Eine Anekdote vorweg: Als ich vor einiger Zeit für einen Londoner Think-Tank an einer internationalen Wohnungsbaustudie arbeitete, wandte ich mich hoffnungsfroh an die Kantonsregierung von Schwyz. Ob man mir dort eventuell bei meinem Projekt behilflich sein könne und vielleicht sogar ein Interview bei einer geplanten Studienreise in die Schweiz geben würde, fragte ich an. Die Antwort auf mein Ersuchen war vergleichsweise schroff. Sinngemäss teilte man mir mit, dass man nicht wisse, womit man mir behilflich sein könne und was ein Londoner überhaupt von Schwyz wissen wolle. Aber ich bestand darauf, dass ich mich tatsächlich sehr für die Schwyzer Raumplanung interessierte und bekam schliesslich doch noch eine Einladung zu einem Gespräch vor Ort.
Nach dieser Vorgeschichte erwartete ich einen eher frostigen Empfang, wurde jedoch positiv überrascht. Einen ganzen Tag nahm sich die Leitung des Raumplanungsamts Zeit, um mir ihre Arbeit und den Kanton vorzustellen. Am Ende fragte ich meine freundlichen Gastgeber, warum sie denn zunächst so gezögert hätten, mich überhaupt zu empfangen. «Ach, wissen Sie,» sagte mir der Amtsleiter, «wir erhalten regelmässig Anfragen aus dem Ausland, die Schwyz mit der Schweiz verwechseln. Und dann sind die Leute immer ganz enttäuscht, dass wir nicht der Bundesrat sind.»
In gewisser Weise scheint mir diese Begebenheit ein treffendes Licht auf den Schweizer Non-Zentralismus zu werfen. Aus schweizerischer Sicht kann man sich wohl kaum vorstellen, wie faszinierend, spannend und attraktiv die kleinteilige politische Gliederung des Landes in der Aussensicht erscheint – und dass man sich im Ausland durchaus für die Arbeit der Schweizer Kantone und Gemeinden interessieren, ja begeistern kann.
In der Schweiz selbst mangelt es nicht an kritischen Stimmen zur Kleinräumigkeit. Mit der Publikation «Baustelle Föderalismus» stiess Avenir Suisse vor einem Jahrzehnt eine Debatte zur Zukunft der Kantone und Gemeinden an. Seitdem sind noch einmal etwa 500 Gemeinden durch Fusionen verschwunden. Es muss leider auch konstatiert werden, dass dem Milizsystem die Freiwilligen ausgehen, was die Zukunftsfähigkeit kleiner politischer Einheiten infrage stellt. Zudem bleibt der Finanzausgleich zwischen den Kantonen ein leidiges Dauerthema. Und dennoch: Trotz aller offenkundigen Schwierigkeiten des Schweizer Regierungsmodells bleiben die Kleinteiligkeit und der Non-Zentralismus der Schweiz für mich ein leuchtendes Vorbild. Um das verstehen zu können, muss man sich nur einmal vor Augen führen, was die Alternative ist.
Ich habe in den vergangenen zehn Jahren in London, Sydney und Wellington gelebt und somit in Ländern, die allesamt stark zentralisiert sind. Daran ändert weder das Wiedererwachen des britischen «Lokalismus» noch der formal-existierende australische Föderalismus etwas. Neuseeland ist ohnehin eines der am stärksten zentralistisch aufgebauten Länder der Welt. In England, Australien und Neuseeland hätte ich mir «mehr Schweiz» gewünscht, denn die Fixierung auf die jeweilige Zentralregierung stellte sich als eines der grössten Hindernisse für die wirtschaftliche Entwicklung heraus. Es fehlen den zentralen Entscheidern nicht nur die Kenntnisse der örtlichen Gegebenheiten. Viel gravierender ist der Fiskalzentralismus, der dazu führt, dass die Gemeinden um die Früchte ihres Erfolges gebracht werden, wenn sie die erwirtschafteten Steuern in ferne Hauptstädte abführen müssen.
In allen drei Ländern habe ich immer wieder die Schweiz als Gegenentwurf empfohlen – gegen die Einfalt zentralistischer Bürokratien und für die Vielfalt bürgernaher, kleiner Einheiten. In Gesprächen mit neuseeländischen Spitzenpolitikern beispielsweise habe ich auch durchaus grosses Interesse am «Modell Schweiz» gefunden. Allerdings können diese sich nur schwer vorstellen, wie zum Beispiel ein lokaler und regionaler Steuerwettbewerb in der Praxis funktionieren kann. Die beste Möglichkeit wäre eine Studienreise in die Schweiz mit guten Gesprächen in den Gemeinden und Kantonen. Vorausgesetzt natürlich, dass sich dort Ansprechpartner für einen Gedankenaustausch finden.
Dr. Oliver Hartwich ist geschäftsführender Direktor des in Wellington ansässigen Think Tanks «The New Zealand Initiative». Der deutsche Ökonom und Jurist war Berater im britischen House of Lords, Chefökonom am Londoner Think Tank «Policy Exchange» und Wirtschaftsforscher am «Centre for Independent Studies» in Sydney.