Der Klimawandel ist eine der grossen Herausforderungen unserer Zeit. Die USA haben mit dem Inflation Reduction Act (IRA) und die EU mit dem Net Zero Industry Act (NZIA) umfangreiche Subventionsprogramme aufgegleist, um dagegen vorzugehen. Diese industriepolitischen Massnahmen führen allerdings zu Konflikten mit dem multilateralen Handelssystem, und angesichts der zunehmenden Rivalität zwischen Grossmächten drohen die globalen Märkte weiter zu fragmentieren.
Damit stellt sich die Frage: Könnte der Klimaschutz handelspolitisch vorangetrieben werden, ohne auf protektionistische und industriepolitische Instrumente zurückzugreifen? Eine Möglichkeit bietet die Liberalisierung des Handels mit Umweltgütern. Es sollte erwogen werden, das Abkommen zur Abschaffung von Zöllen auf Umweltgüter (Environmental Goods Agreement, EGA) wieder auf die Agenda der WTO zu setzen.
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Doch was genau ist ein Umweltgut? Diese Frage ist nicht so einfach zu beantworten.1Umfassende Ausführungen finden sich im Handbuch für die Datenerhebung- und analye für die Umweltgüter und -dienstleistungsindustrie der OECD von 1999. Grundsätzlich handelt es sich um ein Gut, das dem Schutz der Umwelt oder der Erhaltung der natürlichen Ressourcen dient. Doch wie so oft steckt der Teufel im Detail. Die Nomenklatur des Harmonisierten Systems (HS), die standardisierte numerische Methode zur Klassifizierung von Handelswaren, kennt so etwas wie «grüne» Güter nicht. So können z.B. bestimmte Schalldämpfer sowohl in Windkraftanlagen als auch in Flugzeugen eingesetzt werden.2Ein Beispiel für die Liberalisierung von Umweltgütern findet sich im Asia-Pacific Economic Cooperation Agreement (Apec). Unter Umweltgütern versteht man dort 54 Produktkategorien, hauptsächlich Industriegüter.
Damit sind solche einfach klingenden Definitionsfragen bereits politisch aufgeladen. Tatsächlich ist der Handel mit umweltfreundlichen Gütern schon seit längerem ein Thema in der WTO. Plurilaterale Verhandlungen über ein entsprechendes Abkommen dazu begannen 2014, wurden jedoch 2016 aufgrund des berühmten «EU-China Bicycle Debacle» abgebrochen. China legte am letzten Tag der Ministerkonferenz eine neue Liste betroffener Produkte (darunter auch Velos) vor, die eine Einigung verunmöglichte.
Trotz des fehlenden Abkommens hat der Handel mit umweltfreundlichen Gütern nach Angaben der Welthandels- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen (UNCTAD) im Jahr 2022 mit einem Gesamtwert von 1,9 Billionen USD einen neuen Höchststand erreicht. Exportweltmeister bei Umweltgütern sind China und Deutschland, deren Anteil an den Gesamtexporten seit längerem steigt. In der Schweiz ist dieser Anteil hingegen rückläufig, was mit der starken Zunahme der Exporte von Nicht-Umweltgütern (z.B. Pharmazeutika), zusammenhängen dürfte.
Ein steiniger Weg
Eine Neuauflage des Environmental Goods Agreements stösst jedoch neben den Definitionsfragen auf zusätzliche Probleme. Erstens muss angesichts der rapiden technologischen Entwicklung ein Mechanismus gefunden werden, um die Listen kontinuierlich, unbürokratisch und unpolitisch aktualisieren zu können. Ein Negativbeispiel ist das Informationstechnologie-Abkommen von 1996, das die Zölle für eine breite Palette entsprechender Produkte abschaffen sollte. Danach dauerte es fast 20 Jahre, bis die Liste in zähen Verhandlungen aktualisiert werden konnte.
