Die Schweizer Kantone geniessen dank dem föderalen System einen im internationalen Vergleich hohen Autonomiegrad. Das Pandemiemanagement bildet (nach Beendigung der «ausserordentlichen Lage») keine Ausnahme. Avenir Suisse nahm dies zum Anlass für ein neues «Kantonsmonitoring». Ziel des umfangreichen Berichts mit Primärdatenerhebung war für Studienautor Lukas Schmid die Suche nach den Lehren für zukünftige Krisenlagen – und punktuell auch für die grassierende fünfte Covid-19-Welle.

Mehr Tests – bessere Kontrolle

Um eine Pandemie unter Kontrolle zu halten, führt in der Praxis kein Weg an umfangreichen Tests in Kombination mit Contact-Tracing (CT) vorbei. Der Vergleich der Kantone zeigt hier klar: Ein hoher Einsatz bei dieser Aufgabe machte sich bezahlt: BS, BL, ZG und GR hielten das Infektionsgeschehen am besten unter Kontrolle, während JU, NE, OW, AG, SG, LU und SZ durch ihre zurückhaltendere Gangart mit höheren Inzidenzen konfrontiert wurden. Eine weitere Schlussfolgerung der Studie: Den wenigsten Kantonen gelang es, eine weitreichende dezentrale Testinfrastruktur aufzubauen. Mager ist die Bilanz besonders mit Blick auf das repetitive Testen in den Betrieben, das nur in GR funktionierte. Erschwerend kam hinzu, dass der Informationsfluss zwischen den Kantonen aufgrund unterschiedlicher CT-Systeme nicht gewährleistet werden konnte. Es braucht dringend ein bundesweites CT-System.

Riskanter Kapazitätsschwund auf den Intensivstationen

Eine vollkommene Überlastung des Schweizer Gesundheitswesens konnte bis dato knapp vermieden werden. Kantonal zeigten sich aber beträchtliche Unterschiede bei der Auslastung der Intensivstationen (IPS). Unterschiedlich verliefen auch die Auswirkungen auf die anderen Bereiche des Gesundheitssystems. Der Verdrängungseffekt (in Form der Verschiebung planbarer Eingriffe) blieb im Tessin und – trotz hoher Auslastung – auch in LU, GE und VD tief. Jedoch deuten die verfügbaren Daten mit Ausnahme von BS, SO und GR auf eine bisweilen vorkommende «stille Triage» in Spitälern auf dem Höhepunkt der Pandemie hin. Dass viele Kantone in der Krise die Kapazitäten auf den Intensivstationen nicht aufrechterhalten konnten, ist für den weiteren Pandemieverlauf wenig vorteilhaft.

Suboptimale Impfkampagnen

Die Impfung der Bevölkerung bietet den wichtigsten Hebel in der Pandemiebekämpfung. Bereits bei den ältesten Bevölkerungsgruppen, bei denen von einer hohen Impfbereitschaft ausgegangen werden kann, legten die Kantone unterschiedliche Geschwindigkeiten an den Tag. Am schnellsten impften die Kantone TI, ZG und FR, während die Kampagnen in OW und AI tiefe Impfquoten ergaben. Im Gleichschritt agierten die Kantone hingegen bei der Erhöhung der Impfbereitschaft und den damit unmittelbar zusammenhängenden Informationspflichten: Diese wurden schweizweit zu lange vernachlässigt. Der zögerliche Eindruck bleibt auch mit Blick auf das mangelhafte Tempo bei der Booster-Kampagne haften.

