2018 oder 2019 werden wir über die sogenannte Vollgeld-Initiative unter dem Titel «Für krisensicheres Geld: Geldschöpfung allein durch die Nationalbank!» abstimmen. Um zukünftige Krisen des Finanzsystems abzuwenden, fordert die Vollgeldinitiative zwei fundamentale Änderungen der heutigen Geldwirtschaft:
Geld in Sichtdepositen sollen von den Banken ausserhalb ihrer Bilanz in der Art eines Wertschriftendepots – man könnte sagen eines Gelddepots – verwahrt werden. Konkret heisst dies, dass Geld, das der Kunde bei der Bank jederzeit abheben kann, zu 100% mit Geld in der Schweizerischen Nationalbank (SNB) gedeckt sein muss. Die Deckung in der Nationalbank steht einzig für das Geld in den Gelddepots zur Verfügung.
Die Nationalbank muss Geld in Zukunft in der Regel durch Direktzahlungen ohne Gegenwert (die Initianten nennen dies «schuldfrei») an Kantone, Bund oder Bürger in Umlauf bringen. Die Initianten wollen der Nationalbank die Möglichkeit zwar grundsätzlich belassen, Kredite an die Banken zu verleihen. Dieses Instrument soll jedoch nach der Übergangszeit nur noch der «Feinsteuerung» ihrer Geldpolitik dienen.
Wenig Aussicht auf Krisenfestigkeit
Kann diese neue Geldordnung überhaupt das zentrale Versprechen des Vollgeldes, nämlich einer höheren Systemstabilität erfüllen? Nein, das kann sie nicht, und zwar aus zwei Gründen:
- Das einzige, was eine vollständige Deckung der Sichtdepositen durch Zentralbankengeld verhindern könnte, ist ein Schaltersturm. Aber vor der Entwertung durch Inflation wären die Kunden auch dann nicht gefeit. In einem Schaltersturm wollen die Kunden wegen eines plötzlichen Vertrauensverlustes ihre Sichtdepositen in grosser Zahl und kurzfristig abheben. Schalterstürme sind eine ernste Angelegenheit. Sie sind aber selbst in der letzten Finanzkrise nur vereinzelt aufgetreten (z.B. Northern Rock). Gegen Schalterstürme gibt es einfachere und weniger tiefgreifende Massnahmen als eine 100%ige Deckung der Sichteinlagen durch Zentralbankgeld: eine Kombination von Eigenkapital- und Liquiditätsvorschriften mit einer begrenzten Einlageversicherung und der Zentralbank als Kreditgeberin letzter Instanz.
- Die Geldschöpfung durch Sichtdepositen der Banken ist nicht die alleinige oder sogar die Hauptursache von Bankenkrisen. In der letzten Finanzkrise spielten unter anderem Geldmarkfonds eine grosse Rolle. Sie müssten auch in Zukunft nicht ausserhalb der Bilanz geführt werden, weil sie nicht Geld im Sinne der Vollgeldinitianten wären.
Überschüssige Liquidität im System spielt zwar bei Bankenkrisen oft eine Rolle, wie dies die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich auch immer wieder betont (siehe etwa «Das Ende einer unhaltbaren Situation» im Jahresberichtes der Internationalen Bank für Zahlungsausgleich vom Jahr 2008 oder «Von der Rettung zur Reform» im Jahresbericht von 2009). Diese ist aber vielmehr die Folge zu expansiver Geldpolitik. Vor der jüngsten Finanzkrise verfolgten die wichtigsten Zentralbanken über eine lange Zeit eine überaus expansive Geldpolitik. Da ist es paradox, wenn die Vollgeldinitiative ausgerechnet mit noch mehr Befugnissen für die SNB zukünftige Bankenkrisen verhindern will.
Um die Reserven für die Sichtdepositen zu finanzieren, dürften die Geschäftsbanken auch unter «Vollgeld» Finanzinstrumente mit einer geringeren Liquidität als Sichtdepositen anbieten. Sparkonten oder Termineinlagen etwa wären erlaubt. Aber wo wäre die Grenze? Bei drei Monaten? Bei einer Woche? Bei einem Tag? Hier kündigt sich schon der nächste sinnlose Regulierungswettlauf an.
Die 100%ige Deckung der Sichteinlagen dient also kaum der Krisenverhinderung. Sie wäre ein überaus tiefer Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit, der aber nicht hält, was er verspricht. Wie sieht es mit der zweiten grundlegenden Umgestaltung aus, dem Gratisgeld?
