Am Samstag, 28. September 2019, hat in Bern die nationale Klimademo stattgefunden. Aus Anlass dieser Veranstaltung veröffentlichen wir vorab das Kapitel zur Schweizer Klimapolitik aus unserer neuen Publikation «Was wäre, wenn… 13 mögliche Entwicklungen und ihre Konsequenzen für die Schweiz», die Ende Oktober 2019 erscheinen wird. Das Buch hat sich zum Ziel gesetzt, Umwälzungen konsequent zu benennen und zeigt auf, wie mit liberalen Lösungsansätzen den Veränderungen begegnet werden kann.

Einleitung: Nationale Politik des Klimawandels

Der Klimawandel ist eine Tatsache. Die wissenschaftliche Faktenlage ist mittlerweile breit und eindeutig. Bereits 1988 wurde das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) gegründet, um den Stand der wissenschaftlichen Forschung zum Klimawandel zusammenzufassen und Entscheidungsgrundlagen zuhanden der Politik zu schaffen.

Bis 2014 erstellte das IPCC fünf Sachstandsberichte, die eine wissenschaftliche Bewertung des Forschungsstandes zum Klimawandel umfassen. Insbesondere der fünfte Sachstandsbericht hielt klar die Erwärmung des Klimasystems fest. Zudem kam das IPCC zum Schluss, es sei extrem wahrscheinlich, dass der menschliche Einfluss der Hauptgrund für die seit den 1950er Jahren beobachtete globale Erwärmung sei.

Auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse folgten durchaus politische Taten, wenn auch nur zögerlich. Ende 2015 fand in Paris die 21. Uno-Klimakonferenz statt, an der das Nachfolgeabkommen zum Kyoto-Protokoll verabschiedet wurde. Dieses verpflichtete erstmals alle Staaten (Industrie- und Entwicklungsländer) zur Reduktion von Treibhausgasemissionen. Zudem wurde eine konkrete Erwärmungsgrenze von deutlich unter 2 Grad (wenn möglich 1,5 Grad) festgelegt. Das Abkommen wurde von 195 Ländern unterschrieben, Ende 2018 hatten es 185 Länder ratifiziert.

Die Schweiz ratifizierte das Pariser Abkommen im Herbst 2017 und verpflichtete sich zu einem Reduktionsziel von minus 50% bis 2030 gegenüber 1990, wobei auch Emissionsverminderungen im Ausland vorgesehen sind. Bis 2050 soll die Schweiz zudem nicht mehr Treibhausgase ausstossen, als natürliche und technische Speicher aufnehmen können. Dessen ungeachtet erfahren im Zuge der jüngsten Erstarkung der Umweltbewegung zunehmend extreme Forderungen Unterstützung – besonders die globale Dimension des Problems scheint dabei in den Hintergrund zu treten.

Szenario

Trotz erstarkter Klimabewegung war der Entscheid für viele Beobachter doch eine Überraschung. Gut 58% der Bevölkerung haben sich für eine Volksinitiative ausgesprochen, die eine Umsetzung der Klimaziele von Paris bis 2030 sowie eine Erhöhung des Gesamtreduktionsziels bis 2050 von 70 – 85% auf 100% gegenüber 1990 erreichen will – und zwar nur mit Massnahmen im Inland. Damit hat sich die Sicht durchgesetzt, dass Emissionsreduktionen im Ausland bei der Schweizer Klimapolitik keine Rolle spielen sollen. Vorreiter dieser Entwicklung war der Bundesrat, der eine klimaneutrale Schweiz bis 2050 zu seiner umweltpolitischen Zielsetzung erklärte (Bundesrat 2019).

