Der Bundesrat hat das UVEK beauftragt, die Möglichkeit von Pilotversuchen für Mobility Pricing zu prüfen und dem Bundesrat über die Ergebnisse dieser Abklärungen Bericht zu erstatten. Avenir Suisse hat nun ein eigenes Konzept erarbeitet, bei dem die Versuchsteilnehmenden über ausgewählte Arbeitgeber rekrutiert werden. Zu den Vorteilen dieses Ansatzes zählt die Integration flexibler Arbeitszeitmodelle, welche die Nachfrageelastizität – einer der zentralen Erfolgsfaktoren für das Mobility Pricing – erhöhen. Das Modell würde zudem einen kontrollierteren Versuchsaufbau ermöglichen und umfassende Mobilitätsdaten liefern.

Am 30. Juni 2016 verabschiedete der Bundesrat seinen Konzeptbericht zum Mobility Pricing und beauftragte das UVEK, gemeinsam mit interessierten Kantonen und Gemeinden, die Möglichkeit von Pilotprojekten zu prüfen. Die Modellvorhaben sollten räumlich begrenzt und verkehrsträgerübergreifend sein sowie eine streckenabhängige Tarifstruktur beinhalten. Solche Tests würden ein befristetes Bundesgesetz voraussetzen.

Herausforderung regionale Abgrenzung

Eine grundsätzliche Schwierigkeit bei regionalen Pilotprojekten wäre die räumliche Abgrenzung der Sondertarifzone auf Strasse und Schiene. Viele Verkehrsflüsse sind überregional, und für solche Fahrten müsste der Streckenabschnitt im Versuchsperimeter separat berechnet werden. Dafür müssten im Strassenverkehr (Video-)Mautstellen an den Zufahrtsstrassen errichtet werden. Im ÖV müssten Billettautomaten und -schalter weit über die Testregion hinaus die Sondertarife beim Billettverkauf mit berücksichtigen. Zudem haben viele ÖV-Nutzer landesweit gültige Abonnements, und so müssten etwa GA-Nutzer für die Sondertarifzone separate Tickets lösen. Die Abgrenzung der Testregion wirft somit komplexe technische, organisatorische und juristische Fragen auf.

Der Vorschlag von Avenir Suisse:

Avenir Suisse schlägt vor, Pilotversuche für Mobility Pricing mit ausgewählten Arbeitgebern durchzuführen. (Fotolia)

Belegschaft ausgewählter Arbeitgeber als Testgruppe

Um die Abgrenzungsprobleme einer regionalen Sondertarifstruktur zu umgehen, schlägt Avenir Suisse vor, Pilotversuche mit ausgewählten Arbeitgebern durchzuführen, für deren Mitarbeitenden ein Sondertarif räumlich unbegrenzt, aber dafür «virtuell» eingerichtet wird. Potenzielle Test-Arbeitgeber wären sowohl Institutionen, die landesweit Mitarbeitende haben (z.B. die Bundesbehörden oder die Swisscom) oder solche mit viel Personal an einem verkehrstechnisch neuralgischen Ort. In Frage kämen beispielsweise: die Bundesämter in Bern, die öffentliche Verwaltung des Kantons und der Stadt Genf, der Uni-Cluster in der Stadt Zürich (ETH/Universität/Unispital Zürich) mit Mitarbeitenden und Studierenden oder etwa grosse Pharma-/ Chemiefirmen im Raum Basel.

Erhebung persönlicher Mobilitätsdaten

Die beteiligten Mitarbeitenden würden einen Mobilitäts-Tracker (ein Art Fitnessarmband zum Sammeln von Daten) und einen spezielle Mobilitäts-App für ihr Smartphone (zur Optimierung ihrer Mobilität im Rahmen der zur testenden Tarifstruktur) erhalten. Die Mitarbeitenden würden dann nach dem Zufallsprinzip unterteilt in eine Kontrollgruppe (die im Rahmen der bestehenden Tarifstrukturen mobil ist) und eine Testgruppe (im Rahmen einer variablen Tarifstruktur und damit verbundenen finanziellen Anreizen für optimiertes Mobilitätsverhalten).

Virtuelles Sondertarifsystem

Das Sondertarifsystem könnte wie folgt «konstruiert» werden: In einer ersten Stufe würden die Anreize des bestehenden Tarifsystems neutralisiert, indem die Testgruppe ein kostenloses GA erhielten und die Fixkosten für ihr Auto erstattet bekäme. (Die ohnehin fahrleistungsabhängigen Benzinkosten werden ins virtuelle Tarifsystem integriert.) In einer zweiten Stufe erhielten Teilnehmende auf Basis des variablen Tarifmodells wöchentliche Abrechnungen der tatsächlich von ihnen konsumierten Mobilität.

