Manchmal dauert es etwas länger. Und zwar in zweierlei Hinsicht:

Einerseits bis man wahrgenommen wird: Ende Oktober 2018 publizierte Avenir Suisse ein Städtemonitoring, in dem – als einem von insgesamt 47 Indikatoren – auch die Geschwindigkeit des öffentlichen Verkehrs in den Schweizer Städten untersucht wurde. Am 30.6.2019, also 9 Monate später, publizierte die Tessiner Zeitung «il caffè» einen längeren Artikel zur Situation in Lugano, das in dieser Hinsicht das Schlusslicht der zehn untersuchten Städte bildet. Am 19.9.2019 doppelte schliesslich die «Basler Zeitung» (BaZ) für Basel nach, das sich ebenfalls in den hinteren Regionen des Feldes befindet.

Andererseits bis man mit besagtem ÖV ankommt: Die in den beiden Zeitungen zitierte Avenir-Suisse-Untersuchung weist nach, dass man mit dem ÖV nicht nur in den erwähnten, sondern eigentlich auch in allen anderen Schweizer Städten erstaunlich langsam unterwegs ist. Nämlich etwa mit 6 – 10 km/h, also kaum schneller als zu Fuss. Wie kamen wir auf diese Resultate, und wie ernst muss man sie nehmen?

Die Methodik

Ermittelt wurde die durchschnittliche Reisegeschwindigkeit, mit man mit Hilfe des ÖV innerhalb einer Stadt von Punkt A nach Punkt B gelangen kann. Diese ergibt sich aus dem Zusammenspiel verschiedener Faktoren: die Effizienz des Streckennetzes, das Mischverhältnis zwischen Bus, Tram und S-Bahn, die Fahrplantaktung, die Dichte an Haltestellen, oder auch z.B. die Verfügbarkeit von Busspuren.

Mithilfe von www.googlemaps.ch haben wir stichprobenartig Reisegeschwindigkeiten innerhalb des Stadtgebietes berechnet. Zu diesem Zweck wurden für jede Stadt nach dem Zufallsprinzip 20 Verbindungen ermittelt – je zehnmal von einer zufälligen Startadresse aus ins Zentrum (Bahnhof SBB) und je zehnmal von einer zufälligen Startadresse zu einer zufälligen Zieladresse. Als «Zufallsgenerator» für die Adressen diente ein Satz von 15 gängigen Namen[1], über die auf www.telsearch.ch Treffer gesucht wurden.[2]

Für all diese fiktiven Reisen galt die gleiche Startzeit (9 Uhr vormittags, am Donnerstag, 7. Juni 2018). Die Durchschnittsgeschwindigkeit[3] wurde für die gesamte Reisestrecke (Tür-zu-Tür) gemessen, also inklusive der Fusswege von und zu den Haltestellen sowie der Umsteige- und Wartezeiten. Damit ist also nicht nur die Fortbewegungsgeschwindigkeit der Verkehrsmittel entscheidend, sondern auch die Haltestellendichte, die Fahrplanfrequenzen und das Zusammenspiel der einzelnen Tram-, S-Bahn- und Buslinien. Es wurden nur Strecken mit einer Länge von mindestens 1 km ausgewertet, da kürzere Strecken von den meisten Personen ohnehin meist zu Fuss zurückgelegt werden. 

Die Resultate

Der Spitzenreiter Zürich erreicht auf den zwanzig[4] untersuchten Zufallsstrecken 10,4 km/h, Lugano am anderen Ende der Skala gar nur 5,6 km/h. Wenn man fit zu Fuss ist, bietet der ÖV in Lugano keinen zeitlichen Vorteil. In den anderen neun Städten schlägt der öffentliche Verkehr mit Durchschnittsgeschwindigkeiten von 7 bis 9 km/h immerhin die Fussgänger deutlich. Gegen das Velo jedoch hat der ÖV in Sachen Transportgeschwindigkeit in keiner einzigen Stadt eine Chance.

Durchschnittsgeschwindigkeit, in km/h (links) und korrigiert (Index, rechts)

Quelle: Eigene Berechnungen

Auf langen Strecken ist in der Regel eine höhere Geschwindigkeit möglich als auf Kurzstrecken – nur schon, weil auf Kurzstrecken die Geh- und Wartezeit deutlich stärker ins Gewicht fallen. Grossflächige Städte sind dadurch gegenüber kleinflächigeren Städten im Vorteil. Um einen «fairen» Städtevergleich zu ermöglichen, wurden die berechneten Geschwindigkeiten darum in einem zweiten Schritt um einen von der Streckenlänge abhängigen Faktor korrigiert.[5] Diese Korrektur für die Streckenlänge ändert am Ranking der Städte nicht viel. Die Rangfolge bleibt weitgehend unverändert, allerdings rücken die Städte näher zusammen. Lugano bleibt die langsamste Stadt für den ÖV; Basel, Genf, Biel, Lausanne, St. Gallen, Luzern und Winterthur liegen allesamt nahe beieinander, nur Bern und vor allem Zürich setzen sich etwas vom Feld ab.