Im Vorfeld der Abstimmung wurde die teilweise Umsetzung der Klimaziele im Ausland als moderner «Ablasshandel» gebrandmarkt, obwohl allseits bekannt war, dass die Durchschnittskosten der Vermeidung einer Tonne CO2 im Inland rund zehnmal höher als im Ausland sind. Von technischer Seite her wurde zudem angeführt, dass die Erfahrungen mit dem Kyoto-Protokoll gezeigt hätten, dass es bei Auslandsprojekten regelmässig zu Mitnahmeeffekten, Doppelzählungen und Anrechnung von Scheinreduktionen gekommen sei. Weitgehend vernachlässigt wurde dabei, dass unter dem Klimavertrag von Paris klare Fortschritte – insbesondere an der COP30 in London – in Sachen Transparenz und Anrechnungsregeln erzielt werden konnten.

Links-grüne Klimapolitik dank gewerblichen Kreisen

Die Umsetzung des neuen Verfassungsartikels wird gleich in Angriff genommen. Liberal eingestellte Kreise warnen zwar vor einer wortgetreuen Umsetzung – vor allem mit dem ökonomischen Argument, dass die ausschliessliche Vermeidung von CO2-Emissionen im Inland unverhältnismässig teuer und volkswirtschaftlich höchst ineffizient sei. Aber der Widerstand erlahmt rasch. Als sich abzeichnet, dass zur Umsetzung der Klimaziele grosszügige Subventionstöpfe geschaffen werden, von denen das inländische Gewerbe profitieren kann, setzt ein klarer Meinungsumschwung ein. Plötzlich machen Slogans wie «Geld bleibt hier» oder «Saubere Schweizer Arbeitsplätze» die Runde.

In einem gemeinsamen Effort schliessen sich links-grüne und bürgerlich-gewerbliche Parlamentarier zu einer Klimakoalition zusammen, womit im Parlament ein massiver Ausbau des Instruments der CO2-Abgabe eine Mehrheit findet. Dazu gehört die schrittweise Erhöhung der Abgabe auf Brennstoffen ab 2022 von 96 Fr. auf 240 Fr. pro Tonne CO2-Emissionen bis 2030, was zu jährlichen Einnahmen von bis zu 3 Mrd. Fr. führt. Während früher die Erträge grösstenteils an die Bevölkerung zurückverteilt wurden, fliessen sie nun vollständig in den neugeschaffenen Klimafonds «Schweizer*innen retten das Klima», kurz S*RK genannt.

In einem weiteren Schritt – um die Investitionsmittel des Fonds zusätzlich anzuheben – wird beschlossen, ab 2023 die Mehrwertsteuer auf 10 % zu erhöhen. Dies generiert Mehrerträge von knapp 7 Mrd. Fr. In der parlamentarischen Diskussion ist von den Befürwortern immer wieder zu hören, dass damit auch die ungesunden Auswüchse unserer Konsumgesellschaft zurückgedrängt werden sollen. Einige gehen gar so weit, das «kapitalistische und ausbeuterische» System anzuprangern, das an der Klimamisere schuld sei – weshalb es nur rechtens sei, den Konsum zu verteuern.

Jährlich fliessen so knapp 10 Mrd. Fr. in den S*RK, was es erlaubt, die finanziellen Mittel der bisherigen Programme zur Steigerung der Energieeffizienz bei Gebäuden und Unternehmen zu verzwanzigfachen. Die restlichen Gelder gehen in den Technologiefonds, um die Forschung der Schweizer Hochschulen im Bereich der erneuerbaren Energien und der CO2-Lagerung voranzutreiben. Viele Politiker betonen, dass die Schweiz ihre Klimaziele nicht nur im Inland, sondern möglichst auch mit einheimischer Technologie erreichen soll. Denn dies erhöhe die inländische Wertschöpfung und mache die Schweiz unabhängig von ausländischer «Schummel-Technologie». Als Grund des Misstrauens wird immer wieder der Dieselskandal 2017/18 genannt, als deutsche Autofirmen Abgaswerte zu manipulieren versuchten.

