Die Schweizerische Nationalbank muss beim Euro-Kurs eine Untergrenze ankündigen und verteidigen – entschlossen und vor allem unverzüglich: Darin stimmten beim Abendlichen Gespräch von Avenir Suisse zum harten Franken alle Experten überein.
Nie wurde eine Veranstaltung von Avenir Suisse so kurzfristig, nämlich zehn Tage zuvor, angesetzt. Und nie war ein Abendliches Gespräch so schnell, innert zwei Stunden, ausgebucht. Gerhard Schwarz, Direktor von Avenir Suisse, erwähnte es bei der Begrüssung, um die Brisanz des Themas zu betonen. Schon im Februar dieses Jahres, bei einem Euro-Kurs von 1.30 Franken, gab Avenir Suisse das Discussion Paper «Der harte Franken» heraus und führte dazu ein Abendliches Gespräch mit SNB-Vizepräsident Thomas Jordan und Privatdozent Tobias Straumann durch. Die Publikation löste damals noch kein grosses Echo aus; diesmal aber bewies das hochkarätige Publikum, wie drängend das Problem ist.
Der Ernstfall ist eingetreten
«In den Sommerferien entwickelte sich die Lage dramatisch», erklärte Alois Bischofberger, der zusammen mit Rudolf Walser und Boris Zürcher das Papier von Avenir Suisse verfasst hat. Im Februar sahen die Autoren noch keinen Anlass, dass die Nationalbank von ihrer eigenständigen Geldpolitik abwich. Sie sagten aber bereits da voraus, die SNB könnte sich bei stärkeren Verwerfungen gezwungen sehen, temporär ein Wechselkursziel vorzugeben. Dieser Fall ist für die Experten von Avenir Suisse eingetreten, da vor allem wegen Produktionsauslagerungen und Beschäftigungsabbau schwerer Schaden für die Schweizer Volkswirtschaft droht. Schon vor zwei Wochen wäre der Zeitpunkt günstig gewesen, um eine Untergrenze für den Euro-Kurs festzulegen; stattdessen blähte die Nationalbank mehrfach die Geldmenge auf und warnte die Spekulanten mit markigen Ankündigungen. «Es ist schön, dass Worte so wirkungsvoll sein können», meinte Bischofberger angesichts des kurzzeitigen Anstiegs des Euro-Kurses um 15 Prozent. «Wir bezweifeln aber, dass sich so eine nachhaltige Verbesserung erzielen lässt.»
Die Nationalbank machte Fehler
Am meisten nachhaltigen Erfolg verspricht das Ankündigen und Verteidigen einer Untergrenze für den Euro-Kurs. Darin stimmten die Experten beim anschliessenden Podiumsgespräch überein: der emeritierte Basler Professor Peter Bernholz, den Gerhard Schwarz als «Altmeister der monetären Ökonomie» vorstellte, der Basler Professor Peter Kugler und der Zürcher Privatdozent Tobias Straumann. Der Zeitpunkt für diese weitreichende Massnahme sei erst in den letzten Wochen gekommen, betonte auch Bernholz. Er kritisierte die Interventionen im Frühling 2010 scharf. Die Nationalbank habe 1. zu früh eingegriffen, als der Franken noch kaum ungewöhnlich überbewertet war, 2. kein Ziel für den Wechselkurs angegeben, 3. nicht mit einer unbegrenzten Intervention gedroht und 4. die anschwellende Geldmenge aus Angst vor Inflation gleich wieder abgeschöpft: «Da sind wirklich Fehler gemacht worden, die mich etwas überrascht haben.»
Günstiger Zeitpunkt schon verpasst?
Diesmal habe die Nationalbank mit ihrer ersten Intervention «den genau richtigen Zeitpunkt erwischt», lobte sie Straumann: «Im Gespräch mit Händlern stellte ich fest, dass sich die Erwartungen drehten.» Selbst unter den Spekulanten schien sich die Einsicht durchzusetzen, «dass verrückt ist, wer Franken und Euro eins zu eins tauscht», wie Kugler scherzte. Nach der dritten SNB-Intervention, die nur mehr vom Gleichen brachte und deshalb kontraproduktiv wirkte, zeigte sich Straumann aber ernüchtert: «Ich habe grosse Angst, dass die Nationalbank den günstigen Zeitpunkt verpasst – das Zaudern nagt sofort wieder an ihrer Glaubwürdigkeit.» Es gehe jetzt wirklich um jeden Tag, mahnte der Wirtschaftshistoriker: «Die Zeit läuft.» Auch beim vorzugebenden Ziel zeigten sich die Experten einig. «Die Untergrenze für den Euro-Kurs darf nicht allzu weit vom aktuellen Kurs entfernt liegen», meinte Kugler, «1.40 liegt nicht drin.» Die Nationalbank könne aber einen Wert zwischen 1.15 und 1.20, vielleicht sogar 1.25 vorgeben, betonten alle Experten – und sie müsse klarmachen, dass der Euro-Kurs nicht darunter sinken dürfe.
Unschweizerische Inflation droht
Wenn die Nationalbank die Märkte von ihrem Willen überzeugen will, eine Untergrenze zu verteidigen, darf sie allerdings eine Geldschwemme, also drohende Inflation nicht fürchten. Die Experten sahen da keine Gefahr. «Wir werden Inflation nicht vermeiden können», sagte Kugler. Auf die Intervention von 1978, als die Nationalbank in einer ähnlichen Notlage erfolgreich eine Untergrenze für den Kurs der D-Mark festlegte, folgten Anfang der Achtzigerjahre, verstärkt durch den zweiten Ölpreisschock, eine Inflation und die Rezession von 1982/83. Kugler sah zwar «unschweizerische 2 bis 3 Prozent Inflation» voraus, aber keine höheren, gefährlichen Werte. Die anderen Podiumsteilnehmer stimmten ihm zu. Ohne die Inflationsdrohung liessen sich die Erwartungen der Märkte gar nicht brechen, betonte Bernholz. Die Nationalbank müsse aber die monetäre Basis zum richtigen Zeitpunkt wieder auf das Normalmass zurücknehmen – auch gegen allfälligen Druck der Politik.
Aktien und Immobilien im Ausland kaufen
Eine unbeschränkte Intervention der Nationalbank müsse nicht nur bedeuten, «dass sie noch mehr Schrott-Euro kauft», witzelte Kugler. Er schlug vor, die SNB solle im Ausland statt Staatsanleihen auch Aktien oder Immobilien erwerben, das erlaube das neue Gesetz. Kugler wies darauf hin, dass auch das Nettovermögen von rund 800 Mrd. Franken, das die Schweizer im Ausland halten, unter der Aufwertung des Frankens leidet: Angesichts des Buchverlustes in dreistelliger Milliardenhöhe erschienen auch die Milliardeneinbussen, die die Nationalbank bei ihren Interventionen im letzten Jahr erlitt, nicht mehr so dramatisch. Wegen des Schadens, der der Schweiz droht, beim Auslandvermögen und vor allem am Werkplatz, muss die Nationalbank gemäss allen Experten handeln – entschlossen und unverzüglich.