Für die Schweizer Handelsdiplomaten wird es zusehends schwieriger, Freihandelsabkommen (FHA) – heute oft auch umfassende Handels- und Wirtschaftsabkommen genannt – abzuschliessen, da diese viel mehr als den Warenaustausch betreffen. Sie bräuchten die Möglichkeit, Zugeständnisse im Agrarbereich zu machen bzw. den Marktzugang für Agrarprodukte zu ermöglichen. Gleichzeitig wird die Lage für die Schweiz aufgrund des international steigenden Protektionismus schwieriger (vgl. Textbox unten).

Aktive Marktöffnungsstrategie

Priorität in den Verhandlungen über ein FHA haben Länder, mit denen die Schweiz bereits über einen regen und wachsenden Austausch verfügt. Das Agrarkapitel darf dabei nicht mehr eine Blockade für den erfolgreichen Abschluss darstellen, sondern die Schweiz soll aktiv eine Marktöffnungsstrategie verfolgen.

Das Schweizer Netz an FHA weist bis heute grosse Löcher auf. Folgende Länder sollten aufgrund ihrer wirtschaftlichen Bedeutung (Importe und Exporte von Waren) für den Abschluss neuer Abkommen im Fokus stehen (vgl. Grafik):

  • Die Vereinigten Staaten sind nach Deutschland der zweitgrösste Handelspartner der Schweiz, und der wechselseitige Austausch lag zwischen 2008  und  2017 mit 4,9% pro Jahr weit über dem Durchschnittswachstum von 0,3%, das die Schweiz im gesamten Aussenhandel erzielt. Exploratorische Gespräche über ein FHA scheiterten 2006 insbesondere am Widerstand der Schweizer Agrarlobby. Zurzeit finden erneut exploratorische Gespräche statt.
  • Der Mercosur (Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay) ist der zweitwichtigste FHA-Kandidat für die Schweiz. Als Mitglied der Efta verhandelt die Schweiz zurzeit einen solchen Vertrag. Einer der grössten aktuellen Knackpunkte auf Schweizer Seite ist die Erhöhung der Zollkontingente für eine freie Einfuhr von Agrarprodukten aus den Mercosur-Ländern.
  • Die Zollunion zwischen Russland, Belarus und Kasachstan ist der drittwichtigste Handelspartner, mit dem noch kein FHA besteht. Verhandlungen finden statt, sind aber aus politischen Gründen unterbrochen. Aufgrund wirtschaftlicher Sanktionen war das Handelswachstum mit Russland in den letzten Jahren sogar rückläufig.
  • Indien ist der viertwichtigste Kandidat. Zwar war das Wachstum des Warenaustausches in den letzten zehn Jahren wegen der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise leicht rückläufig, dennoch verspricht der Markt aufgrund der schieren Grösse ein grosses Potenzial für Schweizer Unternehmen. Aktuell sind Gespräche über ein Abkommen im Gang.
  • Taiwan liegt auf Rang fünf – das Handelswachstum war auch hier überdurchschnittlich, Verhandlungen werden aber aufgrund des von China zu erwartenden Widerstands keine geführt.
  • Australien ist der sechstwichtigste «Potenzialmarkt» ohne FHA, ebenfalls mit einem überdurchschnittlichen Handelswachstum. Es finden zurzeit keine Gespräche zwischen der Schweiz und Australien über Freihandel statt. Die EU hingegen führt bereits Verhandlungen, parallel dazu übrigens auch mit Neuseeland.
  • Auf den Rängen sieben bis zehn liegen Thailand, Vietnam, Malaysia und Indonesien. Mit den drei erstgenannten Ländern verhandelt die Schweiz zurzeit im Rahmen der Efta über ein FHA, mit Indonesien wurde ein solcher Vertrag bereits unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert. Die Gespräche mit Thailand sind aus politischen Gründen unterbrochen, das Abkommen mit Malaysia könnte am Thema Palmöl (vs. Schweizer Rapsöl) scheitern.

Eine Nachfolgelösung nach dem Brexit ist mit dem Vereinigten Königreich bereits aufgegleist, aber noch nicht implementiert. Die Briten gehören zu den wichtigsten Handelspartnern der Schweiz. Auch hier lag das Handelswachstum mit 1,1% pro Jahr bisher über dem allgemeinen Durchschnitt.

Die Schweiz gerät zwischen die Fronten

Der multilaterale Ansatz des Freihandels, wie er im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) umgesetzt werden soll, stockt seit Längerem. Im Gegenzug haben sich grosse Handelsblöcke wie die EU / EWR, Nafta, Apta oder die Asean herausgebildet. Weitere, grosse plurilaterale Abkommen wie die transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP), die Transpazifische Partnerschaft (TPP) oder die Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) werden diskutiert bzw. sind angedacht, auch wenn sie vorerst auf Eis liegen.

Die Schweiz gehört der Europäischen Freihandelsassoziation (Efta) an, einem im internationalen Vergleich wirtschaftlich relativ kleinen und wenig integrierten Handelsblock. Nicht zu unterschätzen ist deshalb das Risiko, dass die Schweiz handelspolitisch zusehends in Bedrängnis gerät. Bei einem ausgewachsenen Handelskonflikt zwischen grossen Wirtschaftsräumen wie den Vereinigten Staaten, China und der EU könnte die die Schweiz – z.B. aufgrund der Handelsumlenkung (Trade Diversion) – aussen vorstehen.

Um den Anschluss nicht zu verlieren, hat die Schweiz in der Vergangenheit bereits ein grundsätzlich dichtes Freihandelsnetz gesponnen: Es umfasst aktuell 71 Länder, darunter Schwergewichte wie die Nachbarländer (im Rahmen des FHA mit der EU), China oder Japan. Aber viele dieser Abkommen sind bereits älteren Datums (z.B. FHA mit der EU von 1973) und fokussieren auf Industriegüter, oder die FHA wurden mit Staaten abgeschlossen, die über komplementäre Agrargüter verfügen (z.B. tropische Früchte), oder es wurden nur zollfreie Einfuhrkontingente gewährt, d.h. die mengenmässige Einfuhr wurde begrenzt. Uneingeschränkten Freihandel mit substitutiven Agrargütern kennt die Schweiz bis heute mit keinem anderen Land.

Weiterführende Informationen finden Sie in der Studie «Eine Agrarpolitik mit Zukunft».