In einem dritten Schritt, auch unter dem anhaltenden Druck der Strasse, wird ab 2024 eine Klimaabgabe auf Flugtickets, das Verbot von Inlandflügen (der letzte Flug ZRH-GVA musste über Paris zurückkehren) und eine jährliche fixe Abgabe für Personenwagen mit einem Gesamtgewicht von über 1,5 Tonnen (sog. SUV-Verordnung) eingeführt. Weiter wird – ausser für Fahrzeuge der Landwirtschaft und für den Bau – der Betrieb von Dieselfahrzeugen im Mittelland verboten. Für die Bergregionen gibt es eine Ausnahme, um die Versorgung der entlegenen und höher gelegenen Ortschaften nicht zu gefährden.

Verschärfung der klimapolitischen Massnahmen ab 2026

Schweizer Cleantech-Unternehmen florieren aufgrund des Grenzschutzes für entsprechende Technologien, und die heimischen Installateure kommen kaum nach mit der Montage von Windkraft- und Solaranlagen im Inland. Klimapolitisch herrscht Friede, Freude, Eierkuchen – zumindest bis zu jenem Abend im Februar 2025, als an der jährlichen Klimagala des SRF wie üblich der CO2-Ausstoss der Schweiz im vergangenen Jahr verkündet wird. Die S*RK-Präsidentin informiert die Bevölkerung, dass die Einsparungen nicht so hoch ausgefallen sind, wie erwartet. Landauf, landab entzünden sich hitzige Diskussionen in den nur noch reduziert geheizten Stuben: Was ist zu tun?

Die Politik entschliesst sich, per 1. Januar 2026 folgende Notmassnahme umzusetzen: Eine CO2-Steuer auf Treibstoffen von 2 Fr. pro Liter. Dabei gibt man dem im Inland verkauften Benzin – Dieselfahrzeuge werden nun landesweit verboten, für Randregionen wird ein (finanzieller) Ausgleichsfonds geschaffen – Markierstoffe bei, um das Tanken im Ausland zu unterbinden. Wer im Inland mit Benzin ohne Markierstoffe unterwegs ist, wird mit einem temporären Ausweisentzug bestraft. Die Einnahmen der neuen Steuer fliessen in den S*RK und werden zweckgebunden für die Vergünstigung von Elektrofahrzeugen eingesetzt. In den ersten Jahren liegen die Steuererträge bei rund 6 Mrd. Fr., nehmen aber in der Folge aufgrund des Substitutionseffektes rasch ab.

Für 2027 wird zusätzlich vereinbart, nicht nur den inländischen, sondern auch die durch die Schweiz verursachten ausländischen CO2-Emissionen (z.B. inländischer Konsum von im Ausland hergestellten Produkten) zu reduzieren. Importsteuern auf ausländischen Produkten, abgestuft nach deren CO2-Gehalt bei der Produktion (sog. «graues CO2»), werden eingeführt – dies im vollen Bewusstsein, dass eine solche CO2-Steuer nicht konform mit den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) ist. Erstmals finden sich auch knappe politische Mehrheiten, um die Klimaverpflichtungen der Landwirtschaft zu erhöhen.

Der Anteil des Agrarsektors an den Treibhausgasen der Schweiz ist aufgrund der Anstrengungen zum Abbau in den anderen Bereichen auf über 20% gestiegen. Von den gut 371 Mio. Fr. [die Zahl wurde einer alten Avenir-Suisse-Studie (Dümmler und Roten 2018) entnommen], welche die Treibhausgasemissionen an Kosten verursachen, sollen 150 Mio. Fr. durch eine Reduktion der Viehbestände eingespart werden. Dazu wird nicht nur der Fleischverzehr ab 2029 mit einer Klimaabgabe von 8.40 Fr. pro Kilogramm verteuert, sondern auch Milchprodukte werden mit einer Steuer von 1 Fr. pro Liter Rohmilch belastet. Die Preisetiketten für Charcuterie- und Milchprodukte müssen die Abgabe gesondert ausweisen. Die Erträge fliessen an den Schweizer Bauernverband, der die betroffenen Landwirte grosszügig entschädigt. Um das Klima, insbesondere aber auch um die nun teurere inländische Nahrungsmittelproduktion zu schützen, werden die Zölle auf importierten Agrargütern substanziell erhöht und in den S*RK-Fonds umgelenkt. Ebenso werden die Grenzkontrollen erhöht, um den Schmuggel von Nahrungsmitteln aus dem Ausland zu unterbinden.

