Tamedia: Herr Dümmler, gibt es in der Schweiz vergoldete Bauernhöfe? Der designierte SVP-Präsident Marcel Dettling hat sich letzte Woche über diesen Begriff aufgeregt. Zu Recht?

Patrick Dümmler: Dies war eine mediale Zuspitzung. Gerade ein SVP-Politiker müsste sich solches gewohnt sein. Es gibt tatsächlich Betriebe, die von Direktzahlungen übermässig profitieren, und es gibt Höfe, die trotz zusätzlichen Subventionen arm bleiben. Die Spannbreite ist riesig und meines Erachtens unhaltbar.

Wie sollte denn das System der Direktzahlungen in Zukunft aussehen?

Viele grosse Betriebe im Mittelland produzieren heute schon industriell und wären wohl auch mit weniger Direktzahlungen wettbewerbsfähig. Demgegenüber können sich kleinere Betriebe in den Bergregionen kaum über Wasser halten, trotz Subventionen. Der Bund könnte die Gelder also neu verteilen. In erster Linie sollte er das Einkommen jener Höfe absichern, die schwierige Rahmenbedingungen haben, etwa jene in den Bergregionen aufgrund der Topografie.

Die Kleinbauern-Vereinigung will die Direktzahlungen neu deckeln, und zwar bei 150’000 Franken pro Betrieb. Einverstanden?

Eine stärkere Abstufung könnte sinnvoll sein. Die Bauern sollten für jede zusätzliche Hektare weniger Geld erhalten als für die vorhergehende. Müsste der Bund neu festlegen, wofür die Landwirte Geld erhalten? Idealerweise sollte er vor allem die Produktion öffentlicher Güter, wie die Pflege der Landschaft oder den Schutz der Biodiversität, finanziell mit Steuergeldern abgelten. Wenn es um die Produktion von Lebensmitteln geht, sollte er den Markt mehr spielen lassen.

Denken die Bauern zu wenig marktwirtschaftlich?

Heute orientieren sie sich stark am Subventionskatalog: Sie produzieren das, wofür sie Geld erhalten. Aber wir sollten die gesamte Wertschöpfungskette betrachten, etwa bei den Zuckerrüben.

Warum wird ihr Anbau so stark gefördert?

Der Bund will damit auch das Überleben der zwei Zuckerfabriken in der Schweiz sichern. Weltweit gibt es genügend Zucker, es ergibt kaum Sinn, Infrastrukturen so künstlich aufrechtzuerhalten.

Es geht hier doch auch um Versorgungssicherheit.

Genau. Doch Versorgungssicherheit bedeutet, möglichst viele verschiedene Bezugsquellen zu haben, aus dem In- und Ausland. Aber der Bund konzentriert sich zu stark auf die Selbstversorgung. Er bremst damit auch das Entstehen von Innovationen.

Können Sie uns ein Beispiel geben?

Der Subventionskatalog richtet sich nach der Politik, nicht nach dem Markt. Zuckerrübenpflanzer erhalten Geld, Blaubeer-Farmer nicht. Dies verzerrt die Anreize für die Bauern. Kommt hinzu, dass das Bundesamt für Gesundheit gegen zu viel Zuckerkonsum ankämpft. Die Steuerzahlenden begleichen die Rechnung.

Es gibt doch schon viele innovative Landwirte.

Ja, aber noch zu wenige. Vor ein paar Wochen war ich mit unseren Kindern auf einem der Höfe der Jucker Farm, die ein breites Angebot haben und einen Erlebnishof anbieten.

Die Agrarpolitik erstickt bäuerliche Innovation im Keim. (Adobe Stock)

Wäre denn die Jucker Farm ein Businessmodell für alle anderen Bauernhöfe?

Nein. Jeder Hof sollte selbst herausfinden, wo sich ihm eine Nische für zusätzliches Einkommen bietet. Doch unsere Agrarpolitik erstickt innovative Ideen oft im Keim. Aus unternehmerischer Sicht verhindert sie vieles und ermöglicht wenig.

Der Bauernverband dürfte das nicht gerne hören.

Mit dem muss ich leben. Meine Erfahrung ist: Wer das System von aussen kritisiert, dem spricht man sofort die Legitimation ab.

Viele Bauern beklagen sich über mangelnde Wertschätzung – vielleicht auch wegen solcher Kritik.

Ich denke, das Image der Bauern ist in der Schweiz grundsätzlich gut. Das hat auch damit zu tun, dass die landwirtschaftlichen Verbände in ihrer Werbung ein traditionelles Bild des Bauernstandes vermitteln.

Und trotzdem protestieren die Schweizer Bauern in diesen Wochen.

Die Protestführer zeichnen das Bild der armen Bauernfamilien. Doch das ist nur ein Teil der Realität. Vielen Bauern läuft es blendend. Ich sehe Parallelen zum Abstimmungskampf zur 13. AHV-Rente: Da stellte die linke Seite auch jene Rentner ins Scheinwerferlicht, denen es tatsächlich nicht gut geht. Und verschwieg, dass es der Mehrheit der Rentner noch nie so gut gegangen ist wie heute.

Aber die Löhne der Landwirtschaft liegen mit durchschnittlich 17 Franken pro Stunde mehrheitlich unter jenen der übrigen Wirtschaft.

