In der öffentlichen Debatte werden regelmässig mit Verweis auf diverse «Lücken» von der Politik Gegenmassnahmen eingefordert: Um die Stromlücke zu schliessen, müssen bestimmte Energieformen gefördert werden, um die Facharbeiterlücke zu schliessen, braucht es mehr Zuwanderung etc. Eine solche Betrachtung ist jedoch unökonomisch, denn das Konzept der Lücke suggeriert, dass es einen fixen Bedarf für bestimmte Güter gibt: Da grundsätzlich jeder Mensch von den meisten Dingen gerne mehr hätte, gibt es ökonomisch gesehen aber keinen absoluten «Bedarf», sondern nur eine relative «Nachfrage». Man käme ja auch nicht auf den Gedanken, eine «Rolexlücke» oder «Ferrarilücke» zu beklagen, nur weil sich viele Menschen den Wunsch nach solchen Luxusgütern nicht erfüllen können.

In freien Märkten ist die Höhe der Nachfrage immer eine Funktion des Preises, und es ist Aufgabe des Preismechanismus, Angebot und Nachfrage ins Gleichgewicht zu bringen. Gerade die Knappheit der Ressourcen und die sich daraus ergebende Notwendigkeit, Regeln für ihre Verteilung zu finden, ist der Ursprung der Ökonomie. Sie ist eine «Wissenschaft des Mangels». Weil es von Vielem zu wenig gibt, liegt der Fokus der ökonomischen Analyse auf Konzepten wie Ressourcen-Allokation (wofür setzt man begrenzte Mittel ein?), Effizienz (wie maximiere ich den Output bei gegebenem Input?), Trade-offs (wie optimiere ich im Falle von Zielkonflikten?) und Opportunitätskosten (wie viel vom Einen muss ich aufgeben, um mehr vom Anderen zu erhalten?).

Ökonomisch gesehen ist die Lücke ein «Nachfrageüberhang» und der dadurch verursachte Preisanstieg ist ein wichtiges Signal. Durch höhere Facharbeiterlöhne erhalten Jugendliche einen Anreiz, bestimmte Berufe zu erlernen, durch steigende Strompreise lohnt sich die Investition in neue Kraftwerke oder das Energiesparen. Volkswirtschaftlich problematisch wird ein Nachfrageüberhang erst, wenn das Angebot wenig elastisch oder nur mit starker Zeitverzögerung auf den Preis reagiert. So dauern die Ausbildung von Ingenieuren oder Investitionen in den Kraftwerkpark viele Jahre. Bei einem solch unelastischen Angebot kommt es häufig zu einem erheblichen Preisanstieg, der wiederum einen schmerzhaften Strukturwandel (z.B. eine Abwanderung von Arbeitsplätzen) zur Folge haben kann.

In Märkten, auf die dies zutrifft oder auf denen das Angebot massgeblich von der Politik bestimmt (z.B. im Bildungssystem) wird, kann eine Früherkennung bevorstehender Nachfrageüberhänge – etwa durch den Ausstieg aus der Kernkraft oder die Pensionierung geburtenstarker Jahrgänge –sinnvoll sein. In der Praxis jedoch wird die Debatte um vermeintliche Lücken oft von Partikularinteressen forciert, die für ihre Branche Sonderkonditionen wünschen. Und manche Lücken werden sogar erst durch staatliche Eingriffe erzeugt, etwa wenn durch Regulierungen Preissignale unterdrückt werden. Ökonomisch spricht also einiges für einen grösseren Mut zur Lücke.