In hitzigen Parlamentsdebatten wird auch die Möglichkeit diskutiert, aus ökologischen Gründen die Bevölkerungsentwicklung zu regulieren. Einzelne Votanten fordern analog zur früheren Einkind-Politik Chinas, den Frauen vorzuschreiben, nicht mehr als ein Kind zu gebären, ansonsten Mutter und Vater mit einer empfindlichen finanziellen Busse zu rechnen hätten. So weit möchte dann aber selbst der Grossteil der hartgesottenen Konsumskeptiker nicht gehen. Auch sie gewichten die freie Entscheidung der Eltern höher.

Mit den genannten Massnahmenpaketen schwenkt die Schweiz anfangs der 2030er Jahre auf einen Vermeidungspfad ein, der die Erreichung des ambitiösen «Nullziels» bis 2050 einigermassen realistisch erscheinen lässt. Gleichzeitig offenbaren sich die Kosten der rein inländischen Klimapolitik immer deutlicher: Aufgrund der klimapolitischen Abgaben und Einschränkungen schwindet einerseits die Steuerbasis. Andererseits hat sich eine ganze inländische Umweltindustrie an die subventionierten Aufträge gewöhnt und entwickelt die Anspruchshaltung, von einem stabilen oder gar wachsenden Geschäftsvolumen ausgehen zu können. Deshalb werden ab 2027 die Abgabesätze und die Mehrwertsteuer weiter erhöht.

Die grössten Emittenten hatten die Schweiz bereits nach 2020 in Richtung Asien oder Afrika verlassen, die mittelgrossen «CO2-Sünder» folgen nun nach. Der Verbrauch an Elektrizität nimmt – trotz einer zunehmenden Elektrifizierung des Verkehrs – in der Folge ab und führt bei gewissen Stromkonzernen zu tiefroten Erfolgsrechnungen. Die betroffenen Eignerkantone müssen Milliarden einschiessen, um den Bankrott ihrer Energieunternehmen zu verhindern. Die kostspieligen Rettungsaktionen führen in vereinzelten Kantonen sogar zu Steuererhöhungen. Zusätzlich beschliesst das nationale Parlament 2029 eine «Graustrom-Abgabe», um den Import des günstigen ausländischen Stroms – er wurde in der Debatte pauschal als «Dreckstrom» betitelt – zu verteuern.

Abnehmendes Produktivitätswachstum und steigendes Preisniveau

Spätestens zu Beginn der 2030er Jahre reduziert sich das Produktivitätswachstum in der Schweiz deutlich, obwohl sich zwischenzeitlich ein ansehnlicher Cluster von Cleantech-Unternehmen etablieren konnte. Es brauchte mehrere Auftragsstudien, um den Mythos zu entzaubern, wonach sich eine Pionierrolle im Bereich der nachhaltigen Technologien mittels grosszügig ausgestatteter Subventionen «erkaufen» liesse. So schaffte es letztlich nur ein kleiner Teil der (indirekt) geförderten Unternehmen, marktfähige und -nahe Lösungen zu entwickeln. Die «doppelte Dividende» – also ein positiver Effekt auf die Umwelt einerseits und auf das Wachstum andererseits – hat sich nicht eingestellt.

Zudem bewirkt die 2027 eingeführte – nicht WTO-konforme – CO2-Steuer auf importierten Gütern eine spürbare Verschiebung des Konsums zu Produkten des historisch produktivitätsschwachen Binnensektors, während der volkswirtschaftlich wichtige Exportsektor immer mehr an Bedeutung verliert. Dieser leidet nämlich immer mehr unter den Retorsionsmassnahmen anderer Länder, die Schweizer Exportgüter ebenfalls mit Importsteuern belegen.

