Es ist Wahljahr, Zeit, Geschenke zu verteilen. So wurde im Ständerat unlängst die Motion Salzmann beinahe geräuschlos angenommen, die eine Ausweitung des Grenzschutzes für Gemüse verlangt. Damit wäre der Handel gezwungen, für eine noch längere Zeitperiode als bis anhin inländische Produzenten zu berücksichtigen. Denn sobald die ersten Blätter eines Gemüses zaghaft durch die heimische Scholle brechen, wird die Grenze dichtgemacht: Der Importzoll für das gleiche Gemüse aus dem Ausland steigt in schwindelerregende Höhen. Aufrechte Schweizer sollen nur Schweizer Gemüse essen. 

Sonne ist nachhaltiger

Politisch begründet wird die offensichtlich protektionistische Massnahme u.a. mit der Nachhaltigkeit. Dabei ist längst widerlegt, dass inländische Ware per se weniger umweltschädlich ist als importierte. Nicht der Transport, sondern die Produktionsmethode entscheidet bei der CO2-Bilanz. So werden hierzulande noch viele Gewächshäuser fossil beheizt, unter Spaniens Sonne ist solches nicht nötig. Die Gemüsebranche scheint ein Angebotsproblem zu haben: So ist die Gemüseanbaufläche in den letzten 30 Jahren um ein Drittel gestiegen, die Fläche in Gewächshäusern sogar um knapp zwei Drittel. Gleichzeitig wuchs die Bevölkerung «nur» um rund einen Viertel – es gibt mehr angebautes Gemüse pro Person. Der Ruf nach dem Staat, um die gestiegene Menge doch noch verkaufen zu können, ist deshalb nicht weit. 

Text. (Chantal Garnier, Unsplashed)

Es ist längst widerlegt, dass inländisches Gemüse per se weniger umweltschädlich ist als importiertes. (Chantal Garnier, Unsplashed)

Ebenfalls ein Angebotsproblem haben die Schweinemäster. In ökonomischen Lehrbüchern ein Klassiker: der Schweinezyklus. Die Branchenorganisation Suisseporcs warnte ihre Mitglieder mehrmals und vergeblich vor einem Überangebot – heute sind die Handelspreise im Keller und manch ein Betrieb nagt am Existenzminimum. Reaktion: Ruf nach dem Staat. Das Bundesamt für Landwirtschaft – korrekterweise müsste man von den Steuerzahlenden sprechen – unterstützt die Einfrieraktion von Schweinefleisch finanziell, insgesamt stehen dafür 3,1 Mio. Franken zur Verfügung. Damit wird ein Teil der Überproduktion jetzt vom Markt genommen, um später verkauft zu werden.  

Koteletts im Kälteschock

Manch ein Schweinekotelett, das bei den bald wieder steigenden Aussentemperaturen auf dem Grill landet, dürfte also zuvor Monate im Kälteschock gelegen haben. Im Fachjargon wird dies als «Marktentlastungsmassnahme» bezeichnet. Der Staat greift in den Markt ein, der dank Grenzschutz für Fleischprodukte schon vorher kein richtiger Markt war, und raubt ihm mit einer Massnahme, die das Wort «Markt» im Namen führt, den letzten Anschein eines offenen Marktes. Dies ist keine Ausnahme, die Begriffe des landwirtschaftspolitischen Instrumentariums der Schweiz erinnern an «Newspeak» (Neusprech), der sprachpolitisch umgestalteten Sprache in George Orwells dystopischem Roman «1984». 

Der tägliche Wahnsinn, der sich auf unseren Äckern und in den Ställen abspielt, lässt sich exemplarisch am Dokument «Landwirtschaftliches Verordnungspaket 2023» festmachen, das soeben publiziert wurde. Auf 291 Seiten (2022: 215 Seiten) werden die aktuellen rechtlichen Änderungen minutiös aufgelistet – man stelle sich vor, wie viele Verwaltungsangestellte daran arbeiteten und wie viele tausend Höfe und Unternehmen sich in Zukunft daran halten müssen: Bei der «Abgabe von Hofdünger in Säcken, der nicht durch Vergärung aufbereitet wurde, muss die Sackaufschrift zusätzlich zu den allgemeinen Kennzeichnungsanforderungen folgende Angaben enthalten», heisst es da zum Beispiel. Es folgt die Aufzählung der bereitzustellenden Informationen. «Mist!» mag manch Betroffener bei der Umsetzung denken. 

