Initiativen sind ab und zu gut für eine Überraschung. Das kann man jedoch vom Ergebnis des letzten Abstimmungssonntags zur Bundeserbschaftssteuer nicht behaupten. Die angekündigte Ablehnung reiht sich in eine lange Serie von Niederlagen für die Vertreter von mehr Umverteilung und höheren Vermögenssteuern ein. Ähnlich deutlich wurden zuletzt die 1:12-Initiative, die Mindestlohninitiative und die Abschaffung der Pauschalbesteuerung vom Volk verworfen.

Manche Initianten waren wohl vom Neidmotiv getrieben: Lieber hätten sie eine insgesamt ärmere, dafür gleichere Schweiz. Doch viele Sympathisanten der einen oder anderen Initiativen waren vor allem darum besorgt, das Schicksal der Haushalte mit bescheidenem Einkommen zu verbessern. Diese «progressiven» Kräfte mögen nun durch die erneute Niederlage entmutigt worden sein – doch es gibt auch andere Möglichkeiten. Die Kaufkraft der einkommensschwachen Haushalte kann auch auf liberalem Weg erhöht werden, ohne neue Steuern. Dazu vier konkrete Massnahmen:

  1. Agrarschutz abbauen: In der Schweiz geben die 20% ärmsten Haushalte 13% ihres Einkommens für Nahrungsmittel aus, fast doppelt so viel als im Durchschnitt der Haushalte. In keinem anderen Land (ausser in Norwegen und Japan) ist aber der Agrarschutz so stark. Zölle auf dem Import von Lebensmitteln verteuern die Lebenshaltungskosten. Wegen diesem Schutz sind die an einheimische Produzenten bezahlten Preise rund 50% teurer als Importe. Davon würden die Ärmeren überproportional profitieren, denn bei ihnen würden die tieferen Lebensmittelpreise stärker einschlagen. Wohl kaum eine andere Politik ist derart unsozial wie unsere Landwirtschaftspolitik. Das kümmert die Bauernlobby jedoch wenig: Nach der Quasi-Abschaffung des Cassis-de-Dijon-Prinzips, droht nun mit der Initiative zur «Sicherung» der einheimischen Lebensmittelproduktion bereits die nächste Verteuerungsrunde bei den Nahrungsmitteln.
  2.  Mehr Wohnungen bauen: Auch die Wohnkosten belasten die bescheidenen Einkommen überproportional stark: Rund 30% des Einkommens geben die 20% ärmsten Haushalte dafür aus, 10 Prozentpunkte mehr als im Mittel. Neue internationale Studien zeigen, dass die Erhöhung der Boden- und Immobilienpreise am meisten zur Verschärfung der Vermögensungleichheiten beiträgt. Wer sich also gegen Verdichtungen in den Städten stark macht, unterstützt die höheren Mieten. Das gilt auch für die Vertreter eines extremen Umweltschutzes, der jede Erschliessung von neuem Bauland kategorisch ablehnt – sogar dann, wenn Einzonungen in unmittelbarer Nähe von Grossagglomerationen geplant sind und kaum zur Zersiedlung der Landschaft zusätzlich beitragen.
  3.  Paternalistische Steuerpolitik meiden: Das Streben nach einer risikofreien Gesellschaft hinterlässt Spuren im Budget. Die Alkohol- und Tabaksteuern sowie die Kosten der Spielsuchtprävention belasten die tiefen Einkommen übermässig. Gemäss der Verbrauchserhebung des Bundesamtes für Statistik geben die Haushalte mit den 10% tiefsten Verdiensten prozentual drei Mal mehr für diese stark besteuerten «Sündengüter» aus als die reichsten 10%. Über die «erzieherische» Wirkung dieser Abgaben streiten sich die Geister – der Anteil der Raucher ist in den letzten 20 Jahren praktisch unverändert geblieben.
  4.  Zuwanderung nicht drosseln: Studien haben gezeigt, dass die anhaltend starke Zuwanderung von hochqualifizierten Arbeitnehmern aus dem EU-Raum in die Schweiz insgesamt einen positiven Einfluss auf die tiefen Löhne ausübte. Lohndruck gab es – wenn überhaupt – eher bei den hochqualifizierten Einheimischen. Die neue Zuwanderung hat also die tiefen Löhne gestützt. Dies ist nicht so sehr auf fragwürdige «flankierende Massnahmen» zurückzuführen als vielmehr auf die komplementäre Beziehung zwischen Zuwanderern und wenig Qualifizierten. Im Klartext: Nimmt die Anzahl der deutschen Ingenieure in der Schweiz zu, steigt die Nachfrage nach den Dienstleistungen von Taxifahrern, Bauarbeitern und Verkaufspersonal. Diese hätten im Fall einer Einschränkung der Zuwanderung am meisten zu verlieren.

Das sind nur einige unter vielen möglichen Massnahmen, wie man ohne jegliche Erhöhung der Transferzahlungen die Lage der einkommensschwachen Haushalte spürbar verbessern könnte. Dass ausgerechnet jene Kreise, die sich angeblich für die Interessen der sozial Benachteiligten einsetzen, dem Abbau des Agrarschutzes, der vereinfachten Verdichtung, oder preissenkenden Liberalisierungen oft skeptisch gegenüberstehen, ist ein Paradox. Einige würden sogar von einem Widerspruch sprechen.