In der Bevölkerung scheint die hier jüngst präsentierte Idee einer kantonalen Steuerrückvergütung im Falle von ungeplanten Überschüssen auf Zuspruch zu stossen. Von knapp 5000 dem Blick antwortenden Lesern finden 84% ein solches Instrument eine gute Lösung, nur 12% sind davon nicht überzeugt. Etwas vorsichtiger war das Feedback von Journalisten und Experten. Ihre Bedenken wurden allerdings schon weitestgehend durch die vorgeschlagenen Modalitäten der Steuerrückvergütung adressiert. Im Folgenden haben wir die sieben am häufigsten genannten Bedenken etwas genauer angeschaut.

  1. «Lieber die Steuern regulär senken!»

Dieser Meinung sind wir auch. Der beste Weg, um zu verhindern, dass Steuerzahler zu viel für die vom Staat erbrachten Leistungen zahlen, wären eine möglichst realitätsnahe Budgetierung und Steuersenkungen, die den so offengelegten Überschüssen entsprechen. Das haben wir auch in unserer Analyse festgehalten.

In der Realität bestehen jedoch Mechanismen, die dem im Weg stehen. Politische Entscheidungsträger befürchten etwa, dass bei voreiligen Steuersenkungen das Geld in schlechteren Jahren schnell wieder fehlt – und der Kanton dann statt zu einer Steuererhöhung zum Sparhammer greifen würde. Die Hürden für eine Steuersenkung sind im politischen Alltag entsprechend hoch.

Das Instrument ist auch ziemlich träge: Von den ersten Diskussionen bis zur tatsächlichen Senkung können mehrere Jahre vergehen. Nicht zuletzt stellt sich die Frage nach dem Umfang der Steuersenkung. Darüber werden jeweils intensive Debatten mit den üblichen politischen Vorzeichen geführt. Die Steuerrückvergütung bietet sich daher als Second-Best-Lösung an, als Ansatz, der zeitnaher und weniger verpolitisiert ist, um die zwischenzeitliche Steuergerechtigkeit zu erhöhen.

Zwei Stapel mit Akten.

Es gibt keine Anzeichen für einen hohen bürokratischen Aufwand einer Steuerrückvergütung. (Adobe Stock)

  1. «Der administrative Aufwand für die Steuerrückvergütung ist viel zu hoch!»

Ja, den administrativen Aufwand gilt es im Auge zu behalten. Wer aber befürchtet, für die Rückvergütung extra Heerscharen von Beamten beschäftigen zu müssen, hat vermutlich eine wichtige Modalität nicht verstanden: Die Rückvergütung wäre nicht mit individuellen Rückzahlungen verbunden, sondern würde direkt im Rahmen der Steuerschlussrechnung saldiert.

Ein Beispiel: Ein Kanton hat einen Steuerfuss von 140%. Im Jahr 2023 wird ein ungeplanter Überschuss erzielt, der 5% aller Steuereinnahmen, auf die der kantonale Steuerfuss angewendet wird, entspricht. In der Steuerschlussrechnung für das Jahr 2023 (die erst verschickt wird, nachdem das Jahresergebnis bekannt ist) würde der Kanton seinen Steuerfuss entsprechend um 5% – nicht Prozentpunkte – senken. 5% von 140% sind 7 Prozentpunkte. Saldiert um die Steuerrückvergütung betrüge der Steuerfuss für das Jahr 2023 also noch 133%.

Es gibt Kantone, die ihren regulären Steuerfuss ziemlich oft anpassen. Schaffhausen hat seinen sogar in sieben aufeinanderfolgenden Jahren gesenkt. Dabei ist der administrative Aufwand offenbar nicht explodiert. Es leuchtet daher nicht ein, warum der administrative Aufwand für eine Rückvergütung, die nach dem gleichen Prinzip wie die Steuerfusssenkung erfolgt, plötzlich ausser Kontrolle geraten sollte.

  1. «Mit der Steuerrückvergütung können die Kantone keine Schulden mehr abbauen!»

Das ist falsch. Die Steuerrückvergütung würde – wie in unserer Analyse vorgeschlagen – bloss bei negativer Nettoverschuldung eines Kantons in vollem Umfang durchgeführt. Die Finanzdirektorenkonferenz (FDK) definiert schon einen Nettoverschuldungsquotienten von unter 100% des Fiskalertrags als komfortabel. Eine negative Nettoschuld übertrifft diese Forderung bei weitem. In dieser Situation übersteigt das Finanzvermögen des Kantons sein Fremdkapital. Er hat also ein Nettofinanzvermögen. Sollte der Kanton seine Bruttoschulden weiter abbauen wollen, dann wäre dafür eine Veräusserung von offenbar reichlich vorhandenem Finanzvermögen angebracht – ein Kanton ist schliesslich kein Hedge-Fund.

Ende 2022 wiesen 14 der 26 Kantone eine negative Nettoverschuldung auf. In 5 Kantonen liegt der Nettoverschuldungsquotient zwischen 0% und 100%, in 7 Kantonen liegt er über 100%. Die höchste Nettoverschuldung hat mit 190% der Kanton Genf. Weitere ungeplante Überschüsse würden hier also noch sehr lange in den Schuldenabbau fliessen, bevor die Steuerrückvergütung zum Thema würde.

  1. «Was ist aus dem Motto ‘Spare in der Zeit, so hast du in der Not’ geworden?»

