Frei nach Goethe ist Energie das neue Gold. Während der Preis des Edelmetalls in den letzten zwölf Monaten stagnierte, gingen die Preise für Strom, Gas und Erdöl durch die Decke. Nicht nur die höheren Energiekosten machen der Wirtschaft zu schaffen, sondern auch die markant gestiegene Volatilität. Angesichts der Ausgangslage läuft die Politik europaweit zur gesetzgeberischen Hochform auf.
Bereits heute sind die politischen Eingriffe in den Schweizer Energiemarkt erheblich, beim Strom dürfte der «Markt» aufgrund der beabsichtigten Regulierungen vollends zur staatlichen Veranstaltung werden. Im Kern soll der Preismechanismus ausgehebelt werden, denn «nach Energie drängt, an der Energie hängt doch alles» – so etwas Wichtiges darf nicht den marktwirtschaftlichen Kräften von Angebot und Nachfrage überlassen werden. Politik ist gut darin, Handlungsbedarf aus Einzelschicksalen abzuleiten. Ob ein generelles Problem besteht, ist dabei oft zweitrangig.
Denn die aktuell exorbitanten Preise für Elektrizität dürften nur für eine Minderheit der Unternehmen wirklich existenzbedrohend sein. Die Bedingungen dafür wären: Das Unternehmen bewegt sich im freien Markt, wählt seinen Stromanbieter also selbst aus und ist nicht freiwillig in der Grundversorgung geblieben. Das betreffende Unternehmen hat den Strom kurzfristig und nicht in Tranchen eingekauft. Ausserdem kann es die Stromnachfrage nicht rasch und substanziell reduzieren, und die finanziellen Reserven verunmöglichen mittelfristig die Begleichung der gestiegenen Stromkosten. Wenn dieses Unternehmen schliesslich auch noch im internationalen Wettbewerb steht und die Konkurrenten über tiefere Energiepreise verfügen, kann es die Mehrkosten nicht auf seine Kunden abwälzen. Es ist also eine Vielzahl an Bedingungen, die erfüllt sein müssen, um in eine echte Notsituation zu geraten.
An politischen Vorschlägen fehlt es nicht, wie der Wirtschaft zu helfen sei. Dabei werden populistische Wortschöpfungen wie «Übergewinne» kreiert, die von den Profiteuren der Energiekrise – ironischerweise mehrheitlich im Besitz von Kantonen und Gemeinden – abgeschöpft und an notleidende Unternehmen verteilt werden sollen. Dies führt zu neuen Marktverzerrungen. Unternehmen, die vorausschauend Strom beschafft und sich abgesichert haben, werden dabei gegenüber der sich risikoreicher verhaltenden Konkurrenz benachteiligt. Zusätzlich werden den Stromversorgern bei diesem Ansatz finanzielle Mittel entzogen, um Investitionen zu tätigen. Dabei wäre der Ausbau der Elektrizitätserzeugung eine dringliche Notwendigkeit.
Auch die oft geforderte Deckelung des Strompreises ist nicht zielführend. Die aktuell hohen Preise signalisieren, dass Elektrizität knapp ist. Die Anreize sind hoch, Energie sparsam und effizient einzusetzen. Eine Deckelung steigert die Nachfrage nach Strom gegenüber einer freien Preisbildung, dabei sollten wir doch in der aktuellen Situation Energie einsparen. Politisch wird mit einer Deckelung somit ein Fehlanreiz kreiert. Dazu gehören auch viele laufende Subventionsprogramme, wie die durch die Steuerzahlenden des Kantons Zürich finanzierte Prämie für den Einbau von Ladestationen für Elektrofahrzeuge. Sie wurde politisch beschlossen, als bereits klar war, dass der Strom knapp werden könnte.
Auch die durch die Wirtschaft selbst vorgeschlagene Rückkehr notleidender Unternehmen in die Grundversorgung setzt die falschen Signale. Die Abmachung Ende der 2010er Jahre bei der Marktöffnung für Grossverbraucher lautete: «einmal frei, immer frei». Das heisst, Grossverbraucher können jederzeit von der Grundversorgung in den freien Markt wechseln, dann aber ist eine Rückkehr ausgeschlossen. Dies hat gute Gründe: Elektrizitätsunternehmen mit einer Mehrzahl an Kunden im regionalen Monopol beschaffen in der Regel ihren Strombedarf in Tranchen zwei bis drei Jahre im Voraus. Dies glättet Preissprünge – sowohl gegen oben als auch gegen unten.
Wenn nun Grossverbraucher bei steigenden Preisen wieder in die Grundversorgung zurückkehren, müssen die Versorger den dafür nötigen Strom kurzfristig am Markt einkaufen. Dies erhöht die Durchschnittskosten für alle Kunden des Stromunternehmens, also auch für die gebundenen. Im Gegensatz zu den Grossverbrauchern haben sie aber keine Ausweichmöglichkeit. Freier Markt bei sinkenden, Grundversorgung bei steigenden Preisen – eine solche Forderung ist dem Image der Wirtschaft nicht zuträglich. Schlimmer noch, sie unterminiert den Glauben an die Überlegenheit marktwirtschaftlicher Lösungen.
Unternehmen im freien Markt haben jahrelang von tiefen Strompreisen profitiert. Es ist eine originäre unternehmerische Aufgabe, die finanziellen Risiken zu managen und die Beschaffungsseite im Griff zu haben. Händler auf dem freien Strommarkt bieten genügend Produkte an, um den Strompreis auch für Grossverbraucher berechenbar zu machen. Die aktuelle Situation mag aussergewöhnlich sein, es handelt sich aber nicht um ein Marktversagen. Ein staatlicher Eingriff ist deshalb nicht nötig. Die hohen Preise setzen Anreize, selbst Energie zu produzieren, sie einzusparen oder effizienter zu verwenden. Etwas, was die seit Jahrzehnten laufenden, staatlich alimentierten Energieprogramme nur in Ansätzen schafften. Das Preissignal wirkt, wir sollten es nicht politisch abregulieren.