Im Rahmen der Anmeldung bei der IV-Stelle erhält fast jede vierte Person eine Eingliederungsmassnahme. Dies wirft die Frage nach der Wirksamkeit dieser Massnahmen auf. Dabei kommt es nicht auf die Kosten der Massnahmen selbst an, sondern auf das Ergebnis. Das heisst: Kann die betroffene Person in dem primären Arbeitsmarkt integriert werden oder nicht?

Es versteht sich von selbst, dass zum Zeitpunkt der Anordnung einer beruflichen Massnahme ihr Erfolg ungewiss ist. Gerade bei psychischen Krankheiten sind Genesungschancen besonders schwierig zu prognostizieren. Sie hängen vom Krankheitsverlauf, von den Kompetenzen der Therapeuten und schliesslich von «der Chemie» zwischen diesen beiden Personen ab.

Im Einzelfall wäre es falsch, die Relevanz einer beruflichen Massnahme nur am Rentenentscheid zu beurteilen. In der Summe hingegen liefert der Anteil an Bezügern, die im Anschluss einer Massnahme doch eine IV-Rente beziehen – eine Art «Leerlaufquote» – wichtige Hinweise.

Allerdings kann die «Leerlaufquote» nur gemeinsam mit der Massnahmenbezügerquote (X-Achse auf Abbildung) richtig interpretiert werden, wie folgende Beispiele illustrieren. Würde man in einem Kanton nur Personen Massnahmen anbieten, die höchstwahrscheinlich keine Rente benötigen werden, wäre die «Leerlaufquote» zwar gleich Null. Nur wären in diesem Fall die Massnahmen nicht nötig gewesen. Trotz tiefer Leerlaufquote wäre die finanzielle Bilanz in diesem Kanton schwach. Würde man umgekehrt nur einer Person mit einem erhöhten Rentenrisiko eine Eingliederungsmassnahme organisieren, weil gerade bei dieser einen Person die Massnahme viel bewirken könnte, betrüge die «Leerlaufquote» 100%, sofern diese einzige Person schliesslich trotzdem eine Rente erhielte. Doch der Versuch bei nur einer Person wäre es wert gewesen.

In der Abbildung lassen sich somit vier Bereiche für die Interpretation der Leerlaufquote identifizieren: Unten links sind die IV-Stellen zu finden, die «wenige, aber gezielte» Massnahmen anordnen. In den Kantonen SG, SZ, TG, und UR werden prozentual wenige Personen in Eingliederungsprogramme engagiert, die Erfolgsquote scheint jedoch hoch zu sein, weil nur wenige der Massnahmenbezüger eine Rente nach den Eingliederungsmassnahmen erhalten.

Sind diese Zahlen deshalb so tief, weil zu viele Personen ohne Eingliederungsversuche in die Rente geschickt werden? – Eher nicht. Diese vier Kantone weisen tiefere Rentenquoten als der schweizerische Durchschnitt auf (zwischen 30% (UR) und 10% (SG)). Die Strategie dieser Kantone sollte die anderen inspirieren.

In den Kantonen des Quadranten oben links werden zwar nur wenige Personen in Eingliederungsprogramme eingereiht, die «Leerlaufquote» ist allerdings hoch, besonders in den Kantonen ZG und NW. Auch liegen die Massnahmenkosten pro Bezüger in diesen Kantonen mit 63’000 Fr. (NW) und 72’000 Fr. (ZG) deutlich über dem Schweizer Durchschnitt von 51’500 Franken. Hier liegt die Vermutung nahe, dass manche Eingliederungsprogramme trotz geringer Erfolgsaussichten zu lange aufrechterhalten werden. In den Kantonen NW und ZG braucht es daher mehr Mut zum Abbruch.

Im Quadranten oben rechts in der Abbildung sind die IV-Stellen zu finden, die wahrscheinlich zu undifferenziert Eingliederungsmassnahmen anordnen. Die Bezügerquote ist dort überdurchschnittlich hoch, und überdurchschnittlich viele Bezüger erhalten nach den Massnahmen trotzdem eine Rente. Vor allem bei den Kantonen SO und VS stellt sich die Frage, ob die Eingliederungsmassnahmen zu oft verordnet werden. Der Fall des Kantons TI fällt zudem besonders auf: Obwohl viele Personen von Eingliederungsmassnahmen profitieren, liegt die Rentenquote 34% über dem Schweizer Durchschnitt. Zudem sind die Kosten der Massnahmen mit 21’000 Fr. pro Bezüger bei weitem am tiefsten in der Schweiz und betragen nur 41% des Schweizer Durchschnittswerts. Ein sehr ähnliches Bild zeigt sich im Kanton VS: In beiden Kantonen «wäre weniger mehr»: Gezieltere, aber dafür umfangreichere Massnahmen wären erfolgsversprechender.

