Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) hat an der Delegiertenversammlung vom letzten Freitag sein AHVplus-Konzept vorgestellt. Angesichts der prekären finanziellen Zukunftsaussichten der AHV hätte man vom SGB die Forderung nach einer Konsolidierung der ersten Säule erwarten können, die zwar einen Ausbau der Leistungen für tiefere Einkommen vorsieht, jedoch gleichzeitig Abstriche für andere Bevölkerungsgruppen bedingt. Das wäre für eine Gewerkschaft immerhin nachvollziehbar. Wer solche Vorschläge erwartet, wird jedoch enttäuscht. Der SGB schlägt ausschliesslich Massnahmen zum Ausbau der AHV vor und blendet dabei die finanziellen Schwierigkeiten der ersten Säule vollständig aus.
3,5 Lohnprozente für die Stabilisierung der AHV
Schon jetzt steht die im Umlageverfahren finanzierte AHV vor massiven Herausforderungen: Die durchschnittliche Lebenserwartung bei Rentenantritt ist seit Einführung der AHV im Jahr 1948 um 7 Jahre (bzw. 50%) gestiegen. Zusammen mit einer starken Reduktion der Geburtenrate führt dies dazu, dass 1948 noch 6 Personen in erwerbsfähigem Alter einem Rentner gegenüberstanden, heute sind es nur noch 3,4, und bis 2040 werden es sogar bloss ungefähr zwei sein.
Das Bundesamt für Sozialversicherungen erwartet bis zum Jahr 2030 ein negatives Umlageergebnis von 8 Mrd. Fr. Gemäss Berechnungen von Avenir Suisse, basierend auf dem mittleren Bevölkerungsszenario des Bundesamtes für Statistik, ist sogar ein Fehlbetrag von 12 Mrd. Fr. nicht auszuschliessen.
Will man weder Leistungen kürzen noch das Rentenalter erhöhen, müssen die AHV-Beiträge massiv erhöht werden, um das finanzielle Gleichgewicht zu sichern. Avenir Suisse schätzt diesen Finanzierungsbedarf langfristig auf 3,5 Lohnprozente oder 4 Mehrwertsteuerprozente. Was als absolute Prozentzahl nach wenig klingt, ist relativ gesehen jedoch beträchtlich. Heute werden 8,4 Lohnprozente für die AHV erhoben. Eine Erhöhung um 3,5 Prozentpunkte entspricht also einer Zunahme der AHV-Abgaben um 42%.
In der Schweiz fällt kein Manna vom Himmel
Unbeachtet dieser Sachlage schlägt der SGB in seinem neuen AHVplus-Konzept keine Konsolidierungsmassnahmen vor, ganz im Gegenteil. Gleich vier Varianten werden präsentiert, die alle die AHV im Giesskannenprinzip ausbauen wollen. Die Minimalvariante sieht die Einführung eines 13. AHV-Monatslohns (jährliche Zusatzkosten: 2,9 Mrd. Fr.) vor, die Maximalvariante strebt eine Erhöhung der Jahresrente um 25% (jährliche Zusatzkosten: 11,5 Mrd. Fr.) an. Die dafür notwendigen zusätzlichen Lohnbeiträge sind beträchtlich: 0,9% für die minimale bzw. 3,5% für die maximale Variante.
Diese Erhöhung der Lohnbeiträge schreckt selbst den SGB ab, der deshalb das Kind lieber nicht beim Namen nennt. Daher wird die bittere Pille versüsst, in dem man immer nur die Hälfte der Beiträge erwähnt, die dafür paritätisch finanziert werden sollten. So spricht der SGB zum Beispiel bei der Maximalvariante von «für Arbeitgeber und Arbeitnehmer je 1,75% zusätzlichen Lohnprozenten», statt gleich die 3,5% zu nennen.
Die Mittel für die Finanzierung dieser Vorhaben fallen jedoch nicht vom Himmel. Will der SGB die heutigen AHV-Leistungen beibehalten und das Rentenalter bei 65 belassen, braucht es zuerst einmal 3,5% Lohnbeiträge, um die AHV-Finanzen zu stabilisieren. Will er dazu noch seine AHVplus-Vorschläge umsetzen, landet man schliesslich bei AHV-Beiträgen zwischen 12,8% und 15,4% des Lohns. Das ist eine stolze Zahl verglichen mit den heutigen 8,4% (siehe Abbildung).
Konkret führen diese zusätzlichen Lohnbeiträge zuerst einmal zu kleineren verfügbaren Einkommen der aktiven Bevölkerung und zu einer weiteren Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit des Werkplatzes Schweiz. Mehr Leistung kostet immer etwas. Oder erwartet der Gewerkschaftsbund 3‘000 Jahre nach Moses wieder ein Wunder?