Unter den Bahnfreunden, zu denen wir uns zählen, ist die Empörung über die angekündigten Tariferhöhungen der Bahnen gross. Sie sind in einer Zeit fast ohne Inflation happig – im Durchschnitt werden die Billettpreise im Dezember 2012 um 5,6% steigen, «normale » Generalabonnements 1. Klasse und 2. Klasse verteuern sich gar um 8,4% und 6,3%. Das steckt man nicht einfach weg. Doch nach der ersten Aufregung wird man sich fragen: Sind die Erhöhungen gerechtfertigt? Und sind die bisherigen Tarife kostengerecht? Die Antwort ist schwierig, denn in den Statistiken herrscht einige Unklarheit, was alles berücksichtigt werden muss. Vieles beruht auf Schätzungen, und Strasse und Schiene lassen sich nur bedingt vergleichen.
Milliardenhohe Subventionen
Trotz den Unschärfen ist aber eines klar: Im öffentlichen Verkehr wird massiv gegen das Verursacherprinzip verstossen. Die Passagiere zahlen niemals, was sie konsumieren, abgesehen vielleicht vom Einzelzahler auf Strecken wie Bern–Zürich. Unter Berücksichtigung der externen Kosten, die allerdings nur etwa 4% der Gesamtkosten ausmachen, ermittelt die «Transportrechnung» des Bundesamtes für Statistik für 2005 einen Kostendeckungsgrad von 56% für den Personenverkehr auf der Schiene bzw. von 66% für den gesamten Schienenverkehr. Und wenn man in den Angaben des Informationsdienstes des öffentlichen Verkehrs (Litra) die Beiträge aus verschiedensten Quellen wie der Mehrwert- oder der Mineralölsteuer an die diversen Baufonds (Finöv, Infrastruktur) berücksichtigt, zeigt sich, dass der öffentliche Verkehr knapp 50% der gesamten Kosten selbst erwirtschaftet, mit dem Kerngeschäft des Personen- und Güterverkehrs sogar nur 37% (die Differenz stammt aus Nebengeschäften). Das ergibt für 2009 eine Subventionierung des gesamten öffentlichen Verkehrs durch Bund, Kantone und Gemeinden aus allgemeinen Mitteln sowie zweckgebundenen Abgaben von knapp 8 Mrd. Fr.
Diese Betrachtungsweisen zeigen indessen nur die halbe Wahrheit. In einer umfassenderen Betrachtung deckten die 41 konzessionierten Eisenbahnen 2010 mit ihren Erträgen aus dem Personenverkehr, dem Güterverkehr und Nebenleistungen wie Pacht, Miete und Beteiligungen nämlich nur etwa 38% der gesamten Kosten. Auf diesen Wert kommt man, wenn man neben Betriebsund Kapitalkosten sowie externen Kosten die kalkulatorischen Zinsen für früher gewährte zinslose oder zinsgünstige Finanzbeiträge der öffentlichen Hand und für frühere Fehlbeträge berücksichtigt. Zwar klammern die internationale Praxis und das Bundesgesetz diese Zinskosten für die kumulierten Saldi aus, aber wenn man wissen möchte, was die von den Bahnbenutzern konsumierten Leistungen effektiv «wert sind», muss man sie einbeziehen. Tut man es nicht, verhält man sich wie ein Hotelier, der in die Kalkulation seiner Zimmerpreise denWert des (geerbten) Hotelgebäudes nicht einfliessen lässt.
Letztlich kann man rechnen, wie man will, Bahn- und Buspassagiere zahlen selbst bei wohlwollender Betrachtung höchstens zwei Drittel, eher aber nicht einmal die Hälfte dessen, was sie bei einer kostengerechten Nutzerfinanzierung zahlen müssten. Die übrigen Kosten werden zum Teil von den gleichen Nutzern in ihrer Eigenschaft als Steuerzahler getragen, aber auch von den Steuerzahlern, die den öV kaum nutzen, von den Konsumenten (via Mehrwertsteuer), die selbst wenig Mobilität nachfragen, von den Menschen, die vom öV generell wenig profitieren, und von allen, die unter den Emissionen des öV leiden. Die Tariferhöhungen sind also ein Tropfen auf den heissen Stein und, im Gegensatz zur Einschätzung der Stiftung für Konsumentenschutz, nicht «Zahlungen fürs Ungewisse» oder unangemessen hoch. Zwar gibt es im öffentlichen Verkehr wegen des Fehlens von Wettbewerb Ineffizienzen und ungenügende Kundennähe, aber die Erhöhungen sind doch nur eine Teilkorrektur zu tiefer Preise. Sauber gerechnet müssten diese explodieren.
Merkwürdige Prioritäten
Am Beispiel des öV wird deutlich, wie zentral in einer Marktwirtschaft die Kostenwahrheit ist. Erstens werden künstlich verbilligte Güter im Übermass konsumiert. Die billige Mobilität führt zu Zersiedelung, Belastungen der Umwelt, Herumgondeln als Freizeitbeschäftigung, Verzerrungen aller Art.
Das gilt natürlich auch für den privaten Verkehr, dessen Nutzer zwar wenigstens die betriebswirtschaftlichen Kosten selbst berappen, aber weder die laufenden externen Kosten noch die kalkulatorischen Zinsen von deren kumulierten Saldi. Zweitens sind Verbilligungen von Gütern und Diensten immer damit verbunden, dass anderes teurer wird. Die unter Marktbedingungen herrschenden relativen Preise verschieben sich, und die absoluten Preise anderer Güter und Dienste steigen, weil sie mit mehr Steuern belastet werden. Drittens kommt den Menschen, als Konsumenten wie als Staatsbürgern, das Bewusstsein der effektiven Kosten vieler Leistungen abhanden. Wer ist sich schon bewusst, wie teuer der öffentliche Verkehr ist? Und dass die Patienten in der Schweiz einen wesentlich höheren Beitrag zur Finanzierung des Gesundheitssystems leisten als die Bahn- und Busbenutzer zur Finanzierung des öffentlichen Verkehrs? Entspricht das den Prioritäten der Schweizer Bevölkerung? Wohl kaum. Deshalb sollte man den «Eigenfinanzierungsgrad» des öffentlichen Verkehrs wenigstens an den des Gesundheitssektors heranführen, nicht durch mehr Subventionen, sondern durch mehr Kostenwahrheit und mehr Benutzerfinanzierung (Mobility- Pricing). Es gibt hierzu zahlreiche Vorschläge, auch originelle wie ein GA, das im Fernverkehr nur eine beschränkte Zahl Tage im Jahr gültig wäre.
Dieser Artikel erschien in der Neuen Zürcher Zeitung vom 25. Februar 2012.
Mit freundlicher Genehmigung der Neuen Zürcher Zeitung.
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