Ökologische Konsequenzen der Selbstversorgung

Damit nicht genug: Die Schweiz soll sich in Zukunft qua Politik und Gesetze wieder in einen Zustand der Vergangenheit zurückentwickeln. So forderten 50 Parlamentsmitglieder letzten Herbst eine ausserordentliche Session zur Versorgungssicherheit, um fünf parlamentarische Vorstösse dazu zu beraten. Ziel: den Selbstversorgungsgrad der Schweiz erhöhen. Eine im letzten Sommer angekündigte Volksinitiative aus dem rechten Lager will dies gar mit einem konkreten Zielwert in der Verfassung festschreiben; der Selbstversorgungsgrad soll netto mindestens 60% betragen. Ein Wert, der mit einer geringeren Bevölkerung als heute letztmals vor Jahrzehnten regelmässig erreicht wurde. Dies hiesse nicht nur eine intensivere Landwirtschaft mit entsprechenden ökologischen Konsequenzen, sondern auch eine Anpassung der Ernährungsgewohnheiten: weniger Südfrüchte und mehr Kartoffeln. Was das rechte Lager an Bevormundung von links («Veganismuspflicht») kritisiert, würde so mit einer anderen Zielsetzung durch die Hintertüre von rechts eingeführt. 

Die statistische Grösse «Selbstversorgungsgrad» führt in die Irre. Denn sie sagt nichts darüber aus, wie gut eine auf sich gestellte, autarke Landwirtschaft die eigene Bevölkerung ernähren könnte. So wird die Herkunft vieler Hilfsstoffe und Vorprodukte für die inländische landwirtschaftliche Produktion nicht angerechnet: Dünger, Saatgut, Pflanzenschutzmittel, Tierarzneien, Traktoren, Treibstoff oder auch die Küken für die Aufzucht werden grossmehrheitlich aus dem Ausland importiert. Die Erhöhung der Selbstversorgung steigert die Abhängigkeit vom Ausland; nicht bei den End-, sondern bei den Vorprodukten. 

Konsumenten bezahlen die Zeche

Es ist Wahljahr und damit nicht nur Zeit für Geschenke an die eigene Klientel, sondern auch, um wahltaktische Allianzen zu schmieden. Dabei werden die politischen Gemeinsamkeiten betont und Differenzen übertüncht. Doch die Interessen unserer wertschöpfungsstarken, international vernetzten Exportwirtschaft lassen sich langfristig kaum mit landwirtschaftlichem Protektionismus vereinen. Vor dem Hintergrund des geschwächten multilateralen Ansatzes werden für exportorientierte kleinere Länder wie die Schweiz bilaterale Handelsabkommen immer wichtiger. Dabei wird es zusehends schwieriger, die Importhürden für Agrargüter aufrecht zu halten, da Handelspartner ihre Beseitigung als Bedingung für ein Abkommen fordern.

Es sieht nicht danach aus, gerade auch im Lichte der aktuellen agrarpolitischen Entscheide und Diskussionen, dass der ausgetretene, volkswirtschaftlich schädliche Pfad der bisherigen Agrarpolitik verlassen werden dürfte. Während man für die Stützung der Landwirtschaft höhere Konsumentenpreise in Kauf nimmt, pocht man anderswo – beispielsweise bei den Energiekosten – darauf, die Haushalte in Zeiten der Inflation zu entlasten. Die Steuerzahlenden, Konsumierenden, Exportunternehmen und nicht zuletzt auch die Umwelt dürften im Wahlherbst vergebens auf eine Neuorientierung hoffen.