Auswahl der Probanden

Mitarbeitende würden auf freiwilliger Basis für den Test rekrutiert, aber sie bekämen einen Anreiz teilzunehmen (z.B. durch zusätzliche Urlaubstage oder einen SBB-Gutschein nach Abschluss des Versuchs). Dies birgt jedoch die Gefahr verzerrter Studienergebnisse durch die «Selbstselektion» der Probanden. So könnten etwas vor allem jene teilnehmen, die sich aufgrund ihrer spezifischen Mobilitätsbedürfnissen geringere Kosten durch ein Mobility Pricing erhoffen. Einer solchen Selbstselektion gilt es mit einem geeigneten Versuchsaufbau entgegenzuwirken. So könnte man beispielsweise Teilnehmende, deren Mobilitätskosten durch den Pilotversuch steigen, die Differenz mit einer Zeitverzögerung von ein bis zwei Jahren zurückerstatten. Zudem sollten unter den Freiwilligen solche Probanden ausgewählt werden, die hinsichtlich ihres sozioökonomischen Profils und ihres Mobilitätsverhaltens den Verteilungsmustern in der Allgemeinbevölkerung entsprechen. Die Personalabteilungen der teilnehmenden Firmen dürften über die meisten dafür notwendigen Daten verfügen.

Einbezug flexibler Arbeitszeitmodelle in die Pilotversuche

Ein entscheidender Grund für die relativ geringe Nachfrageelastizität zu Stosszeiten sind fixe Arbeits- und Unterrichtszeiten. Je flexibler diese sind, desto wirkungsvoller ist das Mobility Pricing. Die Umsetzung der Pilotprojekte über den Arbeitgeber (statt über eine Testregion) würde es ermöglichen, flexible Arbeitszeitmodelle in den Testaufbau zu integrieren. Denkbar wäre auch eine Unterteilung der Testteilnehmenden in zwei Versuchsgruppen, von der eine nur dem Sondertarifsystem ausgesetzt wird und die andere zusätzlich einem flexiblen Arbeitsmodell. Ein solch erweiterter Versuchsaufbau würde es ermöglichen, die Wirkung flexibler Arbeitszeiten auf das Mobilitätsverhalten, aber auch auf die Produktivität oder Mitarbeiterzufriedenheit zu analysieren. Die damit verbundenen Demonstrationseffekte könnten bei der Verbreitung von Best Practice helfen und andere Firmen dazu motivieren, flexible Arbeitszeitmodelle einzuführen. Vor allem aber würde man so auf die wohl wichtigste Kritik am Mobility Pricing eingehen, nämlich dass Pendler wegen Präsenzzeiten bei der Arbeit nicht die nötige Flexibilität haben, um Stosszeiten zu meiden.

Vorzüge des Avenir-Suisse-Konzepts

Der hier skizzierte Versuchsaufbau hätte mehrere Vorteile:

  • Durch die Unterteilung der Mitarbeitenden in mehrere Teilgruppen liessen sich gleichzeitig unterschiedliche Tarifmodelle und entsprechende Nachfrageelastizitäten gezielt testen.
  • Die Wahl eines landesweit operierenden Arbeitsgebers würde eine nach Teilräumen differenzierte Auswertung ermöglichen (z.B. Städte, Agglomerationen, ländlicher Raum).
  • Die Ausstattung der Mitarbeitenden mit Mobilitäts-Trackern würde das Sammeln umfassender Mobilitätsdaten ermöglichen und somit eine detaillierte Analyse des Mobilitätsverhaltens.
  • Da die Teilnahme für Arbeitgeber und Mitarbeitende freiwillig wäre, bräuchte man für solche Pilotversuche kein Bundesgesetz und die politischen Widerstände wären deutlich geringer.
  • Durch Einbezug von flexiblen Arbeitszeitmodellen in den Versuchsaufbau würde ein zentraler Einwand gegen das Mobility Pricing («Pendlerstrafe») wirksam entkräftet. Ein Nachteil eines «virtuellen» Mobility Pricing, das nur für die Mitarbeitenden ausgewählter Firmen/Institutionen gilt ist die Tatsache, dass im realen Verkehrssystem kaum sichtbaren Effekte hinsichtlich Staureduktion nachweisbar sein werden. Dies mindert die Wirkung des Demonstrationseffektes.

Fazit

Die Konstruktion «virtueller» Tarifsysteme für die Mitarbeitenden ausgewählter Arbeitgeber wäre eine Möglichkeit, das Abgrenzungsproblem von regionalen Pilotprojekten im Mobility Pricing zu lösen. Darüber hinaus würde es die Tests unterschiedlicher Tarifsysteme und Variablen ermöglichen, über eine Kontrollgruppe die Genauigkeit und Robustheit der Ergebnisse gewährleisten und die detaillierte Auswertung von Mobilitätsdaten ermöglichen. Die Freiwilligkeit der Teilnahme würde ein Bundesgesetz überflüssig machen und die Akzeptanz der Betroffenen erhöhen. Durch die Integration flexibler Arbeitszeitmodelle in den Testaufbau liesse sich die Nachfrageelastizität erhöhen (d.h. die Wirkung der variablen Tarife) und einer der wichtigsten Kritikpunkte am Mobility Pricing entkräften.

Dieser Beitrag ist in der Zeitschrift «Strasse und Verkehr» Nr. 6 vom Juni 2017 erschienen.
Die NZZ zum Vorschlag von Avenir Suisse:
«Mobility-Pricing attraktiver machen».
NZZ-Leserdebatte: «Sollen Mobilitätskosten an den Konsum gekoppelt werden?»