Auch in anderen Ländern Europas werden die Geschicke vieler Grossstädte von links-grünen Regierungen bestimmt. Aber es gibt durchaus Beispiele für bürgerliche, bzw. liberale Stadtpolitik.
Hamburg: In der traditionell sozialdemokratisch regierten Hafenmetropole stellte die CDU unter wechselnden Koalitionen mit Ole von Beust 2001–2010 den Ersten Bürgermeister. Als Spross einer hanseatischen Adelsfamilie und bekennender Homosexueller war er in Deutschland lange Zeit der prominenteste Vertreter einer modernen bürgerlichen Stadtpolitik. Unter anderem entwickelte er eine Vision für die wachsende Stadt und setzte starke städtebauliche Akzente (z.B. Hafen-City, Elbphilharmonie). Er verfolgte eine wirtschaftsfreundliche Standortpolitik, beispielsweise durch den Ausbau des Hafens, die Privatisierung städtischer Betriebe oder die Weitentwicklung wichtiger Branchencluster. Unter seiner Führung verdoppelte die CDU ihren Wähleranteil auf knapp 50% – bis zur Jahrtausendwende ein für Hamburg undenkbares Szenario.
Düsseldorf: Auch die Rheinmetropole Düsseldorf war über lange Zeit bürgerlich regiert. Insbesondere der charismatische CDU-Oberbürgermeister Joachim Erwin (1999 – 2008) prägte die Entwicklung der Stadt nachhaltig. Er trieb die städtebauliche Erneuerung Düsseldorfs voran (z.B. Bau des Medienhafens) und setzte dabei bewusst auf markante Architektur. Ausgeglichene Budgets, hohe Investitionen und eine wirtschaftsfreundliche Standortpolitik schufen die Basis für dynamisches Wachstum in der Rheinmetropole. Mit Privatisierungserlösen von 1,2 Mrd. Euro gelang es Erwin, Düsseldorf als zweite Grossstadt in Deutschland komplett zu entschulden. Dabei verkaufte er gegen den Widerstand der Opposition auch 2007 ein grosses Aktienpaket des Energiekonzerns RWE, das anschliessend in Folge der Energiewende dramatisch an Wert verlor. Mehrere sozialdemokratisch regierte Städte im Ruhrgebiet behielten hingegen ihr vermeintliches «Tafelsilber» in Form von RWE-Anteilen. Heute sitzen sie auf weitgehend wertlosen Aktien und hoher Schuldenlast.
New York: Der progressive Republikaner und gebürtige New Yorker Michael Bloomberg setzte als Bürgermeister besondere Akzente im Bereich der Schulreformen und der städtebaulichen Erneuerung – unter anderem durch die Liberalisierung der restriktiven New Yorker Zonenordnung. Als Selfmade-Milliardär, Philanthrop und visionärer Geschäftsmann vereinigte er Wirtschaftskompetenz, ergebnisorientiertes Management und gesellschaftliches Engagement für seine Heimatstadt. Im Bereich der inneren Sicherheit folgte Bloomberg der erfolgreichen Politik seines Vorgängers Rudy Giuliani, der mit konsequenter Strafverfolgung auf Grundlage der Broken-Window-Theorie die vormals massive Kriminalität in der Ostküstenmetropole zurückgedrängt hatte.
Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus diesen Fallbeispielen für die Schweiz ziehen? Eine bürgerliche Stadtpolitik hätte insbesondere dann eine Chance, wenn glaubwürdige Politikerinnen und Politiker mit einer klaren Agenda für die Stadt antreten, die sie anschliessend mit sichtbaren Projekten und Massnahmen umsetzen. Wichtig sind in dem Zusammenhang städtebauliche Visionen. Glaubwürdigkeit geniessen «Charakterköpfe», die durch ihre Biografie und ihren persönlichen Stil ein urbanes Lebensgefühl verkörpern. Entscheidend scheint aber eine Politikagenda, die das klassische Lagerdenken überwindet und lösungsorientiert Themen angeht, die der Bevölkerung unter den Nägeln brennen.
Zu einer solch hybriden Politikagenda gehören einerseits Elemente, die traditionell eher als Kernkompetenz bürgerlicher Parteien betrachtet werden, wie solide Haushaltspolitik, marktorientierte Wohnungspolitik, unbürokratische und digitalisierte Verwaltungsprozesse, wirtschaftsfreundliche Standortentwicklung oder ein Fokus auf Fragen der inneren Sicherheit. Auf der anderen Seite beinhaltet es Elemente, die traditionell eher mit einer links-grünen Stadtpolitik assoziiert werden, wie Offenheit in gesellschaftspolitischen Fragen (z.B. gleichgeschlechtlichen Ehen), eine velofreundliche Verkehrspolitik und eine städtebauliche Agenda mit starker Gewichtung von Fragen der ökologischen Nachhaltigkeit und der Lebensqualität.
Weiterführende Informationen finden Sie in der Studie «20 Jahre Schweizer Stadtpolitik».