Ist nach all den in den letzten Jahren erlebten Krisen, Tricksereien und Verfehlungen im Bankensektor eine risikofreie, stabile Geldordnung nicht ein erstrebenswertes Ziel? Eine solche hat sich die geplante Vollgeld-Initiative auf die Fahne geschrieben. Das Ziel soll dadurch realisiert werden, dass Geld in Zukunft nur noch durch den Staat bereitgestellt werden darf. So will verhindert werden, dass Banken durch Kreditvergabe selber Geld aus dem «Nichts» schöpfen und mit exzessivem Geschäftsgebaren zu einer instabilen Konjunktur beitragen. Und der Staat könnte endlich die «optimale» Geldmenge festlegen und für stabile und gerechte Verhältnisse sorgen.

Die Banken an die Kandare zu nehmen, ist kein neues Ziel. Bereits 1930 schlugen renommierte Ökonomen aus Chicago (Henry Simons, Irving Fisher) vor, die Geldschöpfung der Banken durch einen Mindestreservesatz von 1oo Prozent zu unterbinden. Mittlerweile gibt es viele Ideen, die sich an den Chicago-Plan anlehnen. In einem Punkt sind sie sich einig: in der Unterdrückung der Geldschöpfung durch das Kredit- und Einlagengeschäft der Banken.

Die immer noch anhaltende Finanz- und Staatsschuldenkrise hat gezeigt, dass grosse und vernetzte Banken einen Anreiz haben, besonders riskante Geschäfte einzugehen. Aber selbst Anat Admati und Martin Hellwig als wohl schonungsloseste Kritiker der Banken sehen in ihrem Standardwerk «The Bankers’ New Clothes» im Vollgeld kein Rezept für ein stabileres Geld- und Finanzsystem. Das muss seine Gründe haben. An dieser Stelle seien drei erwähnt.

1. Unser heutiges Zahlungssystem basiert zu einem wesentlichen Teil auf den Sichteinlagen bei Banken und bildet einen wichtigen Teil der Infrastruktur der Volkswirtschaft. Ein zweiter wichtiger Kern des traditionellen Bankgeschäfts ist die Kreditvergabe: Die Bank vermittelt zwischen vielen Einlegern von Geld und Kreditkunden und erleichtert damit die Finanzierung der Wirtschaft. Eine Vollgeld-Reform würde diesen Teil des Bankgeschäfts mehr oder weniger aus der Welt schaffen, ohne dass die Vollgeld-Anhänger sagen könnten, wie es genau ersetzt werden soll. Dies erklärt wohl auch, warum sich die Kunden nicht nach einem Vollgeld-System sehnen, obwohl das Geschäftsmodell schon heute möglich wäre.

2. Die Vollgeld-Anhänger pflegen die Vorstellung, die Nationalbank oder eine andere staatliche Behörde könne in völliger Objektivität und abgeschirmt von jeglichem politischem Einfluss die optimale Geldmenge festlegen und in Umlauf bringen. Diese Idee widerspricht sowohl politökonomischen als auch historischen Erfahrungen. Die Notenbanken waren nie vollkommen unabhängig, und alle Hyperinflationen der Weltgeschichte waren staatlich angeordnete Aktionen zur direkten oder indirekten Staatsfinanzierung. Auch persistent schleichende Inflationen waren immer und überall das Werk staatlich beherrschter Institutionen. Und nicht zuletzt auch mit Blick auf die unkonventionelle Geldpolitik der wichtigsten Zentralbanken in den letzten Jahren muss man zum Schluss kommen: Das Monopol in der Geldschöpfung ausschliesslich in die Hand des Staates zu legen, hiesse den Teufel mit dem Beelzebuben auszutreiben.

3. Es trifft zu, dass bankeninduzierte Geldschöpfung in Finanzkrisen häufig eine Rolle gespielt hat. Für ein stabileres Geldsystem braucht es jedoch keinen gigantischen, kaum mehr rückgängig machbaren Umbau der Finanzarchitektur nach den Vorstellungen der Vollgeld-Initiative. Es bieten sich Reformen an, die die Systemstabilität in kontrollierter Weise wesentlich steigern, ohne die schwer kontrollierbaren Risiken der Vollgeld-Reform einzugehen. Dazu gehören eine schrittweise Erhöhung der Eigenkapitalquoten, eine kluge Regulierungs- und Aufsichtspolitik und ein effizientes Sanierungs- und Abwicklungsregime für Banken.

Während die Chicago-Leute mit ihren Vorschlägen das kapitalistische Wirtschaftssystem stärken wollen, sehen die Schweizer Vollgeld-Reformer im Vollgeld bloss den ersten Schritt zur Überwindung des Kapitalismus. Nur wollen sie das nicht offen sagen. Es ist aber wichtig, dies zu erkennen, denn der Wirtschaftsstandort Schweiz als Nährboden für Wachstum, Beschäftigung und gesellschaftliche Stabilität ist schon genug herausgefordert. Die Vollgeld-Initiative ist deshalb verfehlt und überflüssig.

Dieser Artikel erschien im  «Schweizer Monat» vom Mai 2014.
Mit freundlicher Genehmigung des Schweizer Monats.