Zweitens fordern verschiedene Staaten (darunter die Schweiz) und die WTO-Direktorin eine Ausdehnung des Abkommens auf umweltfreundliche Dienstleistungen. Handelshemmnisse im Dienstleistungsbereich sind jedoch in der Regel nicht umweltspezifisch, was die Abgrenzung zusätzlich erschwert. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass gerade nicht-tarifäre Handelshemmnisse (z.B. intransparente Lizenzvergaben) den Handel mit umweltfreundlichen Dienstleistungen zusätzlich einschränken.
Drittens gilt es, den globalen Süden mit an den Tisch zu bringen. Das ist kein einfaches Unterfangen. Aufgrund niedrigerer Standards und weniger Industrie fehlt es diesen Staaten an Anreizen, in mögliche Verhandlungen zu investieren. Gerade hier liegt aber das grösste Potenzial, auch weil die Zölle auf Umweltgüter in diesen Staaten relativ hoch sind.
Angesichts dieser Herausforderungen sollte schliesslich denjenigen Gütern Priorität eingeräumt werden, die einen direkten und grossen Einfluss auf die Bekämpfung des Klimawandels haben. Der grösste Teil der CO2-Emissionen wird heute bei der Energieerzeugung und -nutzung freigesetzt, der zweitgrösste Teil in der Landwirtschaft und bei der Wald- und Landnutzung. Der Handel mit Gütern, die eine Reduktion in diesen Emissionskategorien bewirken können, sollte deshalb zuerst liberalisiert werden – Velos gehören nicht dazu.
Schritt für Schritt
Die WTO schätzt, dass die Abschaffung von Zöllen auf energiebezogene umweltfreundliche Güter aufgrund höherer Energieeffizienz zu 0,6 Prozent niedrigeren CO2-Emissionen führt. Dahinter stecken allerdings komplexe Berechnungen. Und auch die wirtschaftlichen Vorteile sind schwer abzuschätzen. Beide Vorteile hängen stark von den gehandelten Gütern und den beteiligten Staaten ab.
Gemäss einem Bericht der EU-Kommission auf Grundlage von 54 Unterpositionen des Harmonisierten Systems hätte ein Abkommen wahrscheinlich keine weitreichenden makroökonomischen Auswirkungen. Die an den Verhandlungen beteiligten Ländern hätten bereits sehr niedrige Zölle auf umweltfreundliche Güter. Hingegen könnte es für einzelne Produkte in bestimmten Staaten grosses Potenzial für Handelssteigerung geben. Das könnte z.B. der Fall sein, wenn China Importzölle für Wärmepumpen in der Höhe von 9 Prozent abschaffen würde.
Ob sich auf multilateraler Ebene etwas bewegen wird, scheint fraglich. Im Rahmen der Initiative für ein Abkommen über Klimawandel, Handel und Nachhaltigkeit ist die Schweiz gemeinsam mit Costa Rica, Fidschi, Island, Neuseeland und Norwegen im Bereich der Umweltgüter jedoch auf plurilateraler Ebene aktiv. An der WTO-Ministerkonferenz Ende dieses Monats soll ein Verhandlungsergebnis präsentiert und zur Teilnahme eingeladen werden.
Auch wenn ein solches Abkommen über Umweltgüter wahrscheinlich nur begrenzte Wirkung hätte und eine (politisch nur schwer durchsetzbare) globale CO2-Steuer wünschenswerter ist, könnte es ein Schritt in die richtige Richtung sein. Es wäre ein positives Signal, dass eine liberale Handels- und Klimapolitik in einem multilateralen Rahmen Hand in Hand gehen können.
[1] Umfassende Ausführungen finden sich im Handbuch für die Datenerhebung- und analye für die Umweltgüter und -dienstleistungsindustrie der OECD von 1999.
[2] Ein Beispiel für die Liberalisierung von Umweltgütern findet sich im Asia-Pacific Economic Cooperation Agreement (Apec). Unter Umweltgütern versteht man dort 54 Produktkategorien, hauptsächlich Industriegüter.