Seit die EU und Mercosur in ihren Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen in die Schlussphase getreten sind, ist der südamerikanische Markt wieder in den politischen Fokus der Schweiz gerückt. Denn unserer Wirtschaft droht ein Wettbewerbsnachteil gegenüber der europäischen Konkurrenz (vgl. EU – Mercosur: Schnappt die Abseitsfalle zu?). Um Chancen und Herausforderungen vor Ort auszuloten, begibt sich eine 60-köpfige Schweizer Delegation demnächst auf Wirtschafts- und Landwirtschaftsmission in die Länder des «Mercado Comun del Sur». Zur Delegation gehören auch diverse Vertreter aus dem Agrarsektor – jedoch nicht die Führungsriege des Schweizer Bauernverbandes, die wie bereits beim «Runden Tisch» des Bundesrats eine «Politik der leeren Stühle» praktiziert.

Steigende Exporte und die Bedeutung nicht-tarifärer Handelshemmnisse

Aus Schweizer Export-Sicht haben die Märkte des Mercosur an Bedeutung gewonnen. Zwar stieg der Anteil an den gesamten Schweizer Ausfuhren nur leicht von 1,2% (2007) auf 1,5% (2017), absolut gesehen hat sich das Volumen aber um fast eine Milliarde Franken vergrössert (2007: 2,3 Mrd. Fr., 2017: 3,2 Mrd. Fr.). Diese Entwicklung spricht für eine verstärkte geografische Diversifikation der schweizerischen Exportindustrie, wobei gerade aussereuropäische Freihandelsabkommen für den präferierten Marktzugang und die Wertschöpfung in der Schweiz eine wichtige Rolle spielen.

Drei Viertel der Schweizer Exporte in den Mercosur stammen aus der chemisch-pharmazeutischen Industrie. Rund 4% der gesamten Ausfuhren dieser Industrie werden in den Mercosur geliefert. Ohne Abkommen haben Schweizer Unternehmen gegenüber der europäischen Konkurrenz einen klaren Wettbewerbsnachteil. Gerade bei Pharma- und Medizintechnikprodukte spielen Erleichterungen bei den nicht-tarifären Handelshemmnissen – also Fragen der Äquivalenz und der Anerkennung von Zertifikaten sowie Zulassungen – eine grosse Rolle für die Wettbewerbsfähigkeit.

Sinkende Importe – die Schweiz ist kein Musterschüler

Mit Fokus auf die Importe der Schweiz hat sich das Gewicht hingegen nicht zugunsten der Mercosur-Länder entwickelt: Deren Anteil ist von 0,6% (2007) auf 0,4% (2017) gesunken. Auch absolut betrachtet sind die Einfuhren von 1,1 Mrd. Fr. auf knapp 720 Mio. Fr. zurückgegangen. Eine Erklärung sind die seit 2009 überschüssigen protektionistischen gegenüber liberalisierenden Massnahmen im Aussenhandel, die die Schweiz im Verkehr mit den Mercosur-Staaten getroffen hat. Den 24 protektionistischen Massnahmen stehen 13 liberalisierende Massnahmen gegenüber.

 Chancen des Schweizer Agrarsektors

Eine entscheidende Rolle in der Debatte über ein zukünftiges Freihandelsabkommen spielt der Agrarsektor. Denn viele Lobbyisten der landwirtschaftlichen Wertschöpfungskette – dazu gehören nicht nur die Bauern, sondern auch inländische Produzenten von Vorleistungen oder Verarbeiter von Agrarprodukten – fürchten sich bei einem Abbau der hohen Schweizer Zollhürden vor der Konkurrenz aus den Mercosur-Staaten. Oft verkannt wird dabei das Exportpotenzial, denn die Marktöffnung würde bei einem Abkommen gegenseitig erfolgen.

So haben sich in den letzten 11 Jahren – unabhängig von den diskutierten, zukünftigen Handelserleichterungen – die Exporte von Schweizer Nahrungs- und Genussmittel in den Mercosur bereits mehr als verdoppelt. Land- und forstwirtschaftliche Produkte stellen nach chemisch-pharmazeutischen Produkten, Maschinen sowie Präzisionsinstrumenten die viertgrösste Export-Warengruppe dar. Insgesamt beträgt das gegenwärtige Exportvolumen von Schweizer Nahrungs- und Genussmitteln rund 110 Mio. Fr. Mit einer steigenden Mittelschicht in den aufstrebenden Märkten des Mercosur und den in Aussicht gestellten Handelserleichterungen wachsen auch die Marktchancen für exportierende Unternehmen aus der Schweiz. Dies eröffnet der Schweizer Landwirtschaft Möglichkeiten, über die Zulieferung von Rohstoffen an den Exportchancen teilzuhaben. Spezialitäten und Qualitätsprodukte «Hecho en Suiza» bzw. «Feito na Suiça» geniessen auch im Bereich der Nahrungsmittel ein gutes Image in Südamerika.

Auch bei den Importen ergeben sich neue Chancen. So könnten bei einem Freihandelsabkommen Schweizer Landwirte bzw. deren Zulieferer Vorprodukte vereinfacht beziehen. Bereits heute kommen 10% der gesamten Futtermittelimporte aus dem Mercosur. Für die Konsumenten würde mit dem Agrarfreihandel das Produktangebot steigen. Heute importiert die Schweiz Nahrungs- und Genussmittel aus Mercosur im Umfang von 410 Mio. Fr. Dieses Volumen entspricht immerhin 0,9% des gesamten schweizerischen Endkonsums von Nahrungs- und Genussmitteln.

Handel mit Mercosur bringt 260 Fr. pro Kopf

Die Schweiz ist gut beraten, gegenüber den EU-Ländern nicht in einen Rückstand betreffend Handelsabkommen zu geraten. Ein Rechenbeispiel illustriert die Bedeutung des Aussenhandels für die Schweiz – selbst wenn es sich dabei um noch kleine Austauschvolumina handelt: Der Export nach Mercosur beträgt 0,4% des Schweizer BIP (2016). Der Anteil, der im Inland effektiv Wertschöpfung generierte lag bei 0,3% (vgl. Importe kurbeln die Exporte an). Dieser Anteil scheint auf den ersten Blick verschwindend klein. Überträgt man ihn jedoch auf das Pro-Kopf-Einkommen, bedeutet ein Wegfall des Handels mit Mercosur – z.B. weil europäische Konkurrenten die Marktanteile von Schweizer Unternehmen übernehmen – ein um rund 260 Franken schmaleres Portemonnaie für jede Schweizerin und jeden Schweizer. Natürlich ist dieses Rechenbeispiel stark vereinfacht: Das Vorgehen unterstellt eine Gleichverteilung des zusätzlichen Gewinns und lässt die Opportunitätskosten unberücksichtigt. Trotzdem veranschaulicht es die Bedeutung des Mercosur und das brachliegende Potenzial für die Schweizer Wirtschaft.

Handel mit dem Mercosur ist ein Gewinn für die gesamte Schweizer Volkswirtschaft. Die Ausweitung des Handelsvolumens ist anzustreben, ein umfassendes Freihandelsabkommen schafft dafür beste Voraussetzungen.