Im letzten Quadranten unten rechts sind jene Kantone zu finden, die überdurchschnittlich viel Personen Eingliederungsmassnahmen zusprechen, sozusagen mit der Giesskanne. Aufgrund dieser Anwendung in die Breite fällt die «Leerlaufquote» tief, weil vermutlich auch viele Personen Massnahmen erhalten, die ohnehin keinen Anspruch auf Rente hätten. Der Kanton JU nimmt hier eine besondere Stellung ein. Mit 37% verzeichnet er bei weitem die höchste Bezügerquote der Schweiz. Die Kosten dieser Massnahmen mit 68’000 Fr. zählen auch zu den höchsten. Der Erfolg dieser Strategie ist jedoch bescheiden, die Rentenquote im Kanton JU liegt knapp über dem schweizerischen Durchschnitt. Hier müssten die Eingliederungsmassnahmen gezielter angeboten oder, wenn die Erfolgschancen während der Behandlung schwinden, schneller abgebrochen werden.

Kostendach bei den Vollzugskosten erforderlich

Der finanzielle Umfang von Integrationsmassnahmen wie von beruflichen Massnahmen ist nicht begrenzt. Das BSV (2014) schreibt lediglich vor, dass «zwischen der Dauer und den Kosten der Massnahme einerseits und dem wirtschaftlichen Erfolg (im Sinne der Eingliederungswirksamkeit) anderseits ein vernünftiges Verhältnis bestehen soll.» Die IV-Stellen haben keine finanziellen Anreize, bei der Zusprache von Leistungen der Kosteneffizienz eine hohe Priorität beizumessen. Die in dieser Studie aufgezeigten kantonalen Unterschiede belegen dies. Die Eingliederungskosten inklusive Taggelder variieren zwischen 6000 Fr. pro Anmeldung in den Kantonen TG, TI sowie UR und 25’000 Franken im Kanton JU.

Es wäre deshalb sinnvoll, eine Art Kostendach für die beruflichen Massnahmen zu definieren, das sich an der Anzahl Anmeldungen pro Jahr pro IV-Stelle orientiert. Dieses Kostendach sollte global für alle beruflichen Massnahmen gelten, um den IV-Stellen möglichst viel Spielraum bei der Wahl der Anzahl und der Form passender Eingliederungsinstrumente zu gewähren. Er sollte auch für die ganze IV-Stelle gelten und nicht pro Bezüger definiert werden, um einen gezielten Ressourceneinsatz zu ermöglichen, wo er meisten Erfolg verspricht. Dieses Kostendach würde explizit nicht die Anzahl und Höhe der jährlich zugesprochenen Renten umfassen.

Ein solches Vorgehen wäre kein Neuland im Schweizer Sozialversicherungssystem, sondern existiert bereits im Rahmen der Arbeitslosenversicherung (ALV). Die Abgeltungsregelung der öffentlichen regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) sieht nämlich für die Vollzugskosten der Kantone – einschliesslich der arbeitsmarktlichen Massnahmen – Höchstbeträge vor, die von der jeweiligen Anzahl betreuten Stellensuchenden abhängig sind. Überschreitet ein Kanton den Höchstbetrag, muss er die zusätzlichen Kosten selbst tragen. Nur in besonderen Fällen wird er auch für Kosten über dem Plafond entschädigt. Auch in der Sozialhilfe, zum Beispiel im Kanton Bern, werden Mittel für Beschäftigungs- und Integrationsangebote der Sozialdienste mit einem Schlüssel zugeteilt, dass von der Anzahl Dossiers abhängt.

Eine ähnliche Abgeltung wäre für die IV-Stellen anzustreben. Künftig sollten die Entschädigungen der IV-Stellen nach oben begrenzt sein und sich nach der Anzahl der angemeldeten Personen richten. Für besonders komplexe Fälle, bei denen begründete teurere Leistungen notwendig sind, könnten die IV-Stellen zusätzlich entschädigt werden. Die Höhe des Kostendachs sollte sich an den erfolgreichsten IV-Stellen bei der Wiedereingliederung richten, nicht bloss eine Glättung hin zum Schweizer Durchschnitt anstreben. Es soll auch über mehrere Jahre eingeführt werden, damit in einem ersten Schritt mehr Transparenz über die Praxen der IV-Stellen geschaffen und in einem zweiten Schritt eine Implementierung von erfolgreichen Vorgehensweisen ermöglicht wird.

Ein solches Kostendach würde die aktuellen Bestrebungen der IV-Stellen verstärken, vermehrt das Kosten/Nutzen-Verhältnis ihrer Eingliederungsstrategie zu überprüfen. Dabei steht nicht nur die Überlegung im Zentrum, ob es viele relativ günstige, oder wenige, aber teure Massnahmen braucht. Auch die Allokation von Ressourcen pro Altersgruppen, zum Beispiel vermehrt für 40-49-Jährige, und die Zweckmässigkeit von teuren Eingliederungsprogrammen müsste besser berücksichtigt werden.

Mehr über die Kosten von Invalidität, interkantonale Vergleiche und mögliche Instrumente zur besseren Unterstützung der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt erfahren Sie unserer neuen Publikation «Eingliedern statt ausschliessen: Gute berufliche Integration lohnt sich».