Das Bekenntnis zur Freiheit ist tief in den Kantonen verankert. Ob man dem Nidwaldner Freiheitshelden Winkelried die letzten Worte «Der Freiheit eine Gasse» in den Mund legt oder es sich wie der Kanton Waadt sogar wortwörtlich auf die Fahne schreibt: Freiheit bleibt ein zentrales Motiv der kollektiven Erinnerung und der heutigen Gesellschaft der Schweiz.

Ausdruck findet dies auch im Schweizer Föderalismus. Laut Bundesverfassung sind es ja die Kantone, welche die Eidgenossenschaft begründen. Volk und Stände sind unser Souverän. Lösungen für gesellschaftliche, politische oder wirtschaftliche Fragestellungen werden zuerst auf der Kantonsebene gesucht, bevor man die entsprechenden Kompetenzen dem Bund abgibt. So steht es in der Freiheit der Kantone, sich selber zu organisieren.

Keine Diktatur der Mehrheit

Dieses föderale System sichert auch ein hohes Mass an Minderheitenschutz. Denn Rücksicht auf Minderheiten ist seit jeher Teil des Schweizer Staatsverständnisses. Dem Vielvölkerstaat Schweiz ist es erfolgreich gelungen, sprachliche, konfessionelle und kulturelle Minderheiten zu einer Willensnation zusammenzuschweissen. In der kleinen Kammer sind zum Ausgleich von Minoritäten die bevölkerungsschwachen Stände gleichwertig vertreten. So muss auch das Ständemehr bei Verfassungsänderungen erfüllt sein. Eine Diktatur der Mehrheit wird so verhindert und ein gewisses Mass an Minderheitenschutz gewährleistet.

Einheit in der Vielfalt: Wappen der Schweizer Kantone am denkmalgeschützten Hauptsitz der Swisslife in Zürich. Erbaut 1937-1940 von Otto und Werner Pfister. (Wikimedia Commons)

Der feingliedrige Schweizer Föderalismus ermöglicht den Kantonen ein besseres Eingehen auf lokale Sorgen und Bedürfnisse. So besteht beispielsweise im Kanton Zürich offensichtlich ein grösseres Bedürfnis nach Nichtraucherschutz als in anderen Kantonen, was sich darin äussert, dass 2008 eine Initiative angenommen wurde, welche das Rauchverbot verschärfte. Im Kanton Appenzell-Innerhoden hingegen scheint diese Problematik nicht vordringlich. Dort wurden lediglich die Mindestvorgaben des Bundes umgesetzt.

Vermessen und gegen unser fein austariertes Staatsverständnis wäre es, eine bundesweite Regelung für solche Anliegen durchboxen zu wollen: Mögen die Zürcher bevölkerungsmässig überwiegen, verhindert das Ständemehr diese Art der Diktatur der Mehrheit. Die Zürcher schreiben den Appenzellern nicht vor, wie sie zu leben, was sie zu tun und zu lassen haben. Man lässt sich gegenseitig, wo immer möglich, in Frieden und löst seine kantonseigenen Probleme so, wie sie für den jeweiligen Kanton am verträglichsten und am geeignetsten sind.

Der Minderheitenschutz ist somit gewährleistet. Die Innerschweizer Kantone, die Kantone der Romandie, das Tessin et cetera, sie alle können ihren Alltag so organisieren, wie sie es kulturell und prinzipiell als richtig empfinden. Erst wenn ein Problem zu gravierend wird und es nicht mehr von den unteren Staatsebenen gelöst werden kann, kommt streng nach dem Subsidiaritätsprinzip die Kantonskonkordate oder dann der Bund zum Zuge.

Der gelebte Föderalismus

Es liegt in der Freiheit der Kantone, sich den eigenen Gegebenheiten anzupassen, und es liegt am Stimmvolk, sich die Gesetze so zu legen, wie sie am besten zu ihnen passen. Dies ist gelebter Föderalismus.

Und gelebt wird er tatsächlich. Der Avenir-Suisse-Freiheitsindex zeigt an insgesamt 29 Indikatoren nach wie vor grosse Unterschiede auf. Von Steuerbelastung, Ladenöffnungszeiten bis hin zur freien Schulwahl haben die Kantone Regelungen unterschiedlichster Art getroffen. Die Kantone unterscheiden sich erheblich in ihrer Gesetzgebung und ihrer Art, das Gemeinwesen zu organisieren. Die lokale Couleur ist somit stark verankert. Ebenso zeigen sich Tendenzen hin oder weg von der Freiheit in den verschiedenen Kantonen.

Aus freiheitlicher Sicht mag es ein bedauerlicher Rückschritt sein, wenn man sich den Verlauf der Abstimmung im Kanton St. Gallen über das Burkaverbot vor Augen hält – oder ein überraschenden Fortschritt, wenn es der Kanton Wallis  als einziger Kanton geschafft hat, die Anzahl der öffentlichen Stellen abzubauen. Sei es das Tessin, das seine Ladenöffnungszeiten liberalisiert oder Graubünden, das in Chur ein nächtliches Trinkverbot in der Öffentlichkeit kennt: Die Kantone beschreiten unterschiedlichste Wege.

Wichtig ist vor allem die Diskussion um Freiheit und freiheitliche Werte. Diesen Diskurs immer wieder zu entfachen und weiterzubringen, ist denn auch das Ziel des Avenir-Suisse-Freiheitsindexs. Er gibt die Möglichkeit, die Kantone zu vergleichen und die Debatte anzustossen, wie es um die Freiheit im eigenen Kanton bestellt ist. Soll man diese ausbauen oder gibt es triftige Gründe, den derzeitigen Stand zu bewahren?

Der Föderalismus Schweizer Prägung zeigt eines: Das Credo von Leben und leben lassen kommt so in der Schweiz zur Ausführung. Ein jeder Kanton nach eigener Façon, nach seiner Geschichte, seiner Kultur und seinem Befinden.