Gemäss Bundesamt für Statistik dürfte die Schweiz ab diesem Herbst 9 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner zählen. Der Einfluss der Migration auf unsere Infrastrukturen und Institutionen wird nicht nur von nationalkonservativen Rechtsparteien kritisiert (wohl keine Überraschung), sondern auch von der Linken (das ist neu). Und was bedeutet die Migration für die Altersvorsorge? Die Antwort könnte von einem Sportkommentator stammen: Das Ergebnis hängt von den Teams ab, sowie von den Spielern, die im Matchverlauf das Feld betreten oder verlassen.
Doping für die AHV
Die AHV wird nach dem Umlageverfahren finanziert: Die Einnahmen eines gegebenen Jahres müssen die Ausgaben derselben Periode decken. Die Einwanderung stellt somit kurzfristig eine Art Doping für die Finanzierung der 1. Säule dar. Die meisten Zuwanderer (mit Ausnahme von Asylbewerbenden) lassen sich in der Schweiz nieder, um hier einer bezahlten Tätigkeit nachzugehen. Während der Erwerbsphase zahlen sie AHV-Beiträge, ohne von Altersleistungen zu profitieren. Somit finanzierten im Jahr 2020 die ausländischen Arbeitnehmenden 32% der Lohnbeiträge, während die ausländischen Rentner nur 18% der Renten bezogen.
Es geht in die Verlängerung
Die Beitragszahler von heute sind allerdings die Rentner von morgen. Mit ihren heutigen Beiträgen erwerben sie das Recht auf Leistungen nach ihrer Pensionierung. Die Einwanderung könnte demnach das Finanzierungsproblem lediglich auf künftige Generationen verschieben.
Eine volle AHV-Rente erhält aber nur, wer 44 Jahre lang Beiträge gezahlt hat. Jedes fehlende Beitragsjahr führt zu einer lebenslangen Rentenkürzung von 2,3%. Die meisten zugewanderten Arbeitskräfte kommen erst mitten im Berufsleben in die Schweiz. Und viele verlassen das Land wieder nach einigen Jahren. Weniger als vier von zehn Zuzügern aus Deutschland oder Frankreich sind zehn Jahre nach ihrer Einwanderung immer noch in der Schweiz. Daraus entstehen grosse Beitragslücken.
So erhielten 2022 nur 7% der ausländischen Bezüger eine Vollrente gegenüber 83% der Schweizerinnen und Schweizer. Unter der Annahme, dieses Verhältnis bleibe stabil, wären Ausländer also auch langfristig Nettozahler in der AHV.
Keine Transfers in der 2. Säule
Da die 2. Säule im Kapitaldeckungsverfahren – zumindest in der Theorie – finanziert wird, äufnet jeder Arbeitnehmende seine Beiträge zusammen mit jenen der Arbeitgeber und kann dieses Vermögen bei der Pensionierung in Anspruch nehmen. Querfinanzierungen zwischen Jungen und Alten, und folglich auch zwischen ausländischen und schweizerischen Arbeitnehmenden, wären nicht vorgesehen.
Doch obwohl über 90% der Pensionskassen einen Umwandlungssatz unter 6,8% anwenden, finden Querfinanzierungen zwischen Aktiven und Rentnern nach wie vor statt, auch wenn diese in den letzten Jahren stark abgenommen haben. Dank der Einwanderung kann die Anzahl «Feldspieler» in diesem Transfersystem erhöht und damit die Belastung pro aktivem Versicherten reduziert werden. Falls sich also die Pensionskassen weiterhin darum bemühen, die Umwandlungssätze aufgrund korrekter versicherungsmathematischer Grössen anzupassen, dürfte die Einwanderung die berufliche Vorsorge der hier lebenden Bevölkerung langfristig nicht übermässig beeinflussen.
Das Spielfeld betreten oder verlassen
Wenn die Einkünfte aus der Altersvorsorge nicht zur Deckung der minimalen Lebenskosten ausreichen, haben die betroffenen Rentner Anspruch auf Ergänzungsleistungen (EL), die mit Steuereinnahmen finanziert sind. Im Gegensatz zu AHV- und BVG-Leistungen werden EL nicht im Ausland ausbezahlt, weil nur in der Schweiz lebende Personen einen Anspruch darauf haben.
Falls einkommensschwache zugewanderte Personen die Schweiz (vor oder nach ihrer Pensionierung) verlassen, würde dies – zynisch ausgedrückt – die EL-Finanzen entlasten. Umgekehrt belastet es die Staatskasse, wenn hauptsächlich wohlhabende Einwanderer wieder ausreisen (und mit ihnen die auf ihren Renten erhobenen Steuern).
Welches Szenario erscheint wahrscheinlicher? In den 1990er Jahren kamen vor allem wenig qualifizierte Arbeitnehmende in die Schweiz, während es seit der Jahrtausendwende mehrheitlich Personen mit tertiärer Ausbildung sind. Bei den Staatsangehörigen aus EU/Efta-Ländern liegt dieser Anteil sogar über demjenigen der Schweizer Bevölkerung. Doch Vermögensverwalter wissen es: Die vergangene Performance ist keine Garantie für künftige Entwicklungen. Der Einfluss der Einwanderung auf die EL wird von der Zahl und der Kategorie der Personen abhängen, die in ihr Land zurückkehren, was schwer vorherzusagen ist.
Die Einwanderung ist ein komplexes Thema. Ihre Auswirkungen auf unsere Kultur, unsere Infrastrukturen und unsere Institutionen sind nicht zu unterschätzen. In Bezug auf die Altersvorsorge verstärkt der Zustrom ausländischer «Mitspieler» allerdings eher das Team, als es zu belasten.
Dieser Beitrag ist in der Zeitschrift «Schweizer Personalvorsorge» vom November 2023 erschienen.