Nächstes Jahr werden in der Schweiz zum ersten Mal mehr Personen ihren 65. als ihren 20. Geburtstag feiern. Die damit einhergehende Pensionierungswelle der geburtenstarken Babyboomer-Jahrgänge wird den bereits herrschenden Fachkräftemangel spürbar verstärken. Zudem ist der Zugang zu ausländischen Arbeitskräften nach der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative ungewiss. Bis die Politik Massnahmen definiert und umgesetzt hat, bleibt die Unsicherheit gross, weshalb Unternehmen Lösungen im eigenen Einflussbereich suchen werden. Die Bindung älterer und mit den Aufgaben bestens vertrauter Mitarbeiter liegt dabei auf der Hand.

Sicherheit für alle Beteiligten

Gelänge es, jeden Neurentner lediglich zwei Monate länger im Arbeitsprozess zu halten, könnte im Nu ein Äquivalent von 5000 Vollzeitstellen pro Jahr besetzt werden, ohne ein Kontingent zu beanspruchen. Könnte jeder ältere Mitarbeiter ein Jahr länger mit einem Arbeitspensum von 50% beschäftigt werden, wären jährlich 15000 Stellen geschaffen. Das Riesen-Plus: Diese Mitarbeiter sind gut qualifiziert, kennen die betrieblichen Prozesse und sind loyal. Zudem werden sie in den folgenden Monaten kaum kündigen. Mit der Bindung älterer Mitarbeiter kann wertvolles Produkt-, Prozess-, Lieferant- und Kundenwissen erhalten bleiben. Gerade letzteres wird immer wichtiger, weil der Seniorenmarkt stark wächst und finanzkräftig ist. Ältere, vermögende Kunden wollen bei ihren Erb- und Finanzangelegenheiten, beim Kauf technischer Geräte oder bei Rennovationsarbeiten lieber durch ältere Mitarbeiter beraten werden, die eher ihre Bedürfnisse nachempfinden können, als durch junge.

Umdenken vorausgesetzt

Allerdings bedingt eine berufliche Beschäftigung im fortgeschrittenen Alter ein Umdenken – sowohl beim Arbeitnehmer als auch beim Arbeitgeber. Die Vorstellung eines mit dem Alter steigenden Lohnes ist immer weniger zeitgemäss, auch wenn solche Entlöhnungssysteme immer noch von 26% der Unternehmen praktiziert werden. Sie sind zu vermeiden, weil sie die Lohnkosten älterer Mitarbeiter verteuern und so ihre Verdrängung aus dem Arbeitsmarkt fördern. Sollen Arbeitnehmer auf steigende Löhne verzichten, braucht es auf der anderen Seite Arbeitsplätze, die Arbeiter wünschen sich z. B. mehr Zeitsouveränität in der Ausübung ihres Berufs, aber auch für Pflegetätigkeiten in der Familie. Sie möchten aber liebend gerne ihr Umfeld von ihrer Erfahrung und Wissen profitieren lassen. Eine Teilzeitanstellung- während der Woche oder während Produktionsengpässen – kann helfen, den Übergang in die Pension für den Arbeitgeber und den Arbeitnehmer sanfter zu gestalten.

«Seniorenjobs» sind nicht nur für Top-Kader mit akademischem Hintergrund, sondern auf allen Hierarchiestufen und in allen Branchen, im Dienstleistungssektor wie im Gewerbe, möglich (s. Box). Ältere Mitarbeiter sollten so eingesetzt werden, dass ihre Erfahrung am besten zur Geltung kommt. Sie können sich im Offertenwesen oder im Kundendienst engagieren, wo ihr Produkt- und Kundenverständnis besonders wertvoll ist. Bei der Instandhaltung älterer IT-Systeme oder Werkzeugsmaschinen ist es kostspielig, neue Mitarbeiter für wenige Einsätze auszubilden, während Ältere diese Tools noch aus dem Effeff kennen.

Wettbewerbsvorteile zum Nutzen aller generieren

Diese veränderten Anforderungsprofile für ältere Mitarbeiter bedingen möglicherweise neue Arbeitsprozesse. Sie ermöglichen es aber den Angestellten wie dem Unternehmen, Wettbewerbsvorteile zu generieren und diese zum Vorteil aller Beteiligten gewinnbringend einzusetzen.

Praxisbeispiele von Jobs für ältere Mitarbeiter

Produktion

  • Bäckereien können Produktionspeaks (zum Beispiel für das Oster- oder Weihnachtsgeschäft, für Wochenenden) dank dem punktuellen Einsatz älterer Mitarbeiter abfedern.
  • Autogaragen können auf Teilzeitbasis ältere Mitarbeiter für die Reparatur von «Oldtimern» engagieren.
  • Ähnlich können Werkzeugmaschinenhersteller die Instandhaltung älterer Maschinenmodelle sicherstellen.

Verkauf

  • Jelmoli verzichtet auf jüngere Mitarbeiter für den Verkauf von Modemarken, die auf ein älteres Kundensegment ausgerichtet sind.

Kundendiest

  • Die Hotline der Swisscom leitet Anrufe von 65-Jährigen und älteren Kunden an ein Team von Mitarbeitern weiter, die selbst über 50 sind.

Coaching/Ausbildung

  • ABB hat eine eigene Firma, Consenec, gegründet, die internen und externen Geschäftspartnern Beratungsdienste anbietet. Top-Kader ab 60 Jahren müssen dieser Firma beitreten.
Dieser Artikel erschein in der «Zürcher Wirtschaft» vom 16. Oktober 2014.