In der Schweiz stellt sich in der Folge immer mehr eine Renationalisierung der einst globalen Wertschöpfungsketten ein, was sich zusehends dämpfend auf das Wachstum auswirkt. Wurde dieser Trend zu Beginn vor allem in Kreisen der Wachstumsskeptiker noch begrüsst, zeigen sich bald erste konkrete Auswirkungen: Die sich verschlimmernden Finanzierungslücken in der Altersvorsorge, im Gesundheits- und im Bildungswesen führen zu – teils gehässigen – Debatten über den Einsatz der sich verknappenden Mittel, konkret: über die Aufgaben des Sozialstaats und den sozialen Ausgleich. Um das finanzielle Gleichgewicht der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) zu gewährleisten, muss nun das Rentenalter (von Frauen und Männern) auf 67 Jahre erhöht und die grosszügigen Verbilligungen der Krankenkassenprämien abgeschafft werden. Forderungen nach einer mehrjährigen bezahlten Elternzeit und ähnliche Initiativen verschwinden ganz von der politischen Agenda.

Das steigende Preisniveau verursacht Sorgen in der Bevölkerung. Sympathisierte anfänglich noch ein Grossteil der Schweizerinnen und Schweizer mit Slogans wie «I CHare –  Mehr Schweiz im Einkaufskorb», wird die Kehrseite der Medaille immer offensichtlicher: Infolge der abnehmenden Offenheit der Schweizer Volkswirtschaft und des schwachen Wettbewerbsdrucks auf dem (künstlich) abgeschotteten Binnenmarkt, sieht sich die Bevölkerung – notabene bei verringerter Angebotsvielfalt – immer mehr mit steigenden Preisen konfrontiert. Nicht hilfreich ist in diesem Kontext die Kleinheit des Schweizer Binnenmarktes, die in vielen Sektoren keine effizienten Betriebsgrössen zulässt. Einerseits zwingen die wegbrechenden Exportmöglichkeiten viele Unternehmen zu kosten- und preistreibenden Redimensionierungen mit entsprechenden Arbeitsplatzverlusten. Anderseits führt der Wegfall der ausländischen Konkurrenz dazu, dass verschiedene Unternehmen quasi über Nacht monopolartige Marktstellungen erlangen, die sich in Preiserhöhungen manifestieren.

Eine veritable Verteilungsdebatte entbrennt schliesslich, als klar wird, dass nicht nur das Preisniveau gestiegen ist, sondern auch das durchschnittlich verfügbare Haushaltseinkommen über die Jahre stetig abgenommen hat. Dieser Effekt ist eine Folge des anhaltenden Drucks auf die Löhne, was wiederum Konsequenz der Abnahme der Produktivität ist. Auch die zusätzlichen Ausgaben infolge der einschneidenden CO2-Steuern belasten die Haushaltsbudgets.

Handlungsempfehlungen

Wo endet die Realität und wo beginnt die Fiktion? Junge Politikaktivisten fordern heute schon autofreie Städte, staatliche Eingriffe in die Investitionspolitik der Schweizer Banken und ein generelles Verbot von Fleischimporten. In der Stadt Zürich wurde im Frühling 2019 eine Motion überwiesen, die «Netto Null CO2-Emissionen» bis 2030 fordert. Dieses Klimaziel, das de facto weitergeht als das oben beschriebene Szenario, soll gänzlich ohne Massnahmen im Ausland erreicht werden. Klar ist, dass eine Klimapolitik, die auf rein inländische Vermeidung setzt, politökonomische Prozesse auslöst. So ist es eine alte Weisheit, dass die politischen Akteure die Gelegenheit oft und gerne nutzen, einen Politikentscheid möglichst zu Gunsten ihrer Klientel auszugestalten.

