Seit März 2020 haben die pandemiebedingten Aktivitätseinschränkungen viele Menschen eines Teils ihres Einkommens beraubt. Dies erhöht das Risiko, in die Armut abzurutschen. Während für ältere Menschen die Gefahr durch eine Viruserkrankung grösser ist als für junge, sind sie dafür weniger von finanziellen Einbussen bedroht. Sie können oft nicht nur auf Erspartes zurückgreifen, sondern erhalten durch die AHV und die 2. Säule ein gesichertes Einkommen. Diese Dichotomie zwischen Erwerbstätigen und Rentnern greift jedoch zu kurz. Ein differenzierterer Ansatz, der Karrierewege und Beschäftigungsmöglichkeiten berücksichtigt, ist erforderlich.

Ältere haben weniger Einkommen, aber mehr Vermögen

Die für 2020 aktualisierten Zahlen aus der Erhebung über Einkommen und Lebensbedingungen (SILC) ermöglichen einen Vergleich der Situation von Erwerbstätigen und Rentnern: So liegt die Armutsquote bei Menschen ab 65 Jahren höher (13,6 %) als bei Erwerbstätigen (5,8 %). Diese Quote wird durch den Anteil der Haushalte mit Einkommen unterhalb der Armutsgrenze nach den Standards der Sozialhilfe bestimmt. Der Unterschied zwischen Erwerbstätigen und Rentnern ist seit Jahrzehnten stabil. Aber wenn die Krise anhält, könnten die Auswirkungen der Kurzarbeit, der Arbeitslosigkeit im Allgemeinen und die Zunahme der Zahl der Menschen, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, die Armutsquote der Erwerbstätigen erhöhen und die Lücke zu den Rentnern schliessen.

Berücksichtigt man die finanziellen Reserven, erscheint die Situation der Älteren in einem deutlich besseren Licht. 52% der Rentner verfügen über ein liquides Vermögen von mehr als 10’000 Franken, während nur 29% der Berufstätigen über einen solchen Betrag verfügen. Jedes fünfte Rentnerpaar ist Millionär (Wanner und Gabadinho 2008), während auf der armen Seite des Spektrums 12% Ergänzungsleistungen beziehen (BSV 2020). Auch hier könnte die Krise die Generationsunterschiede auf Dauer verstärken: Weniger Einkommen für Berufstätige bedeutet weniger Möglichkeiten, langfristig Vermögen zu bilden.

Ausgaben sinken mit dem Alter

Während Einkommen und Vermögen die zur Verfügung stehenden Ressourcen bestimmen, zeigt die Analyse der Konsumausgaben die Auswirkungen von Armut: Ein Indikator dafür ist die Rate der materiellen Beeinträchtigung, etwa wenn Konsumgüter wie eine Waschmaschine ebenso unerschwinglich werden wie eine Mahlzeit mit Fleisch oder Fisch jeden zweiten Tag oder eine Woche Ferien pro Jahr. Diese Rate liegt bei Berufstätigen mit 5,6% deutlich höher als bei Rentnern mit 2,2%. Andere Masse für Armut, etwa die Unmöglichkeit, unerwartete Ausgaben zu bewältigen, oder die allgemeine Angst, nicht über die Runden zu kommen, sind bei Berufstätigen ebenfalls deutlicher ausgeprägt als bei Rentnern (vgl. Grafik).

Eine aktuelle UBS-Studie zeigt, dass ältere Menschen generell anders konsumieren als Berufstätige: Sie nutzen weniger Verkehrsmittel, reisen weniger und besuchen seltener Restaurants. Anderseits liegen laut derselben Studie die Gesundheitsausgaben von Senioren doppelt so hoch wie von Berufstätigen. Schliesslich variiert der Anteil der Ausgaben für das Wohnen auch je nach Alterskategorie: Rentner sind häufiger Eigenheimbesitzer und zahlen im Durchschnitt niedrigere Mieten (1122 Fr./Monat) als Erwerbstätige (1275 Fr./Monat).

Arbeit als Bollwerk gegen Armut

Die Kluft zwischen den Generationen ist jedoch nicht der einzige Ansatz, um Armut zu verstehen. Vielmehr sind es die Unterschiede in der persönlichen Situation während des Arbeitslebens, die sich im Ruhestand herauskristallisieren und verstärken.

Auch wenn es banal klingt: Die Armutsquote unter den Arbeitslosen (25%) liegt höher als diejenige der Werktätigen (4%) (BFS 2020). Diese Differenz zieht sich auch im Ruhestand weiter. Wer sein ganzes Erwerbsleben lang Vollzeit gearbeitet hat, erhält in der Regel sowohl eine volle AHV-Rente als auch eine bessere zweite Säule und gerät daher seltener in eine prekäre Situation: Die Armutsquote von Personen, die nur eine Rente aus der ersten Säule beziehen (24%), liegt nämlich deutlich höher als diejenige von Personen, die zusätzlich eine Rente aus der zweiten Säule erhalten (0,7%).

Deshalb ist eine Erwerbsbeschäftigung der beste Schutz vor Armut, sowohl während des Arbeitslebens als auch danach – unabhängig von der Covid-19-Pandemie. Arbeit garantiert nicht nur Einkommen und Vorsorgebeiträge, sondern ermöglicht auch den Aufbau von individuellen Ersparnissen. Ein soziales Sicherheitsnetz ist zwar notwendig, kann aber niemals die Erwerbsarbeit als Schutz vor Armut ersetzen.

Entsprechend ist mit einem funktionierenden Arbeitsmarkt den Menschen mehr geholfen als mit einem System ausgeklügelter Umverteilung. Wer die Möglichkeit hat, sich den Lebensunterhalt selbst zu verdienen, geniesst den besten Schutz vor Armut im Alter.

Was heisst dies jetzt im Kontext der Pandemie? – Es gilt, das richtige Gleichgewicht zwischen gezielten Gesundheitsmassnahmen und wirtschaftlichen Aktivitäten zu finden. Übertragungswege müssen aufgespürt und Kranke isoliert werden, während die Wirtschaft ihre Aktivitäten unter Einhaltung der Schutzkonzepte gegen die Pandemie möglichst weiter funktionieren soll. Eine widerstandsfähige und florierende Wirtschaft ist der beste Impfstoff gegen die Armut künftiger Rentner.