Die Herausforderung durch die Ausbreitung nichtübertragbarer Krankheiten (Non-Communicable Diseases, NCD) sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Atemwegserkrankungen und Diabetes ist weitgehend anerkannt. Allerdings klaffen die Meinungen sowohl über die Ursachen als auch über die zu ergreifenden Massnahmen auseinander. Das zeigt sich in der politischen Arena: Einige fordern drastische Massnahmen zur Regulierung des Konsums von Genussmitteln, während andere die Notwendigkeit jeglicher Intervention relativieren und darauf hinweisen, dass auch andere, nicht mit dem Konsum zusammenhängende Faktoren eine grosse Rolle spielen.

Keine Epidemie von «ungesunden» Produkten

In der Schweiz nehmen Prävalenz und Inzidenz der meisten chronischen Krankheiten zu, mit Ausnahme von Krebs und Hirnschlägen, die seit 1992 mehr oder weniger konstant blieben. Dieser Anstieg ist das Ergebnis einer alternden Gesellschaft, da diese Krankheiten im Alter häufiger auftreten. Paradoxerweise spielt auch der medizinische Fortschritt eine Rolle: Während man früher häufiger an Krebs starb, kann das Überleben einer solchen Krankheit zu Multimorbidität (mehrere Krankheiten gleichzeitig) führen, wodurch die Prävalenzstatistik steigt. Schliesslich steigen in der Schweiz die physiologischen Faktoren, die das Risiko einer chronischen Krankheit erhöhen – etwa Übergewicht, Bluthochdruck und Cholesterin.

Inwiefern hängt die Zunahme chronischer Krankheiten mit den Essgewohnheiten zusammen? In der Schweiz ist kein sprunghafter Anstieg beim Genussmittelkonsum zu beobachten (vgl. Abbildung). Im Gegenteil, der Konsum solcher Produkte nimmt tendenziell ab: 2017 rauchte 28% der Bevölkerung täglich oder gelegentlich. Im Jahr 1992 waren es noch 30%. Dies entspricht einem Rückgang um 0,4 % pro Jahr. Auch der Alkoholkonsum, gemessen in Litern pro Kopf, ist zwischen 1996 und 2019 um 0,7% pro Jahr gesunken. Das gleiche gilt für den Konsum von Zucker, der zwischen 1995 und 2019 um 0,9% pro Jahr schrumpfte.

Beim Salz erschwert die mangelnde Konsistenz der Statistikreihen die Schätzung des Verbrauchs im Zeitverlauf. Es ist jedoch möglich, salzhaltige Lebensmittel wie rotes Fleisch und Käse zur Annäherung heranzuziehen (vgl. Abbildung, rechte Seite). Während der Konsum von Käse (ebenfalls fettreich) zwischen 2000 und 2019 um 0,6% pro Jahr stieg, war der Verbrauch von Milchprodukten insgesamt um 0,9% pro Jahr rückläufig, ebenso derjenige von rotem Fleisch (–0,7% pro Jahr seit 1995). Die einzigen Risikofaktoren, bei denen ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen war, sind pflanzliche Öle und Fette, deren Konsum zwischen 1995 und 2019 um 1,1% pro Jahr zunahm.

So kann der Anstieg nichtübertragbarer Krankheiten nicht nur auf das Essverhalten zurückgeführt werden. Es besteht zwar ein Zusammenhang zwischen übermässigem Zucker– oder Salzkonsum und dem Risiko von Übergewicht, Fettleibigkeit oder zu hohem Blutdruck. Übermässiger Konsum ist aber nicht der einzige Risikofaktor. In einem im Auftrag der britischen Regierung erstellten Bericht wurden mehr als 100 Einflussfaktoren für Fettleibigkeit ermittelt. Hierzu zählen zum Beispiel körperliche Aktivität, das sozioökonomische Umfeld, die Lebens- und Arbeitsbedingungen oder genetische Prädispositionen.

Die Schweizerinnen und Schweizer erfreuen sich im Durchschnitt guter Gesundheit und führen einen gesunden Lebensstil, was sich in der seit Jahren zunehmenden Lebenserwartung spiegelt (mit Ausnahme eines coronabedingten Rückgangs im Jahr 2020). Die Menschen leben nicht nur länger, sondern sie verbringen die gewonnenen Lebensjahre auch bei immer besserer Gesundheit. So steigerte sich die Lebenserwartung bei guter Gesundheit im Alter 65 zwischen 1992 und 2017 um zweieinhalb Jahre.

Moderner Lebensstil schafft neue Herausforderungen

Auch wenn eine NCD-Panik fehl am Platz ist, wäre eine undifferenzierte NCD-Skepsis genauso wenig gerechtfertigt. Die wirtschaftliche Entwicklung und die sich verbessernden Lebensbedingungen der letzten Jahrzehnte haben in unseren Gesellschaften einen grundlegenden epidemiologischen Wandel eingeleitet. Mit dem medizinischen Fortschritt wurden einerseits die übertragbaren Krankheiten zurückgedrängt, was zu einer Reduktion ihres relativen Anteils führte. Im Umkehrschluss sind heute NCD die häufigste Todesursache – in der Schweiz und weltweit.

Anderseits hat die moderne Gesellschaft, die durch häufiges Sitzen und einen Rückgang der täglichen körperlichen Aktivität gekennzeichnet ist, den Kalorienbedarf reduziert. Auch wenn der Konsum von Genussmitteln weitgehend stabil blieb, ist dessen Niveau im Allgemeinen zu hoch, was ein kalorisches Ungleichgewicht zur Folge hat. So liegt der durchschnittliche Zucker- und Salzkonsum in der Schweiz fast doppelt so hoch wie die WHO-Empfehlung.

Mit dem Altern der Bevölkerung wird die Prävalenz von nicht übertragbaren Krankheiten weiter steigen. Auch die Covid-19-Pandemie hat die Probleme im Zusammenhang mit NCD gezeigt. Die meisten schweren Covid-Verläufe, die zu einer Hospitalisierung oder zum Tod führen, treten bei Menschen mit Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes auf – allesamt nichtübertragbare Krankheiten.

Auch wenn der Konsum von Genussmitteln nicht «explodiert», zeigen die beschriebenen Entwicklungen der NCD-Krankheiten, dass ein gezieltes Vorgehen nötig ist. Sinnvoll wäre ein pragmatischer Mittelweg zwischen dem Hyperaktivismus der NCD-Paniker und dem Stillstand der NCD-Skeptiker.

Der Privatsektor hat aufgrund seiner Flexibilität und seiner Kenntnis der Konsumsgewohnheiten eine wesentliche Rolle zu spielen. In der zweiten Folge dieser dreiteiligen Serie untersuchen wir, wie Unternehmen konkret gegen den übermässigen Konsum von «ungesunden» Produkten vorgehen können.

Mehr über den Konsum von «ungesunden» Produkten in der Schweiz, die Inkohärenzen des Staates im Gesundheitswesen, aber auch darüber, wie sich der Privatsektor engagieren kann, um den Konsum dieser Produkte einzuschränken, erfahren Sie in unserer neuen Publikation «Privat vor Staat, auch in der Prävention – Unternehmerische Ansätze sind besser als widersprüchliche Staatseingriffe».