Gerade die Gefahr, dass die Klimaziele mit industrie- (z.B. Förderung der Cleantech-Industrie) oder regionalpolitischen Interessen (z.B. Ausgleich für Randgebiete) verknüpft werden, obwohl es besonders für letztere in der Schweiz bereits eine Vielzahl an Instrumenten gibt, darf als äusserst realistisch bezeichnet werden. Doch jede Politik, auch die Klimapolitik, sollte nur ein Ziel verfolgen (sog. Tinbergen-Regel) und nicht durch weitere, zusätzlich zu erreichende Ziele in ihrer Wirkung verwässert werden – so legitim diese allenfalls auch sein mögen.

Ein weiteres typisches Merkmal des beschriebenen Szenarios besteht darin, dass durch die Einrichtung von neuen Subventionsquellen neue, davon abhängige Interessengruppen geschaffen werden: Es treten Gewöhnungseffekte und die immer wieder beobachtbare Anspruchshaltung auf, ein unwiderrufliches und auf alle Zeit geltendes Anrecht auf Ausschüttung öffentlicher Mittel zu haben. Entsprechend vehement setzen sich die Interessengruppen für den Erhalt «ihrer» Mittel im politischen Prozess ein. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist auf eine Subventionierung spezifischer (Vermeidungs-) Technologien zu verzichten – Klimapolitik muss technologieneutral ausgestaltet sein.

Ein globales Problem

Es kann durchaus sinnvoll sein, auch im Inland Massnahmen zur CO2-Reduktion zu ergreifen. Jedoch muss in der Klimapolitik der Effizienz der getroffenen Massnahmen höchste Bedeutung zukommen: Pro eingesetztem Franken soll der grösstmögliche positive Effekt auf das Klima resultieren (vgl. Abbildung oben). Vor diesem Hintergrund ist die Vermeidung des CO2-Ausstosses primär dort anzustreben, wo dies zu den tiefstmöglichen Kosten zu bewerkstelligen ist. Dem Klima ist es egal, in welchem Erdteil Treibhausgase reduziert werden. Eine rein inländische Klimapolitik ist in diesem Sinn schlicht ineffizient, denn man könnte mit den gleichen Mitteln global mehr schädliche Klimagase einsparen. So kostet die Kompensation einer Flugreise von Zürich nach New York und zurück (2,3 Tonnen CO2) mit Klimaschutzprojekten in Entwicklungs- und Schwellenländern aktuell 67 Fr. (MyClimate 2019). Soll nur schon die Hälfte des Ausstosses in der Schweiz kompensiert werden (und die andere Hälfte in Entwicklungs- und Schwellenländern), steigt der Preis auf 209 Fr. Mit diesem Betrag könnte man im Ausland 7,3 Tonnen CO2 kompensieren statt der 2,3 Tonnen.

Dieses Verhältnis spiegelt den im Vergleich zu anderen Ländern hohen technischen Vermeidungsgrad von Klimagasen, den die Schweiz bereits erreicht hat. So stösst sie gemäss einer Statistik der Weltbank 0,1 Kilogramm CO2 pro kaufkraftbereinigtem US-Dollar aus, dies im Vergleich zum weltweiten Durchschnitt von 0,3 Kilogramm (Weltbank 2019). Nur schon in Europa gibt es Länder mit einem vielfach höheren Ausstoss wie z.B. Bosnien und Herzegowina (0,6 Kilogramm/PPP US-Dollar).

Der inländische CO2-Ausstoss reflektiert nicht die gesamten, durch die Bewohner der Schweiz induzierten CO2-Emissionen. Zählt man die durch Importgüter im Ausland verursachten Emissionen hinzu, steigt der Ausstoss auf mehr als das Doppelte an. Aus diesem Grund erscheint es sinnvoll und gerechtfertigt, die CO2-Emissionen auch da zu reduzieren, wo sie anfallen, nämlich im Ausland.

