Berner Zeitung: Urs Meister, diverse Stromunternehmen warnen vor dem Untergang der Wasserkraft. Ist dies eine realistische Gefahr – oder Alarmismus, um an die Subventionstöpfe zu kommen?
Urs Meister: Zu einem gewissen Grad ist das Alarmismus. Die Situation der Wasserkraft ist nicht derart besorgniserregend. Einerseits sind die Kosten und damit die Wirtschaftlichkeit sehr unterschiedlich. Andererseits profitieren viele Betreiber von der Möglichkeit, bei den Verbrauchern in der Grundversorgung kostendeckende Tarife zu verrechnen.
Der Stromkonzern Alpiq sieht das anders. Er fordert staatliche Zuschüsse von jährlich 450 Millionen Franken als Notmassnahme für die Wasserkraft.
Die Wasserkraft überlebt auch ohne Subventionen. Die bestehenden Kraftwerke produzieren wegen ihrer tiefen Betriebskosten auch ohne Zuschüsse. Es gibt keinen Grund, diese ausser Betrieb zu nehmen. Subventionen für bestehende Anlagen sind in erster Linie eine finanzielle Hilfe für die Eigentümer der Kraftwerke.
Ist die Wasserkraft gefährdet?
Nein, das ist sie nicht. Gefährdet ist allenfalls das Geschäftsmodell der Eigentümer. Bestehende Anlagen liessen sich ja jederzeit verkaufen – ein tiefer Kaufpreis schlägt sich beim neuen Betreiber in tiefen Fixkosten nieder.
Die Strommarktpreise sind tief. Lässt sich ein Wasserkraftwerk noch rentabel betreiben?
Ja, es gibt auch heute viele Werke, die kostendeckend oder gar mit Gewinn produzieren. Probleme haben vor allem die teureren Anlagen. Ohnehin aber sind die tiefen Preise eine Momentaufnahme. Energie ist ein zyklischer Markt, und die Lebensdauer eines Wasserkraftwerks kann sechzig Jahre betragen. Die Preise werden wieder ansteigen.
Im Gegensatz zu Ihnen teilt die Energiekommission des Ständerats den Ruf nach Subventionen für bestehende Wasserkraft. Ist das politische Weitsicht – oder das Werk von Lobbyisten im Bundeshaus?
Wie soll ich diese Frage diplomatisch beantworten…
… am besten undiplomatisch.
Ich würde es so sagen: Der Ständerat vertritt die Kantone und nimmt deren Interessen wahr. Die Kantone und die Städte sind ihrerseits die wichtigsten Eigner der Wasserkraftwerke. Da besteht offensichtlich ein Zusammenhang zwischen den Interessen. Die Kantone und die Städte sind an stabilen Erträgen aus ihren Beteiligungen im Strommarkt interessiert. Doch das funktioniert im zyklischen Energiegeschäft nicht. Vielmehr müssten Eigner bereit sein, während Tiefpreisphasen auf Gewinnausschüttungen zu verzichten oder gar Kapital zur Verfügung zu stellen.
Die tiefen Preise für CO2-Zertifikate machen es für die Wasserkraft doppelt schwer. Kann die Schweiz als kleines Land diese Parameter alleine überhaupt verändern?
Nein, der Schweizer Markt übernimmt die Preise aus dem europäischen Raum. Und es ist im Moment tatsächlich so: Die CO2-Zertifikate sind sehr günstig zu haben. Das ist natürlich ein Nachteil für die saubere Wasserkraft. Es sieht so aus, als würden die CO2-Preise auch längerfristig tief bleiben. Europa will offenbar nicht über das Instrument der CO2-Zertifikate Klimapolitik machen.
Dieser Artikel erschien in der Berner Zeitung vom 7. Mai 2015. Mit freundlicher Genehmigung der Berner Zeitung.