Die Volksschule der Zukunft soll gemäss Lehrplan 21 vor allem Kompetenzen vermitteln. Was ist damit gemeint? Laut Brockhaus bedeutet Kompetenz schlicht und einfach «Sachverstand». Für den Laien setzt Sachverstand Wissen voraus, und es braucht einen Wertekanon, der als Entscheidungshilfe in den verschiedenen Lebenssituationen dient. Nur so können Phänomene, Sachen und Situationen wahrgenommen, verstanden und eingeordnet werden. Kompetenz zeichnet sich dadurch aus, dass sie nur schwer fass- und messbar ist. Das war auch die grosse Herausforderung der Autoren des Lehrplans 21, die die Frage zu beantworten hatten, was unsere Jugend in der heutigen und zukünftigen Gesellschaft alles wissen und können soll.

Warum setzt sich Avenir Suisse überhaupt mit dem Lehrplan 21 auseinander? Zwar befasste sich der Think-Tank zu Beginn seiner Tätigkeit mit der Volksschule und veröffentlichte viel beachtete Publikationen wie «Potenzial Primarschule» (2001) und «Best Practice in der Schule» (2003). Seither stand dieser Bereich aber nicht mehr im Fokus, auch, weil Avenir Suisse weder über besondere erziehungswissenschaftliche Erfahrungen noch fachdidaktisches Wissen verfügt. Als Grundlage des schweizerischen Bildungssystems hat die Qualität der Volksschule jedoch einen massgeblichen Einfluss auf alle nachfolgenden Bildungsstufen. Deshalb ist der Lehrplan 21 von unmittelbarer gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Bedeutung, – und damit wieder für Avenir Suisse von Relevanz.

Eine durchlässige Gesellschaft

Da Bildung einer der wichtigsten «Rohstoffe» unseres Landes ist, sei es entscheidend, dass die Volksschule zwei ihrer wichtigsten Ziele, die Wissensvermittlung und die Integration, gewährleisten kann. Andernfalls werde das Ziel der Chancengerechtigkeit zum Mythos, schrieb Avenir Suisse 2001. Es soll auch in Zukunft gelten, was Markus Schneider in seiner kürzlichen Untersuchung über das «Aufsteigen und Reichwerden in der Schweiz» festhält: «Die Schweiz bietet zwar nicht gleiche Chancen für alle – aber viele Chancen für viele, ja sogar bessere Chancen denn je.»

Wie den Vernehmlassungsunterlagen vom 25. Juni 2013 zu entnehmen ist, setzt sich der Lehrplan 21 aus sechs Fachbereichen, drei fächerübergreifenden Themen (Informations- und Kommunikationstechnologie und Medien, berufliche Orientierung und nachhaltige Entwicklung) sowie überfachlichen Kompetenzen zusammen. Neu ist, dass er den Bildungsauftrag an die Schulen kompetenzorientiert umschreibt. Er zeigt, wie die einzelnen Kompetenzen über die ganze Volksschulzeit aufgebaut werden und was die Schülerinnen und Schüler am Ende der einzelnen Unterrichtszyklen beherrschen sollten. Der Lehrplan geht somit bewusst über inhaltliche Stoffziele hinaus, in dem er Inhalte direkt mit daraus zu erwerbenden fachlichen und überfachlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten zu verbinden sucht.

Für den erziehungswissenschaftlichen Laien tönt all dies vernünftig, denn niemand wird wohl etwas dagegen haben, Wissen und Können zu verknüpfen. Wie das in der Praxis geschehen soll, ist allerdings schon schwieriger vorstellbar. Der Laie würde meinen, dass das Wissen in der Regel vor dem Können kommt, d.h. dass ein minimaler Grundstock an Wissen vorhanden sein muss, bevor über etwas reflektiert werden kann.

Reflektion scheint ein Zauberwort des Lehrplans 21 zu sein. Die Schülerinnen und Schüler sollen vor allem im Bereich «Mensch, Natur, Gesellschaft» über alles Mögliche reflektieren (z.B. über Konsumhandlungen, nachhaltige Energie, Rohstoffnutzung, globale Entwicklung, Menschenrechte usw. ), ja sich sogar für die weltweite Ernährungssicherung engagieren. Nach gesundem Menschenverstand setzt dies Kenntnisse über die Funktionsweise der Wirtschaft voraus, wenn es nicht auf eine moralisierende Welt- und Gesellschaftssicht bzw. eine Instrumentalisierung oder ideologische Beeinflussung hinauslaufen soll.

Der Lehrplan 21 versucht einen Spagat zwischen Erziehung und Bildung. Es droht dabei nicht nur eine Überreglementierung, sondern möglicherweise auch eine Schwächung der Lehrerinnen und Lehrer im Lernprozess. Die aus Lehrerkreisen zu hörende Befürchtung, der Lehrplan 21 wolle auf der Basis einer konstruktiven Bildungsideologie die Arbeit des Lehrpersonals steuern, macht hellhörig. So sinnvoll es an und für sich ist, anwendungsbezogenes Wissen zu fördern und die bisher vernachlässigte Effizienz und Effektivität im Bildungswesen durch Messen und Vergleichen zu stärken – die  Volksschule darf sich nicht in eine rein ergebnisorientierte und verhaltensgesteuerte Lernanstalt entwickeln.