Wilhelm Röpke (1899-1966) ist einer der geistigen Väter der «Sozialen Marktwirtschaft». Der liberale Nationalökonom musste 1933 vor den Nazis aus Deutschland nach Istanbul fliehen. 1937 führte ihn sein Weg nach Genf, wo er bis 1966 am «Institut universitaire de hautes études internationales» lehrte. Als Wissenschaftler und politischer Berater prägte er die Entwicklung im Nachkriegsdeutschland massgeblich. Röpke beschäftigte sich ausgiebig mit den entscheidenden Fragen «Jenseits von Angebot und Nachfrage» – und so lautet auch der Titel eines seiner bekanntesten Bücher. Die zunehmende Mathematisierung der Ökonomie war ihm ein Dorn im Auge.
«Der Schluss ist unausweichlich, dass die Wissenschaft – obenan die „moralischen“ Wissenschaften, zu denen die soziale Wissenschaft einschliesslich der Jurisprudenz gehört – untrennbar mit Werturteilen verknüpft ist und jedes Streben, sie zu eliminieren, wird immer nur in Absurdität enden. Die wirkliche Frage kann also nur lauten, an welcher Stelle innerhalb der Gruppe der Werturteile die Grenzlinie zu ziehen ist, d. h. welche Arten von Werturteilen wissenschaftlich legitim sind und aus welchem Grunde.»
«So ist denn mit allem Nachdruck zu sagen, dass uns die Wissenschaft keinen Ersatz für die Massstäbe unseres Urteils geben kann, die wir nur jenem überwissenschaftlichen Bereich des Geistigen, Moralischen und Religiösen entnehmen können, wo wir uns zwischen Gut und Böse, Humanem und Inhumanem, Schönem und Hässlichem und anderen Polen der Werte entscheiden müssen. „Dynamik“, „Fortschritt“, „wirtschaftliches Wachstum“, „Entwicklung“, „Grosse Gesellschaft“ und was auch immer die Ziele sein mögen, die man vor uns aufpflanzt und in deren Licht man die Zukunft leuchten lässt, alles bleibt völlig leer, wenn wir keine Antwort auf den Sinn des Ganzen wissen, ja eine solche Frage nicht einmal zuzulassen geneigt sind. Aber dem Vertreter der Sozialwissenschaften steht es nicht schlecht an, vor einer solchen philosophischen Leere als einer wahren Berufskrankheit zu warnen, die in unseren Reihen wie eine Seuche um sich greift.»
«Wenn Menschen nicht mehr prinzipiell denken können, wenn sie den Überblick über die grossen und allgemeinen Zusammenhänge verlieren, wenn sie den roten Faden nicht mehr sehen, der durch alles hindurchläuft, wenn sie Wesentliches und Unwesentliches nicht mehr unterscheiden können, wenn ihr Denken in Teile zerbröckelt, die nicht mehr zusammengehören, so nennen wir einen solchen Prozess unhöflich, aber treffend: Verdummung.»
«Nationalökonomisch dilettantischer Moralismus ist ebenso abschreckend wie moralisch abgestumpfter Ökonomismus. Ethik und Nationalökonomie sind gleich schwierige Materien, und kann die erste nicht der unterscheidenden und sachgerechten Vernunft entraten, so die andere nicht der menschlich wärmenden Werte.»
«Die kritische Besinnung muss davon ausgehen, dass die Nationalökonomie selbstverständlich keine Naturwissenschaft („science“ im französisch-angelsächsischen Sinne), sondern eine Geisteswissenschaft ist und es als eine solche „moral science“ mit dem Menschen als einem geistig-moralischen Wesen zu tun hat … Sie erlaubt es in der Tat, die Mathematik zur Veranschaulichung und zur präzisen Formulierung quantitativer Funktionsbeziehungen heranzuziehen, und wenige Nationalökonomen unserer Zeit werden eine solche Verwendung völlig verwerfen wollen. Aber gerade diese Methode ist deshalb so fragwürdig, weil sie Unvorsichtige verleitet, die gefährliche Grenzzone – die Zone zwischen dem Menschlichen und dem Mechanischen – allzu weit ins Reich des Mechanisch-Statistisch-Mathematischen vorzutreiben und das, was sich diesseits der Grenze befindet, das Unmathematisch-Menschliche, Geistige und Moralische und deshalb entschieden Nicht-Quantifizierbare zu vernachlässigen. Auf einen mehr als gelegentlichen und illustrativen Gebrauch dieser naturwissenschaftlich-technischen Methoden sollte man um so eher verzichten, als der mögliche Gewinn in einem starken Missverhältnis zum Aufwand und zu den Gefahren steht.»
Diese Zitate von Wilhelm Röpke stammen aus dem Buch «Das Mass des Menschlichen – Ein Wilhelm-Röpke -Brevier» von Gerd Habermann (Hrsg.), publiziert in der Reihe «Meisterdenker der Freiheitsphilosophie» bei NZZ Libro.
In dieser Artikelreihe über Klassiker der liberalen Schule, deren Aussagen bis heute Gültigkeit haben, erscheinen auch Texte von Adam Smith, Benjamin Constant, Lord Acton, Ludwig von Mises, Alexander Rüstow, Ludwig Erhard, Friedrich August von Hayek sowie Milton Friedman.