Mit dem D A CH-Reformbarometer messen und vergleichen das Institut der deutschen Wirtschaft Köln, die Wirtschaftskammer Österreich und Avenir Suisse die wirtschaftspolitischen Reformen in den drei Nachbarländern. Mit Ausnahme der Finanzmarktpolitik erzielte die Schweiz in der Periode 2011/12 im Bereich Sozialpolitik den grössten Fortschritt. Bei genauerem Hinsehen präsentiert sich jedoch ein durchzogenes Bild.

Der Teilindex des D A CH-Reformbarometers «Sozialpolitik» legte zwischen Januar 2011 und Dezember 2012 zwar um 3,5 Punkte zu. Der Anstieg war aber vor allem auf das Jahr 2011 beschränkt (siehe Grafik). Seit dem Anfang der neuen Legislaturperiode Ende 2011 ist der Reformelan ist in diesem Bereich vergleichsweise gering. Auch das Niveau des Indexes bleibt mit 99,9 deutlich unter jenem des Gesamtindexes (116,4).

Verantwortlich für den Anstieg im Jahr 2011 waren hauptsächlich die Fortschritte bei der Invalidenversicherung – allerdings drohen diese vom Parlament zum Teil rückgängig gemacht zu werden. So schrumpfte das Volumen der Ausgabenkürzungen von ursprünglich 700 Mio. auf 40 Mio. Fr. in der neuesten Version des Nationalrats.

Auch bei der Gesundheitspolitik weht für Liberalisierungen ein zunehmend rauer Wind. Hier waren die vom Barometer positiv bewerteten Massnahmen bescheiden, wie ein kurzer Rückblick zeigt:

  • September 2011: Der Bundesrat verabschiedet einen Gegenentwurf zur Volksinitiative «Ja zur Hausarztmedizin». Dieser stellt nicht der Hausarzt sondern die Qualität der medizinischen Grundversorgung ins Zentrum, anerkennt jedoch die zentrale Rolle der Generalisten. Die Berücksichtigung aller medizinischen Berufsgruppen zur Gewährleistung der Grundversorgung ist zu begrüssen. Dadurch können integrierte Versorgungsnetze, in denen die medizinischen Leistungen in gegenseitiger Abstimmung zwischen Fachpersonen erbracht werden, (weiterhin) gefördert werden können. Der Reformbarometer legt um 0,8 Punkte zu.
  • Februar 2012: Der Bundesrat legt einen Vorschlag für ein Krankenversicherungsaufsichtsgesetz vor, das größere Befugnisse und Kompetenzen der Aufsichtsbehörde vorsieht. Ein stärkerer Informationsaustausch mit der Finanzmarktaufsicht (FINMA) und eine höhere Transparenz sind Schritte in die richtige Richtung. Hingegen stellen Massnahmen, die die unmittelbare Geschäftstätigkeit (z. B. im Bereich Prämienbestimmung) beeinflussen, einen schleichenden Übergang zu einer Einheitskasse dar. Die Vorlage bewirkte deshalb unter dem Strich keine Veränderung des D A CH-Teilindikators Sozialpolitik.
  • Juni 2012: Das Reformbarometer erfährt nach der Ablehnung der Managed-Care-Vorlage einen Rückschlag. Managed-Care hätte zur Verbesserung der gesetzlichen Rahmenbedingungen von integrierten Versorgungsnetzen geführt.
  • November 2012: Der Bundesrat will den Ärztestopp, das Ende 2011 ausgelaufen war, wieder einführen. Der Wille des Bundesrates, die Kosten im Gesundheitswesen sofort einzuschränken ist löblich. Der Vorschlag des Bundesrats, der erst kürzlich vom Nationalrat – wenn auch mit Einschränkungen – bestätigt wurde, wärmte allerdings die alte, unbefriedigende Lösung auf. Deshalb wurden hier keine Punkte verteilt. Besser wäre ein Auktionsverfahren zur Verteilung von Ärztelizenzen.
  • Positiver hat sich die Situation bei der Sozialhilfe entwickelt. Geht es nach Stände- und Bundesrat, müssen die Heimatkantone Sozialhilfeleistungen, die andere Kantone für ihre Bürger leisten, nicht mehr  zurückzuerstatten. Diese Massnahme führt zu einer administrativen Entlastung und stärkt die Effizienz des Sozialsystems, sie wurde deshalb im Barometer positiv bewertet. Doch insgesamt zeigte sich die Bundespolitik in diesem Bereich wenig mutig.

Lesen Sie in Kürze über die Entwicklungen in der Schweizerischen Arbeitsmarktpolitik.

Sie können das «D A CH-Reformbarometer» hier downloaden.