Stark unterschiedliche kantonale Handhabung der Härtefallhilfen

Mit den Härtefallhilfen zimmerten die eidgenössischen Räte ein flächendeckendes Unterstützungsprogramm zuhanden betroffener Unternehmen, wobei den Kantonen die Ausgestaltung der Entschädigungen für Betriebe mit weniger als 5 Mio. Fr. zukam, der Bund aber 70% der Finanzierung übernahm. Neben der Tatsache, dass À-fonds-perdu-Beiträge die dominante Form der Unterstützung wurden, ist die Verknüpfung der Unterstützungen mit der Dauer der Betriebseinschränkungen (anstatt mit den wirtschaftlichen Einbussen) in vielen Kantonen zu hinterfragen. Nur BS, GR, SO, VD und VS berechneten die Entschädigungen strikt nach wirtschaftlichen Kriterien. Da die Härtefallhilfen als Kriseninstrument für künftige Notlagen erhalten bleiben dürften, sind die Zielsetzung des Instruments und die Aufgabenteilung zwingend zu überdenken.

Der beste Umgang mit offenen Schulen

Der Entscheid über Öffnung bzw. Schliessung der Schulen liegt in der Kompetenz der Kantone. Nach der ersten Welle blieben die Schulen in den meisten Kantonen geöffnet – aus gutem Grund, war doch der Fernunterricht eine ausserordentlich grosse Belastung für das gesamte schulische Umfeld. Der Entscheid zu offenen Schulen wurde begleitet von Testregimes, die aber – in Abhängigkeit der eingesetzten finanziellen und personellen Ressourcen – sehr unterschiedliche Umfänge aufwiesen. Im Umfeld hoher Fallzahlen im Herbst 2021 testeten ZG und GR als einzige Kantone zwei Mal pro Woche. Solange die Pandemie fortdauert, wird Hybrid- bzw. Fernunterricht Realität bleiben – zumindest für jene Schüler, die sich für eine bestimmte Dauer in Quarantäne befinden.

Fazit: Kantonale Verantwortung stärken

Der Föderalismus hat den Lackmustest Pandemie überstanden. Das zeigt sich an den Vorreiterkantonen GR, TI und ZG, die bereichsübergreifend gut abschneiden. Die vergleichende Analyse belegt aber auch, dass die Herausforderungen in manchen Bereichen an der Grenze des Handhabbaren waren. Die Versäumnisse waren sowohl selbstverschuldet wie auch das Resultat institutioneller Mängel im heutigen föderalen System. Die zentralen Lehren aus der Krise sind:

  1. Gewissenhaftere Krisenvorsorge: Die Vorsorgeplanung im Gesundheitsbereich und im Bevölkerungsschutz wurde von den Kantonen inhaltlich zu wenig detailliert betrieben. Der Klärung von Zuständigkeiten bei der Ernstfallplanung wurde zu wenig Gewicht eingeräumt. Die Krisenvorsorge sollte auch die Planung für Notlagen unbekannter Art umfassen.
  2. Mehr Krisenbewusstsein und vorausschauendes Handeln: Mitunter fehlte das Bewusstsein für kurzfristig notwendige Schritte zur Eindämmung der Pandemie, etwa beim Contact-Tracing im Sommer 2020, dem fehlenden niederschwelligen Testangebot im Herbst 2020, den wenig kreativen Bemühungen um Erhöhung der Impfquote im Sommer 2021 oder der Booster-Impfung im Winter 2021/22. Das Wiegen in falscher Sicherheit mag mit der Lebenserfahrung der vergangenen Jahrzehnte in der Schweiz erklärbar sein, es hat sich in der Pandemie jedoch als ein schlechter Ratgeber erwiesen.
  3. Den Föderalismus durch Entflechtung stärken und die Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen klären. Beeinträchtigt wird die Wahrnehmung kantonaler Verantwortlichkeiten auch durch unklare Zuständigkeiten zwischen den Staatsebenen und die Fachdirektorenkonferenzen: Was in der Öffentlichkeit als «Zögern und Zaudern» der Kantone interpretiert wird, ist das Resultat der staatspolitisch kritisch zu betrachtenden Zwischenebene, die eine adäquate Entscheidungsfindung in den einzelnen Kantonen erschwert. Dies trifft besonders auf die Gesundheitsdirektorenkonferenz zu.