Verteilkampf vorprogrammiert
Geld soll nach dem Systemumbau nicht mehr wie bisher durch Käufe von Vermögenswerten durch die Nationalbank oder durch Kredite an die Geschäftsbanken in Umlauf gebracht werden, sondern direkt an Kantone, Bund und Bürger verteilt werden. Diese Form der Geldschöpfung ist aber nicht mehr oder weniger «gratis» als die herkömmliche. Auch heute erhält die Nationalbank als staatliche Institution Vermögenswerte gegen «Gratisgeld»: Die Schweizer Franken, die die SNB den Banken dafür auf ihre Girokonten deponiert, kosten sie nichts.
Was diese Form des Geldumlaufs aber sicherlich mit sich bringt, ist ein ewiger Verteilkampf darüber, wer die Mittel erhält. Die Initianten schlagen vor, dass der Verteilschlüssel entweder per Gesetz festgelegt oder regelmässig im Parlament beschlossen wird. Mit der heutigen Finanzierung staatlicher Aufgaben über Steuergelder und Gebühren ist wenigstens unmittelbar ersichtlich, dass die finanziellen Mittel für die Staatsausgaben letztlich auf Kosten der Bürger erhoben werden müssen. Mit der Finanzierung mit Geld ohne Gegenwert ist das aber nicht anders. Denn Güter und Dienstleistungen, die der Staat für sein «Gratisgeld» erhält, können die Bürger nicht auch noch bekommen. Gratis – wie von den Initianten versprochen – ist das Geld unter «Vollgeld» keineswegs.
Zentralbankunabhängigkeit Adieu!
Die Zentralbank ist in der Schweiz traditionell sehr unabhängig. Heute ist diese Weisungsfreiheit vom Bundesrat, von der Bundesversammlung und von allen anderen Stellen im Notenbankgesetz festgeschrieben (Art. 6 NBG). Bereits vor dem heutigen Notenbankgesetz war die Unabhängigkeit der Nationalbank jedoch Teil der schweizerischen Rechtswirklichkeit (siehe dazu die Botschaft über die Revision des Nationalbankgesetzes vom 26. Juni 2002, Seite 6107). Es ist eine Tradition, welche von allen relevanten Akteuren im Sinne der Regierungsführung gelebt wird.
Umgekehrt gilt auch, dass ein Bruch mit dieser Tradition durch die explizite Einbindung der Nationalbank in die Finanzierung von Staatsaufgaben den Verlust ihrer finanziellen Unabhängigkeit bedeuten würde. Das Verbot der Staatsfinanzierung ist deshalb auch im Notenbankgesetz als konstitutiver Teil der Unabhängigkeit der Nationalbank explizit festgehalten (Art. 11 Abs. 2 NGB). Hier ändert auch ein Artikel in der Bundesverfassung nichts, dass die Schweizerische Nationalbank nur dem Gesetz verpflichtet ist. Als staatliche Institution ist sie das sowieso, denn staatliche Institutionen können nicht ohne Rechtsgrundlage handeln.
Ganz klar wird das Ausmass des mit «Vollgeld» verbundenen Unabhängigkeitsverlustes mit den Ansichten der Initianten zur Rechtsform der SNB: Möglicherweise müsse diese zwecks Erreichung höherer demokratischer Legitimität geändert und der Bankrat und das Direktorium «anders zusammengesetzt» sein als heute. Man stelle sich unter diesen Voraussetzungen – insbesondere in knappen Zeiten – nur den Druck auf die Nationalbank vor, immer grössere Geldemissionen für immer neue Budgetposten vorzunehmen! Da geht das Hauptziel der Geldwertstabilität rasch verloren.
Erschwerend kommt hinzu, dass der Nationalbank unter «Vollgeld» kein geeignetes Instrumentarium mehr zugestanden wird, Liquidität im Bedarfsfall auch rasch wieder dem Kreislauf zu entziehen. Müssten in diesem Fall Kantone, Bund und Bürger Geld an die Nationalbank zurückzahlen?
Fazit: Nur unerwünschte Wirkungen
Die Vollgeld-Initiative kann keine Finanzstabilität schaffen und hält das zentrale Versprechen der Initianten nicht ein. Zusätzlich würde die Nationalbank mit einem weiteren falschen Versprechen von «Gratisgeld» für Kantone, Bund und Bürger zur Staatsfinanzierung eingespannt. Unter solchen Voraussetzungen könnte die SNB nicht mehr für eine stabilitätsorientierte Geldpolitik sorgen – mit unabsehbaren Folgen, die von politisch verursachten konjunkturellen Schwankungen bis hin zu Hyperinflation und dem Verlust des Vertrauens in unsere Währung reichen.
«Vollgeld» ist damit ein völlig überflüssiges Experiment mit unabsehbaren Folgen, auf das wir uns wirklich nicht einlassen müssen.