Die Einordnung

Die BaZ zitierte für Basel einen Durchschnittswert von 6,55 km/h. Der ÖV in Basel scheint tatsächlich eher zur langsameren Sorte zu gehören, aber die 6,55 km/h sind ein (kleines) Missverständnis. Wir ermittelten für Basel eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 7,3 km/h. Die 6,55 «km/h» resultierten aus der beschriebenen Korrektur um die Streckenlänge – sie waren eher als Index (im Vergleich zur langsamsten Stadt – Lugano – mit 5,64 km/h) gemeint, und nicht als effektive Geschwindigkeit. Um diesem Missverständnis vorzubeugen, sind nun hier die nach Streckenlänge korrigierten Geschwindigkeiten nicht mehr in km/h angegeben, sondern als reine Indexwerte – mit Wert von 100 für Lugano.

Basel erreicht hier 116. Der ÖV in Basel ist also – korrigiert um den Effekt der Streckenlänge – um 16% schneller als jener in Lugano. Damit belegt Basel den 9. Platz unter 10 Städten. An dritter Stelle liegt Winterthur mit einem Indexwert von 126. Das sind nur zehn Prozentpunkte mehr als Basel. Wir haben keine statistische Analyse zu den Vertrauensintervallen durchgeführt, aber an dieser Stelle muss man wohl sagen: Angesichts der recht kleinen Stichprobe von 20 Verbindungen pro Stadt ist eine Differenz von 10 Prozentpunkten statistisch wohl nicht allzu signifikant.

Die Hauptaussage der Untersuchung gilt sicher: Der vielgelobte ÖV in den Schweizer Städten mag sicher, sauber und pünktlich sein – schnell ist er nicht. Ebenfalls haltbar ist sicher die Aussage, dass im Vergleich der Städte der ÖV in Zürich verhältnismässig schnell und in Lugano sehr langsam ist.

Die bevorstehende Aufgabe

Um für die dazwischen- und eng beeinanderliegenden Städte zuverlässigere Werte und damit Rangierungen zu erhalten, wäre eine umfassendere Untersuchung mit deutlich grösserer Stichprobe wünschenswert. Macht man das manuell wie beschrieben über telsearch.ch und googlemaps.com, ist das eine reine Fleissarbeit. Kompliziert ist es nicht, aber zeitaufwändig (20 Verbindungen für 10 Städte sind immerhin schon 200 Verbindungen). In Zeiten von Digitalisierung und Algorithmen ist allerdings anzunehmen, dass so eine Abfrage auch automatisiert möglich sein müsste. Ein entsprechend programmierter Algorithmus könnte wohl in Sekundenschnelle hunderte, ja tausende Zufallsverbindungen pro Stadt auswerten und damit ein äusserst präzises und zuverlässiges Bild der Transportgeschwindigkeit des städtischen ÖV zeichnen. Bei Avenir Suisse hat leider niemand die nötigen Programmier-Skills, um einen derartigen Algorithmus zu erstellen. Wer solche Fähigkeiten mitbringt, darf sich gerne bei uns melden!

[1] War der erste Treffer für den jeweiligen Namen eine Geschäftsadresse (statt eine Wohnadresse), so wurde trotzdem diese verwendet. Die Zufallswahl widerspiegelt damit gut «echte» Wegstrecken, die auch den Besuch von Ärzten, Anwälten und sonstigen Dienstleistern beinhalten.

[2] Damit ist auch gleich die Berücksichtigung der Bevölkerungsdichte bei der zufälligen Adressenauswahl garantiert. Würde die Zufallsauswahl nicht über das Telefonbuch, sondern geografisch auf der Karte erfolgen, so träfe man mit gleicher Wahrscheinlichkeit dünn- und dichtbesiedelte Gebiete, was kein repräsentatives Bild der tatsächlichen Transportbedürfnisse der Bevölkerung ergäbe.

[3] Zur Berechnung werden die Strecke und die Reisedauer ermittelt. Die Strecke entspricht der Gehdistanz zwischen Start und Ziel. Für die Reisedauer ausschlaggebend ist die Ankunftszeit mit jener Verbindung, die einen am frühesten ans Ziel bringt (unabhängig davon, wann das Verkehrsmittel startet).

[4] Um den Einfluss zufälliger Ausreisser zu verringern, wurden von den erhaltenden Werten jeweils der höchste und der niedrigste der zehn Verbindungen je Kategorie ignoriert und für die restlichen je acht der Durchschnitt gebildet. 

[5] Zeichnet man alle Geschwindigkeiten (Y-Achse) gegen alle Distanzen (X-Achse) in einem Streudiagramm ab, bestätigt sich die positive Korrelation von Distanz und Geschwindigkeit. Die Geschwindigkeit steigt aber natürlich unterproportional zur Distanz (bei proportionalem Anstieg wären die Reisezeiten im Erwartungswert für alle Distanzen dieselben). Nun muss also ein adäquater Korrekturfaktor bestimmt werden, durch den die Geschwindigkeit geteilt werden kann, um einen fairen Vergleich zu ermöglichen. Der Korrekturfaktor ist gefunden, sobald der Geschwindigkeitsindex nach Korrektur nicht mehr signifikant mit der Wegstrecke (S) korreliert ist. Das ist der Fall, wenn die Geschwindigkeit durch die dritte Wurzel der Wegstrecke geteilt wird. Also: VIndex=Veffektiv / S1/3

Weiterführende Informationen vgl. «20 Jahre Schweizer Stadtpolitik».