Einfache Arztzeugnisse sind in der Regel auf das Negative fokussiert, sie beschreiben vor allem die Arbeitsunfähigkeit. Sie legen oft Dauer, Arbeitspensum in Prozent und allenfalls den Termin der nächsten ärztlichen Beurteilung fest (Academix 2020). Somit weiss der Arbeitgeber lediglich, wie lange er mindestens im Dunkel steht – mehr nicht.
Eine Möglichkeit zur Verbesserung der Kommunikation zwischen Arzt und Arbeitgeber besteht darin, in Arztzeugnissen statt auf der Arbeitsunfähigkeit auf die Arbeitsfähigkeit zu fokussieren. Dafür wurden schon zahlreiche Formulare entwickelt, die jedoch kaum benutzt werden. Eine neue Initiative mit dem Namen REP (ressourcenorientiertes Eingliederungsprofil) wurde vom Verein Compasso unter dem Patronat des Schweizer Arbeitgeberverbandes lanciert.
Ein gemeinsamer Ansatz zwischen Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Arzt
Für die Erstellung eines REP definieren in einem ersten Schritt der Arbeitnehmer zusammen mit seinem Arbeitgeber eine Liste der Tätigkeiten, die für die Stelle relevant sind. Es sind unter anderem Anforderungen an die Körperhaltung (z.B. stehen, sitzen), an die Beweglichkeit (z.B. Kopf drehen, Beine bewegen), an den Verstand (z.B. Konzentrationsfähigkeit, Arbeit selbst planen) und an die Rahmenbedingungen des Arbeitsplatzes (z.B. Arbeitszeit- und Ort). Die erforderlichen Tätigkeiten können bedienungsfreundlich online aus einer Checkliste geklickt und ausgedruckt werden.
In einem zweiten Schritt nimmt der Arbeitnehmer die erarbeitete Liste beim nächsten Arztbesuch mit. Der Arzt beurteilt zusammen mit ihm die Fähigkeiten für jede Anforderung (möglich, nicht möglich, wie folgt möglich …).
Das Formular kann von Hand ausgefüllt werden. Es werden nur Informationen zur Einsatzfähigkeit an den Arbeitgeber weitergegeben, aber keinerlei gesundheitsspezifische Daten wie Diagnosen oder Befunde. Für seine Einschätzung erhält der Arzt vom Arbeitgeber 100 Franken. Für den Arbeitnehmer entstehen keine Kosten.
Mit dem REP muss der Arzt nur Fähigkeiten beurteilen, die in einem vom Arbeitnehmer und Arbeitgeber ausgefüllten Formular als relevant definiert wurden. Mit dieser Vorauswahl spart der Arzt nicht nur Zeit, sondern wird von den Anforderungen in Kenntnisse gesetzt, die für die Stelle seines Patienten von Bedeutung sind. Dank den detaillierten Angaben in Bezug auf die konkreten Anforderungen reduzieren sich die Informationsdefizite des Arztes gegenüber dem Arbeitgeber.
In einem dritten Schritt besprechen Arbeitnehmer und -geber das ausgefüllte Formular und legen das weitere Vorgehen fest. Allein das gemeinsame Vorgehen zeigt, dass alle drei Parteien die Eingliederung fördern wollen, was der Genesung hilft.
Mit der differenzierten Beurteilung der Fähigkeiten (möglich, nicht möglich, wie folgt möglich…) erhalten Arbeitgeber und Arbeitnehmer ein stellenspezifisches Zeugnis, das in einfacher Sprache formuliert ist und die Planung der Wiederaufnahme der Arbeit vereinfacht. Dabei erfährt der Arbeitgeber wichtige Informationen für die Begleitung seines Mitarbeiters, jedoch unter der Wahrung des ärztlichen Datenschutzes.
Ein System, das weithin unterstützt, aber noch wenig verstanden wird
Das REP geniesst dank der Trägerschaft des Vereins Compasso bereits breite Akzeptanz. Compasso wird nebst dem Patronat des Arbeitgeberverbands von drei Hauptsponsoren (Schweizer Versicherungsverband, Helsana und Suva), von acht Sponsoren (Coop, Mobiliar, Post, Swisscom, SBB, IV-Stellenkonferenz, Swiss Life und Groupe Mutuel) sowie rund weiteren hundert Mitgliedern getragen.
Das REP ist dennoch ein relativ neues Instrument und wird noch zu wenig eingesetzt – auch weil es noch zu wenig bekannt ist. Hier sind Arbeitgeberverbände gefordert. Mit Informationskampagnen sollten sie ihre Mitglieder auf die Bedeutung und den Nutzen dieses Instruments hinweisen und somit zu einer verbesserten Zusammenarbeit zwischen Arzt und Arbeitgeber beitragen.
Arbeitgeber dürfen allerdings bereits heute ein detailliertes Zeugnis verlangen, sofern sie dem Arzt ein schriftliches Anforderungsprofil der Stelle zustellen und die Zeugniskosten übernehmen (FMH 2020). Das REP bietet die ideale Lösung dafür. Arbeitgeber sollten es möglichst rasch, zum Beispiel ab 30 Tagen Arbeitsunfähigkeit, verlangen.
Zudem sollten sich Letztere auch für die Aufnahme des REP in den Curricula der Arztausbildungen engagieren. Idealerweise sollte dies im Rahmen des Erlangens des FMH-Titels geschehen, damit auch Ärzte, die ihre Grundausbildung im Ausland absolviert haben, über die Chancen dieses Instruments informiert werden.
Weiterführende Informationen zum Thema finden Sie in unserer Studie «Eingliedern statt ausschliessen».