Mit unseren Online-Adventskalender 2014 werfen wir einen Blick auf unser Leben mit dem Internet, und zwar vor allem die Bedeutung von Datenschutz und Datensicherheit in unserem Alltag. 24 Beiträge nähern sich dem breiten Thema mit jeweils sehr konkreten Fragen, wie z.B.: Was verrät der Stromzähler über mich? Was ist eigentlich Big Data? Braucht der Mensch Privatsphäre? Den Auftakt macht Patrik Schellenbauer mit der Frage:

Wie gläsern wollen wir sein?

Sollen wir uns vor «Big Data» fürchten oder uns als Optimisten auf ressourcenschonende Produktion und ein besseres Leben freuen? Überwiegt die Dividende der digitalen Revolution die Bedenken vor dem Verlust der Privatsphäre oder – im Extremszenario – vor dem gläsernen Menschen wie in Orwells Schreckensvision «1984»? In dieser Frage zeichnet sich eine mögliche Lösung nicht einmal schemenhaft am Horizont ab.

Sehen wir es zuerst positiv. Die automatische Analyse unserer Daten eröffnet unzählige neue Möglichkeiten, von Buchtipps bis zu massgeschneiderten Finanzprodukten. Smart Metering, die vernetzte Echtzeitmessung des Stromverbrauchs in den Haushalten, könnte schon heute Nachfragespitzen brechen und nötige Kraftwerkskapazitäten reduzieren. Beim Mobility Pricing ermöglicht ein Tarifsystem mit zeitnaher Nachfragemessung eine gleichmässigere Auslastung von Schiene und Bahn. Eine datengestützte Weiterentwicklung der Medizin verspricht personalisierte Medikamente mit weniger Nebenwirkungen oder den massgeschneiderten 3D-Druck von Gelenken oder gar Organen. Schon steht das Internet der Dinge vor der Tür, etwa der intelligente Kühlschrank, der automatisch Vorräte nachbestellt. Nicht wenige Ökonomen halten diese vierte industrielle Revolution für den einzigen Wachstumstreiber der nächsten 25 Jahre.

Doch diese Segnungen brauchen eines: Daten über uns, unser Verhalten und unsere Vorlieben, laufend und in sehr grosser Zahl. Und Daten werden produziert, mit jedem Mausklick, mit jedem Tippen auf den Touch Screen des Smartphones, mit jedem Wechsel der Funkantenne im mobilen Netz, mit jedem Kauf per Kreditkarte, mit jedem Statement in sozialen Netzwerken. Wirken allein schon die gespeicherten Datenberge unheimlich, übersteigen die Möglichkeiten geschickter Verknüpfung und Auswertung unser Vorstellungsvermögen.

Können wir darauf vertrauen, dass der Staat unsere Privatsphäre schützt und Missbräuche verhindert? Dies scheint allzu naiv, wenn man bedenkt, dass die Bürokratie selber zu den Produzenten und Nutzern unserer Daten gehört – auch wenn Big Data noch kaum Einzug gehalten hat. Spätestens seit der Snowden-Affäre wissen wir, dass privat gesammelte Daten vor dem systematischen Zugriff der Geheimdienste nicht sicher sind. Auf der anderen Seite gilt es zu bedenken, dass ein zu rigoroser Datenschutz – falls er überhaupt durchsetzbar ist – die ökonomischen Vorteile von Big Data zu Nichte machen könnte.

Dieses drängende Thema kümmert die grosse Mehrheit bis heute kaum. Das irritiert, wenn man an den Aufschrei denkt, den die Fichenaffaire vor gut 20 Jahren auslöste. Der damalige Schuldige war aber greifbar: übereifrige und kaum kontrollierte Staatsschutzbeamte, die im Vergleich zu heute mit Steinzeitmethoden arbeiteten. Gegen welchen Gegner müsste sich ein Protest heute richten? Big-Data hat Züge eines unheimlichen Leviathans, der nicht national und nicht staatlich fassbar ist, sondern irgendwo und überall im globalen Datenmeer schwimmt. Oft wird vermutet, die Privatsphäre sei den Menschen nicht mehr wichtig. Viel wahrscheinlicher scheint, dass wir das Problem verdrängen, weil wir nicht wissen, wie damit umzugehen wäre. Symptomatisch dafür ist das geringe Medienecho, das die laufende Revision des Büpf, des «Bundesgesetzes betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs», ausgelöst hat.

Was soll und kann der einzelne tun? Ein wichtiges Stichwort ist «digitale Mündigkeit». Zuerst sollten wir uns über mögliche Folgen des eigenen Tuns im digitalen Raum klar werden. Die nötige Bewusstseinsbildung reicht dabei weit über das Internet hinaus. Lohnt es sich z.B. wirklich, dem Grossverteiler per Kundenkarte für ein paar Rabattprozente sein ganzes Konsumverhalten zu offenbaren? Freilich reicht dies nicht, um das Grunddilemma zu lösen. Über kurz oder lang braucht die ganze Gesellschaft eine breite öffentliche Debatte über den Umgang mit unseren Daten und – über die sinnvollen Grenzen, die wir dem Staat und den Unternehmen in diesem Zusammenhang setzen wollen.

Die Artikel des Adventskalenders wurde in einem avenir spezial aufbereitet.