Dieses Motto hat weiterhin Gültigkeit, und die Rückerstattung kratzt nicht daran. Die Kantone können in Boomphasen weiterhin sparen. Einige Schuldenbremsen, z.B. jene des Bundes, schreiben für die Hochkonjunktur explizit – also geplante – Überschüsse vor (und erlauben in Rezessionen geplante Defizite). Das ist auch mit der von uns vorgeschlagenen Steuerrückvergütung möglich. Die Rückvergütung soll nur bei ungeplanten, also nicht-budgetierten, Überschüssen stattfinden. Ein budgetierter Überschuss soll hingegen nicht rückvergütet werden.

Die Steuerrückvergütung nach Vorstellung von Avenir Suisse funktioniert nach folgendem Prinzip: Wenn der Kanton schon genug gespart hat, und wenn er einen Überschuss erzielt, der nicht beabsichtigt war, nur dann soll dieser Überschuss an die Steuerzahlenden zurückerstattet werden.

  1. «Wer Steuerrückvergütungen durchführt, muss auch Steuernachzahlungen einfordern!»

Ja, wie wir auch in unserer Analyse ausgeführt haben, wäre es nach theoretischer Logik konsequent, Defizite nachzufordern. Das ist allerdings in der Praxis nicht empfehlenswert und zum Glück auch nicht notwendig.

Nicht empfehlenswert wäre es erstens, weil ein solches Instrument prozyklisch wirkt: Die (Netto-) Steuerbelastung stiege in Rezessionen, was diese verstärken würde. Und zweitens, weil es aus staatsrechtlichen Gründen problematisch wäre: Es kratzt am Prinzip der Rechtssicherheit und reduziert die Planungssicherheit von Haushalten und Unternehmen.

Steuernachzahlungen sind allerdings aus finanzpolitischer Sicht auch nicht notwendig. Die Steuerrückvergütung soll wie erwähnt erst durchgeführt werden, wenn der Kanton eine negative Nettoschuld hat. In dieser Situation ein asymmetrisch ausgestaltetes Instrument anzuwenden, ist nicht nur akzeptabel, sondern wünschenswert. Sobald die Nettoschuld eines Kantons dann über null steigen würde, würden generell auch keine Steuerrückvergütungen mehr durchgeführt.

  1. «Überschüsse sollten für die Vorfinanzierung grosser Infrastrukturprojekte verwendet werden!»

Vorfinanzierungen sind gemäss dem Harmonisierten Rechnungslegungsmodell 2 (HRM2) erlaubt. Mit ihnen können finanzielle Mittel für grosse Investitionsprojekte angespart werden. Die Vorfinanzierung wird als Aufwand im ausserordentlichen Staatshaushalt verbucht und verschlechtert das Ergebnis – kaschiert also z.B. einen Überschuss.

Eine Vorfinanzierung verletzt aber immer in gewisser Weise die True-and-Fair-View. Dieser Meinung ist auch das Schweizerische Rechnungslegungsgremium für den öffentlichen Sektor (SRS-CSPCP). Im HRM2-Handbuch hält es fest, das Instrument sei mit der Umstellung auf lineare Abschreibungen aufgrund der Nutzungsdauer nicht mehr nötig.

Hinter diesen abstrakten Rechnungslegungs-Prinzipien steckt eine wichtige und richtige Überlegung: Eine Vorfinanzierung künftiger Investitionen verletzt die Generationengerechtigkeit. Der Nutzen einer bevorstehenden Investition kommt den künftigen Steuerzahlern zugute, nicht den gegenwärtigen. Es ist daher nicht logisch, dass letztere dafür aufkommen sollen. Überschüsse zur Vorfinanzierung von Investitionen zu verwenden, ist darum nicht sinnvoll. Die Generationengerechtigkeit ist bei einer unmittelbaren Rückvergütung an die jetzigen Steuerzahler besser gewährleistet.

  1. «Aber ein Überschuss ist doch nicht verloren! Warum ihn also zurückerstatten?»

Gewiss ist ein Überschuss nicht verloren. Aber wenn ein Kanton ohnehin schon finanziell komfortabel dasteht und weiterhin – ungeplante – Überschüsse schreibt, dann ist es naheliegender, jene Steuerzahlenden davon profitieren zu lassen, die diesen Steuerertrag tatsächlich generiert haben, als jene, die irgendwann in Zukunft einmal in diesem Kanton Steuern zahlen werden. 

Fazit

In der Finanzpolitik ist Vorsicht eine Tugend. In der stark föderalen Schweiz erledigen die Staatsebenen ihre Aufgaben im internationalen Vergleich mit ausserordentlicher Gewissenhaftigkeit. Das ist begrüssenswert. Doch manchmal ist es zu viel des Guten. Über die vergangenen Jahre ist es dazu gekommen, dass der Staat oft mehr einnimmt als geplant.

Das Instrument der Steuerrückvergütung setzt hier an. Es schafft eine direktere Verbindung zwischen Bürger und Staat und erhöht die intertemporale Steuergerechtigkeit. In der von Avenir Suisse vorgeschlagenen Ausgestaltung tut sie dies entgegen einigen in der öffentlichen Debatte geäusserten Bedenken auf eine differenzierte Art und Weise. Sie bricht keineswegs mit der finanzpolitisch vorsichtigen Tradition der schweizerischen Institutionen – im Gegenteil. Sie weitet den umsichtigen Umgang mit Staatsfinanzen auf die Bürgerinnen und Bürger aus, indem sie diese an unerwarteten nicht-budgetierten Überschüssen teilhaben lässt.

Detaillierte Informationen zum Thema: «Budgetierung ausser Rand und Band: Wie eine kantonale Steuerrückvergütung das Problem entschärfen kann.»