Im Höhepunkt der Covid-19 Pandemie hat der Bundesrat per Verordnung die nicht als dringend angezeigten Untersuchungen, Behandlungen und Therapien (Eingriffe) am 13. März 2020 verboten. Damit wollte er Bettenkapazitäten für Corona-Patienten bereithalten und das Risiko reduzieren, den Virus bei Folgebehandlungen zum Beispiel in Rehakliniken oder bei Physiotherapeuten zu verbreiten.

Dieser Entscheid führte jedoch zu einer paradoxen Situation: Während Intensivstationen nah an ihren Kapazitätsgrenzen liefen, waren andere Departemente der öffentlichen Spitäler und vieler Privatkliniken leer. Das Verbot elektiver Eingriffe hat zu starken Umsatzeinbussen geführt. Diese Situation wurde zudem dadurch erschwert, dass die Kantone gestützt auf Art. 10a der Sonderbestimmungen des Bundesrates private Institutionen gezwungen haben, offen zu bleiben und ihre Infrastruktur als Reserve zu halten. Die Spitäler konnten deshalb ihre variablen Kosten, trotz Eingriffsverbot, kaum reduzieren.

Nachdem die aktiven Corona-Fallzahlen deutlich gesunken waren, durften ab dem 27. April 2020 alle Therapien wieder erbracht werden, stationär wie ambulant. Inwiefern und wie rasch Patienten sich getrauen, die unterlassenen Behandlungen nachzuholen, ist schwer vorauszusagen. In manchen (Universitäts-) Spitälern hat der Operationsbetrieb bereits 80% des Vorkrisenniveaus erreicht. In anderen läuft der Betrieb auf Hochtouren, und es werden pro Tag mehr Patienten als sonst behandelt sowie zusätzliche, spätere Sprechstunden angeboten. In anderen Kliniken geht es harziger voran. Der Spitaldachverband H+ schätzt den coronabedingten finanziellen Schaden auf 1,7 Mrd. bis 2,9 Mrd. Fr. für das ganze Jahr 2020. Davon sind Verluste von 1,5 bis 1,8 Mrd. Fr. allein für die Periode bis Ende April, also bis zur Aufhebung des Eingriffsverbots, zu verzeichnen. Politisch wird bereits heiss diskutiert, wer diese Verluste tragen solle: die (öffentlichen) Spitäler, die Kantone, der Bund, die Krankenversicherer? Eine Auslegeordnung drängt sich auf.

Verlassener Innenhof im Kantonsspital Münsterlingen. (Wikimedia Commons)

Diese Art von Vorhalteleistungen, die Spitäler während der Corona-Krise erbringen mussten, werden in Normalzeiten als sogenannte Gemeinwirtschaftliche Leistungen (GWL) von den Kantonen als Leistungsaufträge vergeben und mit kantonalen Steuermitteln finanziert. Die GWL sind im Krankenversicherungsgesetz geregelt. Ihre Kosten dürfen insbesondere nicht über die DRG-Fallpauschalen abgegolten werden (Art. 49 Abs. 3 KVG). Ein Teil dieser GWL wurden bisher explizit für Epidemievorbereitungen ausbezahlt, z.B. für Vorhalteleistungen bei einzelnen Ebola-Fällen in Universitätsspitälern. Der Umfang solcher GWL war jedoch bescheiden. Auch flossen 97 % aller GWL 2017 öffentlichen Spitälern zu, private Institutionen wurden bei der Vergabe von Vorhalteleistungen kaum berücksichtigt.

Mit der Covid-19-Pandemie betragen die Vorhalteleistungskosten ein Mehrfaches der bisherigen GWL und betreffen sowohl öffentliche wie auch private Spitäler. In Analogie zu den normalen GWL sollte der Staat für solche Vorhalteleistungen aufkommen. Dabei sollte der Staat nur die Kosten der Vorhalteleistungen während der Krise übernehmen, nicht die gesamten Umsatzverluste, die dieses Jahr entstehen. Von solchen Bailout-Regelungen, im Gesundheitssektor wie in anderen Branchen, sollte abgesehen werden. Neben der Analogie zu den GWL schreibt das Epidemiegesetz auch explizit vor, dass die Kantone die Kosten für Massnahmen gegenüber der Bevölkerung oder einzelnen Personen tragen müssen, soweit die Kosten nicht anderweitig gedeckt sind (Art. 71, EpG).

Eine Beteiligung der Krankenversicherer an diesen Kosten, wie von einzelnen Gesundheitsdirektoren gefordert, wäre systemfremd. Die Krankenkassen dürfen laut Gesetz nur effektiv erbrachte Leistungen (mit-) finanzieren. Vorhalteleistungen gehören nicht dazu, es sind auch keine Prämienmittel dafür vorgesehen. Sollten die Krankenversicherer dazu gezwungen werden, Teile der Vorhalteleistungen zu übernehmen, müssten sie dafür ihre Reserven anzapfen. Diese staatlich verordnete Vorgabe käme einer Enteignung der Kassen und ihrer Versicherten gleich.

Offen bleibt allerdings, wie der Staat die Vorhalteleistungen während der Krise abgelten sollte. Pragmatisch könnte man dafür die Ertragsverluste ermitteln, die aufgrund des Verbots geplanter Eingriffe resultieren, indem man sie mit den durchschnittlichen Ergebnissen der Vorjahre vergleicht. Diesen Weg haben schon einzelne Kantone wie Bern oder Graubünden eingeschlagen. Die rasche Klärung dieser Frage würde Planungssicherheit nicht nur für die medizinischen Institutionen, sondern auch für die kantonalen Politiker schaffen.

Für künftige Pandemien oder weitere Wellen wäre es auch sinnvoll, die Aufteilung der Kosten zwischen Bund und Kantonen zu klären. Gerade das Verbot geplanter Eingriffe wurde vom Bund aufgrund seiner Kompetenzen in der ausserordentlichen Lage verordnet. Eine Beteiligung des Bundes für den Ausgleich der finanziellen Konsequenzen dieses Verbots – nach dem Motto «Wer befiehlt, zahlt» – könnte damit begründet werden. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass die Kantone selber bestimmt haben, welche Spitäler für die Sicherung von genügend Bettenkapazitäten betriebsbereit bleiben mussten.

Es darf nicht vergessen werden, dass weder Bund noch Kantone noch Krankenversicherungen schliesslich etwas zahlen. Es sind immer die Bürger, als Steuer- oder Prämienzahler, die die Rechnung begleichen. Umso wichtiger ist es, sich bei solchen emotionalen Verteilungsdebatten nach ordnungspolitischen Grundsätzen zu orientieren. Im Gesundheitsbereich sind die Kantone für die Grundversorgung verantwortlich. Dazu gehört die Sicherstellung von Vorhalteleistungen, in Normal- wie in Krisenzeiten. Folgerichtig müssen die Kantone diese Leistungen finanzieren.

Weiterführende Informationen zum Thema finden Sie in der Studie «Sozialwerke im Corona-Stresstest».