In der Schweiz sind Instrumente der direkten Demokratie wie Volksinitiative und Referendum auf allen Staatsebenen stark verankert. Im internationalen Vergleich ist ihre Bedeutung unerreicht. So entfielen von den weltweiten Referenden auf nationaler Ebene zwischen 1980 und 2020 rund 30 Prozent auf die Schweiz, obwohl das Instrument weltweit an Bedeutung gewonnen hat.

Die Bürger zahlen, das Parlament bestimmt

Im Arsenal der Volksrechte klafft auf Bundesebene dennoch eine Lücke, die es zu schliessen gilt. Im Gegensatz zu Kantonen und Gemeinden hat der Bund bisher auf die Einführung eines (fakultativen) Finanzreferendums verzichtet. Seit dieses vor 15 Jahren letztmals im Parlament diskutiert und schliesslich abgelehnt worden ist, wird das Anliegen weitgehend ignoriert. Neue Anläufe werden jeweils im Keim erstickt, indem Vorstössen im Parlament erst gar nicht Folge geleistet wird.

Dieses Verhalten nährt den Verdacht, dass der institutionelle Mangel der Politik gelegen kommt – zumal aus demokratiepolitischer Warte nichts gegen eine stärkere Mitsprache der Bürger in finanzpolitischen Belangen spricht. So würde kaum jemand die Legitimität des Instruments auf kantonaler und lokaler Ebene bestreiten. Es entspricht im Gegenteil der politischen Kultur in der Schweiz, dass sich beispielsweise die Bündner zum Kantonsbeitrag an olympische Winterspiele äussern können oder dass die Aufstockung des Beitrags an den Ausbau des Genfer S-Bahnnetzes die Volkshürde nehmen musste.

Prävention gegen Ausgabenexzesse

In vergangenen Debatten hiess es oft, das Instrument sei in der Praxis aufgrund der höheren Transferausgaben des Bundes ungeeignet. Tatsächlich könnte man den Aufgabenschwerpunkt des Bundes eher im sozialstaatlichen Bereich als bei der Bereitstellung öffentlicher Konsum- und Investitionsgüter verorten. Dieser Grundsatz wird allerdings auf vielfältige Weise durchbrochen. Mit Blick auf klassische öffentliche Güter verfügt der Bund etwa über Kompetenzen in der Aussen-, Umwelt-, Verteidigungs- oder Verkehrspolitik.

Ein Blick auf die Wunschzettel der politischen Interessvertreter zeigt, dass sich in allen Aufgabenfeldern erheblicher «Bedarf» an zusätzlichen Investitionen finden lässt. Am stärksten vermutlich beim Klimaschutz, wo dank grossangelegter Konjunkturprogramme à la «Green New Deal» nicht nur dem Klimawandel, sondern auch dem Markt Einhalt geboten werden soll. Angesichts des parteipolitischen Aktivismus wäre es wünschenswert, grössere Weichenstellungen dem Souverän vorzulegen.

Mit der Schuldenbremse verfügt der Bund zwar bereits über ein effektives Disziplinierungsinstrument gegen eine Übernutzung staatlicher Ressourcen. Der Zweckmässigkeit eines Finanzreferendums tut dies jedoch keinen Abbruch. Es wäre vielmehr ein komplementäres Instrument: Während die Schuldenbremse ein quantitatives Ausgabenlimit setzt und damit die institutionelle Asymmetrie zwischen Einnahmen- und Ausgabenbeschlüsse adressiert, ermöglicht das Finanzreferendum die qualitative Mitsprache zu konkreten Geschäften. Anders ausgedrückt: Steuererhöhungen brauchen die Zustimmung von Volk und Ständen, während Ausgabenaufstockungen per einfacher parlamentarischer Mehrheit möglich sind.

Breite Anwendung, hohe Kreditlimiten

Wie sähe ein solches Instrument auf Bundesebene idealerweise aus? Erstens sollte das Referendum nicht nur gegen Verpflichtungskredite, sondern auch gegen Zahlungsrahmen (vgl. Box) ergriffen werden können. Das war ein Manko der vor 15 Jahre diskutierten Vorlage, die das fakultative Referendum nur für Verpflichtungskredite vorsah. Damit wären gewichtige Ausgaben etwa im Bildungs- oder Agrarbereich, die in der Regel per Zahlungsrahmen finanziert werden, vom Referendumsdruck ausgenommen gewesen.

Finanzbeschlüsse auf Bundesebene

Mit Annahme des Voranschlags beschliesst das Parlament jährlich das Budget des Bundes. Die hier skizzierte Referendumsmöglichkeit würde mit Verpflichtungskredit und Zahlungsrahmen Finanzbeschlüsse mehrjähriger Natur betreffen, die dem Parlament einzeln vorgelegt werden. Verpflichtungskredite betreffen oft Bau- und Beschaffungsvorhaben (z.B. für die Armee), aber auch Bürgschaften und Beiträge an internationale Zusammenarbeit. Zahlungsrahmen definieren Höchstbeträge, für welche die jährlichen Kredite mit dem Voranschlag bestätigt werden. Sie werden oft für Ausgaben im Bildungs-, Verkehrs- oder Agrarbereich gesprochen.

Zweitens wäre das fakultative Finanzreferendum namentlich als Kontrollmittel für kostenintensive Geschäfte sinnvoll. Die Kreditlimiten sollten also nicht zu tief angesetzt sein, um den Gesetzgebungsprozess mit der doppelten Möglichkeit von Gesetzes- und Finanzreferendum nicht zu stark zu verlangsamen. Denkbar wäre eine Schwelle ab 500 Mio. Fr. für einmalige und 100 Mio. Fr. für wiederkehrende Finanzbeschlüsse.

In der 50. Legislaturperiode (2015–2019) wären so 39 Beschlüsse mit Ausgaben im Umfang von rund 130 Mrd. Franken referendumsfähig gewesen (vgl. Abbildung). Es ist davon auszugehen, dass nur gegen einen geringen Teil dieser 39 Beschlüsse tatsächlich erfolgreich das Referendum ergriffen worden wäre, denn der Prozess ist kostspielig und die politischen Akteure würden sich auf erfolgsversprechende Anliegen konzentrieren. In der genannten Legislaturperiode wäre das Referendum möglicherweise gegen den Beitrag an die Entwicklungshilfe ergriffen worden, dessen Kürzung im Parlament nur knapp scheiterte. Erhöhte Erfolgschancen auf ein Volksveto hätten sich Referendumsführer auch bei der Aufstockung des Rüstungsprogramms («Duro-Sanierung») ausrechnen können.

Insgesamt wären aber zahlreiche Aufgabengebiete von der Referendumsfähigkeit einzelner Finanzbeschlüsse betroffen. Während die genannten Geschäfte tendenziell dem Interessensbereich eines bestimmten politischen Lagers zugeordnet werden können, präsentiert sich die Ausgangslage bei Beschlüssen in den Bereichen «Bildung und Forschung» oder «Verkehr» ausgeglichener.

Das fakultative Finanzreferendum auf Bundesebene würde die institutionellen Rahmenbedingungen stärken, ohne Interessen einseitig zu tangieren. Man darf allerdings bezweifeln, ob das reicht, die Bedenken der Bundespolitiker gegen eine Ausweitung des Volksvetos zu zerstreuen.

Sommerserie: Vergessene Reformen – Reformen zum Vergessen

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