Letztlich ist der Klimawandel ein globales Problem, der Anteil der Schweiz am weltweiten Ausstoss von Klimagasen liegt im Promillebereich. Rein moralische Appelle an die heimischen Akteure, die Klimagase zu reduzieren, werden kaum zum Erfolg führen, denn das Klima hat den Charakter eines globalen, öffentlichen Gutes. Die Versuchung, Trittbrettfahrer zu sein – also von den Vermeidungsanstrengungen anderer zu profitieren, ohne selbst etwas beizutragen – ist gross. Die Schweiz braucht deshalb eine verbindliche Klimapolitik, welche die einzelnen inländischen Akteure zu einer effektiven Reduktion ihrer CO2-Emissionen bewegt. Gerade auch wenn in Zukunft Retorsionsmassnahmen für Klima-Trittbrettfahrer zu befürchten sind, ist dies nicht einfach nur wünschenswert, sondern rational. So ist es durchaus denkbar, dass in Zukunft wichtige Handelspartner der Schweiz Strafzölle auf Produkten erheben, die von Unternehmen stammen, die ihren Klima-Verpflichtungen nicht nachkommen. Unter Ökonomen existiert bereits die Idee eines sogenannten «Klimaclubs» von Ländern, die ihre internationalen Klimaverpflichtungen nachweislich durchsetzen und dafür untereinander keine Strafzölle erheben (Nordhaus 2015).

Auch auf internationaler Ebene besteht Handlungsbedarf. So müssen insbesondere mit dem Abkommen von Paris verlässliche Mechanismen geschaffen werden, um Doppelzählungen von CO2-Einsparungen auszuschliessen. Zudem ist im Auge zu behalten, dass ein international unkoordiniertes Vorgehen gegen die Klimaerwärmung mit unerwünschten Effekten einhergehen kann. So wird etwa befürchtet, dass unterschiedlich strenge nationale Vermeidungsstandards zu sogenanntem «carbon leakage» führen. Damit ist eine Situation gemeint, in der Unternehmen aufgrund der mit Klimamassnahmen verbundenen Kosten ihre Produktion in andere Länder mit weniger strengen Emissionsauflagen verlagern, was insgesamt zu einem Anstieg der Emissionen führen kann.

Und neben einer Klimapolitik, die nur auf Vermeidung setzt, sollte die Schweiz in den kommenden Jahrzehnten nicht vergessen, in eine «Adaptionspolitik» zu investieren. Letztlich mag es zwar löblich sein, wenn die Schweiz ihre klimapolitische Verantwortung – auch im Sinne einer Vorbildfunktion – wahrnimmt, faktisch ist ihr Einfluss auf die Erwärmung des globalen Klimasystems jedoch vernachlässigbar klein. Sie muss sich in Bezug auf ihre Infrastruktur sowie gesellschaftlich darauf einstellen, dass es im Durchschnitt wärmer wird. Einzelne Branchen wie der Tourismus oder die Agrarwirtschaft dürften davon empfindlich getroffen werden (Bafu 2018). Es sind deshalb Vorkehrungen zu treffen, um dem Klimawandel durch Transformationsprozesse auch auf dieser Ebene zu begegnen.

Für eine erfolgreiche Adaption und Substitution von Prozessen, die zu klimaschädlichen Emissionen führen, sind schliesslich Innovationen von zentraler Bedeutung. Politische Massnahmen – und mögen sie noch so gut gemeint sein –, die das Wachstum und die Produktivität senken, sind Gift für die Lösung des Klimaproblems. Sie senken die Innovationsfähigkeit und wirken dadurch letztlich sogar kontraproduktiv.

Dieser Text ist ein Vorabdruck aus der Avenir-Suisse-Publikation «Was wäre, wenn… – 13 mögliche Entwicklungen und ihre Auswirkungen auf die Schweiz», die Ende Oktober 2019 erscheinen wird.