Zunächst einmal gilt es festzuhalten, dass das aktuelle System der Verkehrsfinanzierung keineswegs fair ist. Oder kann man es als fair betrachten, dass Bahnfahrer weniger als die Hälfte ihrer Kosten zahlen und den Rest auf den Steuerzahler abwälzen? Ist es fair, dass Autofahrer externe Kosten verursachen (Staus, Unfälle, Umweltverschmutzung), die nur zum Teil abgegolten werden? Ist es fair, dass Pendler gleich dreifach privilegiert werden: durch subventionierte Mobilität, durch Mengenrabatte wie das GA und durch einen Pendlerabzug bei der Steuer? Ist es fair, dass Rentner Preisrabatte erhalten – unabhängig vom Einkommen, nur weil sie ein bestimmtes Alter überschreiten?
Auf ihren «Fairnessgehalt» werden in der öffentlichen Debatte meist nur die Vorschläge für Reformen getestet, nicht jedoch der politische Status quo. Auch die Kritik an der vermeintlichen Ungerechtigkeit der Reformvorschläge zum Mobility Pricing ist häufig wenig stichhaltig.
Behauptung 1: Mehr Benutzerfinanzierung im Verkehr ist unfair
Beim Mobility Pricing geht es im Kern um die Umschichtung der Verkehrsfinanzierung von Steuern hin zu Benutzerabgaben. Dies sollte aufkommensneutral erfolgen, also insgesamt nicht zu höheren Staatseinnahmen führen. Steigende Benutzerabgaben gilt es durch entsprechende Steuersenkungen an anderer Stelle zu kompensieren. Da sich durch verbesserte Anreize Kosten in Milliardenhöhe einsparen liessen, wäre unter dem Strich sogar eine Entlastung des Durchschnittsbürgers möglich. Zwischen den verschiedenen Gruppen kann es jedoch zu Verteilungseffekten kommen.
Bestimmte Verteilungseffekte sind durchaus gewollt: Wer mehr Mobilität konsumiert, sollte mehr zahlen. Das ist schliesslich bei Elektrizität, Nahrungsmitteln, Kleidung und anderen Gütern des täglichen Bedarfs auch so. Unbeabsichtigte Verteilungswirkungen der Umschichtung sollten jedoch soweit wie möglich neutralisiert werden – auch, um die politische Akzeptanz der Reformen zu erhöhen. Es scheint sinnvoll, die Steuersenkungen vor allem auf Arbeitnehmer mit unteren und mittleren Einkommen zu konzentrieren und verbleibende Subventionen zielgerichteter auf klar definierte Gruppen zu fokussieren (z.B. Behinderte oder Schüler und Lehrlinge in der Ausbildung).
Behauptung 2: Höhere Mobilitätskosten benachteiligen die Randregionen
Zunächst einmal gilt bisher genau das Gegenteil: Die Verkehrsinfrastruktur in der Schweiz wurde in den letzten Jahrzehnten massiv ausgebaut und die starken Verkehrssubventionen bedeuten eine Bevorteilung der Peripherie gegenüber den städtischen Zentren. Eine moderate und schrittweise Erhöhung der Mobilitätskosten würde also vor allem eine bestehende Verzerrung korrigieren.
Zudem stellt sich die Frage, wer in den Agglomerationen von den Verkehrssubventionen profitiert. Zu einem erheblichen Teil sind dies die dortigen Grundstückeigentümer, denn Zentrumsnähe wird im Bodenpreis kapitalisiert. Eine Studie der Zürcher Kantonalbank zufolge erhöht beispielsweise eine Reduktion der Fahrzeit ins Zentrum von Zürich von 30 auf 20 Minuten den Bodenpreis innerhalb der Agglomeration um fast 50 Fr./m2 (siehe Abb.) – bei einer Parzelle von 1000 m2 entspricht dies einem Mehrwert von 50‘000 Fr.
Avenir Suisse stellt eine finanzielle Unterstützung der Randregionen nicht grundsätzlich in Frage. Wenn man diesen Gebieten mit Steuergeldern helfen wollte, dann gäbe es jedoch vielfach effektivere Massnahmen als immer neue Verkehrsinvestitionen. Nehmen wir beispielsweise den Kanton Jura, wo derzeit 6,3 Mrd. Fr. in den Bau einer wenig befahrenen Autobahn investiert werden. Mit deutlich geringeren Summen liesse sich mit Investitionen in Schulen und andere Bildungseinrichtungen für die wirtschaftliche Entwicklung der Region vermutlich mehr bewirken.
Behauptung 3: Höhere Preise in der Rushhour sind unfair, denn die Pendler haben keine Wahl
Diese Kritik ist vom Grundsatz her berechtigt, aber auch in diesem Fall lohnt sich genaueres Hinschauen: Einerseits trägt die billige Mobilität zu den wachsenden Pendlerdistanzen bei, denn sie verzerrt Entscheidungen zur Wohnort- und Arbeitsplatzwahl. Diese Fehlanreize gilt es zu korrigieren.
Andererseits ergibt sich die Notwendigkeit für höhere Preise in der Rushhour aus der sehr ungleichmässigen Auslastung der Infrastruktur und den dadurch bedingten Überlastungen während der Stosszeiten. Unter diesen Engpässen leiden vor allem die Pendler. Insofern stellt sich für sie die Frage, was ihnen wichtiger ist: billige oder stressfreie Mobilität?
In der schwedischen Hauptstadt Stockholm beispielsweise wurde 2006 eine Maut für Fahrten in die Innenstadt eingeführt, die – zwecks Stauvermeidung – während der Stosszeiten teurer ist. Zunächst stiess dies bei der Bevölkerung auf grosse Ablehnung. Als sich nach einer Testphase jedoch die stauvermeidende Wirkung der Maut zeigte, schlug die Stimmung um: Inzwischen ist die überwiegende Mehrheit der Stadtbewohner für die Strassengebühr, und keine politische Partei fordert mehr ihre Abschaffung.
Es ist auf jeden Fall sinnvoll, Mobility Pricing schrittweise einzuführen, damit Pendler auch Zeit haben, ihr Mobilitätsverhalten anzupassen. Zudem sind auch die Arbeitgeber gefordert, die Arbeit zu flexibilisieren (Gleitzeit, Home-Office) und somit ihren Mitarbeitern die Chance zu geben, ausserhalb der Rushhour zu pendeln.
Fazit:
- Mobility Pricing sollte so ausgestaltet werden, dass es nicht zu unerwünschten Verteilungseffekten führt. Das ist grundsätzlich möglich.
- Der Status quo der Verkehrsfinanzierung birgt selber viele Ungerechtigkeiten, die sich durch mehr Kostenwahrheit korrigieren liessen.
- Bei genauerem Hinsehen müssen einige der Gerechtigkeitskategorien hinterfragt werden, mit denen in der öffentlichen Debatte um das Mobility Pricing operiert wird.