Gemäss der jüngsten Swisscanto-Studie hat ein Arbeitnehmer, wenn er heute einer Pensionskasse beitritt, die keine Massnahmen ergriffen hat, in 40 Jahren eine um 27,9% tiefere Rente in Aussicht als diejenige, die im Rahmen desselben Vorsorgeplans noch vor zehn Jahren ausgeschüttet worden wäre. Es ist kaum verwunderlich, dass eine solche Aussage zu viel medialem Aufruhr geführt hat. Bei genauerer Lektüre relativiert sich die Aufruhr jedoch. Die Kirche bleibt im Dorf.
Denn in Wahrheit bezieht sich die erwähnte Reduktion von 28% auf die Differenz zwischen dem im Jahr 2009 von den Pensionskassen tatsächlich angewendeten durchschnittlichen Umwandlungssatz von 6,74% – der jedoch im Vergleich zum damaligen technischen Zinssatz zu hoch war – und einem hypothetischen, aber versicherungstechnisch korrekten Satz von 4,86% im Jahr 2018. Swisscanto weist so berechtigterweise auf den tiefgreifenden Strukturwandel hin, der in der Branche stattgefunden hat. Das Unternehmen zeichnet die Lage jedoch überspitzt, indem ein vor zehn Jahren praktizierter Satz mit einem theoretischen Wert von heute verglichen wird.
Zweites Problem: Der Umwandlungssatz alleine macht die Höhe der Renten noch nicht aus. Die Rente ergibt sich aus dem Vorsorgekapital, multipliziert mit dem Umwandlungssatz. Geht eine Senkung mit der Erhöhung des Altersguthabens einher, so kann das Niveau der Renten gehalten werden.
Das halbvolle Glas
Mit anderen Worten, die Umwandlungssätze sinken zwar stetig, aber die Ersatzquoten – also das Verhältnis zwischen Rente und letztem Lohneinkommen – bewegte sich von 2009 bis 2013 konstant um 80% herum. Seither findet allerdings, wieder gemäss Swisscanto, eine Verschiebung nach unten statt.
So lag 2018 die Ersatzquote durch AHV und 2. Säule bei insgesamt «nur» noch 69%. Die Gänsefüsschen sind insofern wichtig, als wir hier das halbvolle Glas sehen müssen. Denn obwohl die Lebenserwartung seit 2009 um fast ein Jahr gestiegen ist, kann das Schweizer Vorsorgesystem seine Verpflichtungen weiterhin erfüllen. Eine Ersatzquote von 69% liegt nämlich immer noch deutlich über dem ursprünglichen Ziel von 60%, das bei der Einführung der beruflichen Vorsorge im Jahr 1985 definiert wurde.
Das Reglement ist das eine…
Die obenerwähnten Ersatzquoten basieren auf der Annahme, dass ein Arbeitnehmer über seine ganze berufliche Laufbahn hinweg 80’000 Franken verdient. Davon ausgehend werden dann für die teilnehmenden Pensionskassen die momentan entsprechenden reglementarischen Renten berechnet.
Die Studie ermöglicht also «bloss» einen Vergleich von Reglementen, was schon eine bemerkenswerte Leistung ist. Sie sagt jedoch nichts aus über die reale Entwicklung der einzelnen Renten. Tatsächlich kann ein Versicherter im Laufe seiner Karriere von einer grosszügigen Kasse zu einer BVG-Minimalkasse wechseln und umgekehrt. Die Auswirkungen einer Scheidung, eines Unterbruchs zwecks beruflicher Umschulung oder eines reduzierten Beschäftigungsgrads werden nicht berücksichtigt. Gemäss Bundesamt für Sozialversicherungen sind die Durchschnittsrenten in der 2. Säule bis 2007 gestiegen und sinken seither leicht, um jährlich 0,5%.
Führen heisst vorausschauen
Das Kapitaldeckungsverfahren der 2. Säule befindet sich also tatsächlich unter Druck, aber momentan hält es diesem dank den von den umhüllenden Pensionskassen getroffenen Massnahmen noch stand. Solange die Vorsorgeguthaben nach Abzug der Teuerungs- und Verwaltungskosten noch positiv rentieren, hat es also durchaus seine Daseinsberechtigung, wenigstens für die Dauer des Sparprozesses.
Das Problem beginnt bei der Verrentung: Solange die Politik den realitätsfremden Umwandlungssatz nicht korrigiert, werden die Quersubventionierungen zulasten der Aktiven die Rendite auf deren Guthaben belasten und so ihre Rentenerwartungen schmälern. Ironischerweise gilt gerade die Sicherung dieser Renten oft als Vorwand für die politische Weigerung, die Umwandlungssätze korrekt anzusetzen. Zudem wird der wachsende Anteil an Teilzeitarbeitenden bei den Frauen, aber immer mehr auch bei den Männern den Graben zwischen der aufgrund eines Vollzeiteinkommens errechneten Rente und den individuellen Gegebenheiten einer zunehmenden Anzahl Versicherter weiter öffnen. Eine Senkung des Koordinationsabzugs, der heute die Teilzeitarbeitenden benachteiligt, könnte dieser Entwicklung bis zu einem gewissen Grad entgegenwirken. Hoffen wir, dass sich die Politik dazu durchringen kann, diese Stellschraube richtig zu regeln.
Dieser Beitrag ist in der Novemberausgabe der Zeitschrift «Schweizer Personalvorsorge» erschienen.