Diese Rechnung ist nicht vollständig. Vom gesamten Hofeinkommen stammen durchschnittlich nur etwa 70 Prozent aus der Landwirtschaft, 30 Prozent aus Nebeneinkünften wie etwa dem Agritourismus. Das so erzielte Gesamteinkommen erreichte 2021 pro Hof über 111’000 Franken – der bisherige Höchstwert; die Abnahme 2022 war mit rund 700 Franken gesehen marginal. Doch das wird von der Bauernlobby gerne verschwiegen. Den Bauern ist es in den letzten zehn, fünfzehn Jahren sehr gut ergangen. Ich frage mich schon, weshalb genau sie nun protestieren.

Ihre Vermutung?

Sie sind verunsichert, weil sie nicht wissen, wie es mit der Agrarpolitik weitergeht. Und sie wollen finanzielle Kürzungen abwehren. Der Schweizer Bauernverband ist Treiber dieser Strukturerhaltung. Seine Vertreter in Bern erzählen immer dasselbe: Die öffentlichen Ausgaben für die Schweizer Landwirtschaft stagnieren, und der Anteil am Gesamtbudget des Bundes ist klein. Sparen sei also nicht angezeigt.

Die Landwirtschaft ist ja auch essenziell, sie versorgt uns mit Lebensmitteln und pflegt die Landschaft.

Das ist unbestritten. Was die Bauernlobby aber nicht sagt: Es gibt immer weniger Empfänger der Subventionen. Stichwort: Bauernhofsterben. Pro Hof bleibt also mehr übrig, und das schlägt sich auch in der Statistik nieder. Die Einkommen sind seit 2015 im Durchschnitt um ein Drittel gestiegen – und damit fünfmal stärker, als es bei den Haushalten ausserhalb der Landwirtschaft der Fall war; das zeigen unsere Untersuchungen.

In Teilen der Bevölkerung gibt es einen Groll gegen die Reichen. Sehen Sie eine ähnliche Spaltung im Bauernstand?

Diese Debatte gibt es auch unter Bauern. Das sieht man zum Beispiel, wenn sich der eine Bauer im Tal den dritten oder vierten Traktor anschafft, während der andere Bauer am Hang oben noch immer die zwei alten hat. Dass sich die Kleinbauern zu einer Vereinigung zusammengeschlossen haben, als Gegengewicht zum Bauernverband, zeugt von diesem Spannungsverhältnis.

Ein Spannungsverhältnis gibt es auch zwischen den Bauern und den Verarbeitern sowie Detailhändlern.

Die Bauern beklagen, dass sie für ihre Produkte zu wenig erhalten. Tatsächlich profitieren von den Steuermitteln für die Landwirtschaft letzten Endes längst nicht nur die Bauern. Ein wichtiger Grund für die aktuelle Margenverteilung ist die seit dem Zweiten Weltkrieg praktizierte Agrarpolitik: Sie hat begünstigt, dass zwei starke Grossverteiler entstanden sind, die gleichzeitig die grössten Verarbeiter kontrollieren – und damit die Preispolitik. So etwas gibt es in kaum einem anderen Land.

Wie lässt sich das ändern?

Die gegenwärtige Struktur ist vor allem das Resultat eines rigiden Grenzschutzes, der den Import von landwirtschaftlichen Produkten massiv verteuert. Man müsste also den Grenzschutz abschaffen oder zumindest stark lockern, um mehr Wettbewerb zu schaffen.

Aber dieser Grenzschutz gilt nebst den Direktzahlungen als tragende Säule für die Schweizer Bauern.

Ja, er stützt das bäuerliche Einkommen. Aber dafür gäbe es bessere Möglichkeiten, die auch einem Grossteil der Bevölkerung helfen würden. Die Konsumentinnen und Konsumenten zahlen pro Jahr rund 3 Milliarden Franken zu viel für Lebensmittel, und als Steuerzahler finanzieren sie zusätzlich rund 4 Milliarden Subventionen pro Jahr, die nicht alleine den Bauern zugutekommen, sondern dem gesamten Agrarsystem. Die gleiche Kuh wird zweimal gemolken.

Der Bundesrat will der Landwirtschaft von 2026 bis 2029 rund 13,7 Milliarden Franken geben – 2,5 Prozent weniger im Vergleich zur laufenden Vierjahresperiode. Der Bauernverband will das verhindern.

Klar, der Bauernverband kämpft für die Strukturerhaltung! Es gibt Sparpotenzial, und natürlich sollte man nicht zuerst bei jenen Bauern sparen, die nur zehn Franken pro Stunde verdienen.

Wissenschaftler haben 2020 diverse umweltschädliche Subventionen in der Landwirtschaft identifiziert. Meinen Sie das?

Hier gibt es sicher einen grossen Hebel, ja. Es ist paradox: Auf der einen Seite stärkt der Bund den Umweltschutz, etwa über Beiträge für die Biodiversitätsförderung. Auf der anderen bremst er, etwa indem er den Bauern die Mineralölsteuer auf dem Agrardiesel zurückerstattet.

Beim Bauernverband dringen Sie nicht durch – und bei Agrarminister Guy Parmelin?

Kaum. Die Schweizer Agrarpolitik ist über die Jahrzehnte zu einem bürokratischen und protektionistischen Monster herangewachsen, zum Nachteil der Steuerzahlenden, Konsumierenden, der Umwelt und nicht zuletzt auch zulasten vieler Bauern selbst. Sie braucht daher dringend Reformen. Aber ich sehe keine Anzeichen, dass Bundesrat und Parlament die Aufgabe endlich anpacken, vor allem seit dem Herbst sogar noch mehr Agrarvertreter im Bundesparlament sitzen.

Dieses Interview ist am 16. März 2024 bei Tamedia erschienen und wurde von Stefan Häne und Martin Läubli geführt.