung ist die Erhöhung des Frauenrentenalters. Gewerkschaften und Linke behaupten, die AHV solle damit auf dem Rücken der Frauen stabilisiert werden. Doch bevor man sich darüber streitet, in welchen Bereichen die Gleichstellung von Mann und Frau noch nicht verwirklicht sei, lohnt es sich, die nackten Fakten auszubreiten.

Da ist zuerst die Lebenserwartung: Sie liegt bei 65-jährigen Frauen drei Jahre höher als bei gleichaltrigen Männern. Rein versicherungsmathematisch würde daraus folgen, dass Frauen länger arbeiten müssten als Männer. Zudem beziehen Frauen 57 Prozent der AHV-Renten, zahlen aber nur 33 Prozent der Beiträge. Und als Witwen sind sie gegenüber den Witwern bevorzugt: Mütter erhalten 97 Prozent der Witwenrenten. Nur hinterbliebene Väter mit schulpflichtigen Kindern werden unterstützt.

Die überproportionale Absicherung der Frauen basiert auf einem Gesellschaftsmodell aus den 1950er Jahren. Paternalistisch war auch die Reduktion des Frauenrentenalters von 65 auf 63 Jahre im Jahr 1957, wie ein Auszug aus der Botschaft des Bundesrates zur 4. Revision der AHV zeigt: «Physiologisch betrachtet ist die Frau vielfach trotz ihrer höheren Lebenserwartung dem Mann gegenüber im Nachteil.» Wer jedoch gleiche Rechte einfordert, hat eine stärkere Verhandlungsposition, wenn er oder sie gleiche Pflichten akzeptiert.

Die Altersvorsorge orientiert sich an einer weitgehend überholten Rollenaufteilung. Hausfrau in den 1970er Jahren. (ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv)

Sind die Frauen in der AHV besser gestellt als die Männer, gilt bei der beruflichen Vorsorge (BVG) oft das Gegenteil: Zwar existiert kaum ein Gefälle zwischen den Renten von ledigen Frauen und ledigen Männern. Die Renten von verheirateten Frauen hingegen liegen rund 75 Prozent unter denjenigen von verheirateten Männern. Dafür verantwortlich ist die Orientierung der Vorsorge an einer traditionellen Rollenaufteilung.

Jahrzehntelang zogen sich Frauen nach der Geburt ihres ersten Kindes – zumindest vorübergehend oder teilweise – vom Arbeitsmarkt zurück. Die Einkommen jener Mütter, die weiterhin berufstätig waren, wurden als Einkommenszuschläge betrachtet – als Bonus für das Familienbudget. Frauen entscheiden sich oft für Teilzeitarbeitsplätze, die mehr Flexibilität erlauben, aber schlechter entlöhnt werden. Entsprechend mager entwickelten sich die Pensionskassenvermögen der Frauen. Dies umso mehr, als BVG-Beiträge nur auf einen Teil des Lohnes ab gerechnet werden.

Noch immer sind Frauen öfter Teilzeit angestellt als Männer (59 Prozent gegenüber 18 Prozent), die Tendenz ist aber für beide Geschlechter steigend. Frauen sind auch deutlich häufiger parallel bei mehreren Arbeitgebern gleichzeitig angestellt. Das bei der Rentenberechnung angewandte System führt dazu, dass Teilzeitbeschäftigte und Mehrfachbeschäftigte in der obligatorischen beruflichen Vorsorge benachteiligt sind – unabhängig vom Geschlecht.

Wer sich für Gleichstellung ebenso wie für eine nachhaltige Sanierung der AHV einsetzen will, wäre mit einer doppelten Strategie gut beraten: Zustimmung zu einer leichten Anhebung des Frauenrentenalters im Gegenzug zu einer Verbesserung der Rahmenbedingungen in der beruflichen Vorsorge – etwa durch die Abschaffung des sogenannten Koordinationsabzuges, der zur Benachteiligung der Teilzeitbeschäftigten führt. So liesse sich vermeiden, eine Ungleichstellung durch eine andere zu ersetzen.

Dieser Text ist im «Tages-Anzeiger» vom 17. August 2019 erschienen.