Strom ist ein knappes Gut. Um ihre Versorgungssicherheit nicht weiter zu gefährden, muss die Schweiz rasch in den Ausbau der Elektrizitätserzeugung investieren. Doch der Bau von Photovoltaik-Grossanlagen, neuer Windkraftparks und Wasserkraftwerke sowie der dazu notwendige Netzausbau stösst oft auf erbitterten Widerstand: Die Gruppe der «Building absolutely nothing anywhere near anything» (Banana) blockiert erfolgreich viele Projekte. Die Folge: sich über Jahre – teilweise Jahrzehnte – hinziehende rechtliche Verfahren, die Investoren abschrecken. Es erscheint deshalb aus betrieblicher Optik folgerichtig, dass die grossen Elektrizitätsversorger der Schweiz vor allem im europäischen Ausland investieren. Für die Versorgungssicherheit der Schweiz ist damit aber nichts gewonnen, da hilft auch die staatliche Mehrheit an den entsprechenden Unternehmen nichts.

Trotz Mantelerlass dürften es neue Anlagen schwer haben

Solcher Opposition kann auf dem gesetzgeberischen Weg begegnet werden, indem die Möglichkeiten von Einsprachen eingeschränkt und Verfahren beschleunigt werden. Mit dem kürzlich durch das Parlament verabschiedeten Mantelerlass wurde ein Schritt in diese Richtung unternommen. Der Hintergrund ist, dass gemäss Gesetz der Import von Elektrizität im Winterhalbjahr (1. Oktober−31. März) netto den Richtwert von 5 TWh nicht überschreiten soll. Dies entspricht aktuell rund 20% des durchschnittlichen Stromverbrauchs im Winterhalbjahr bzw. mindestens 22 Tagen Eigenversorgungsfähigkeit. Diese Richtgrösse gilt als minimale Resilienz.

Doch der vorliegende Mantelerlass wird trotz der abgekürzten Verfahren nicht zu einem Bauboom der Stromerzeugung in der Schweiz führen. Denn in erster Linie profitieren Projekte, deren Planung sowieso weit fortgeschritten ist. Neue Anlagen dürften es weiterhin schwer haben. Wie also umgehen mit dem Widerstand gegen neue Projekte, die für das gesamte Land von Bedeutung wären? Dazu müssen zuerst einmal die Motive für den Widerstand besser verstanden werden. Oft werden lokale Gegner von Infrastrukturprojekten als Nimbys (Not in my backyard) bezeichnet. Gemeint sind damit Personen, die zwar nicht grundsätzlich gegen den Ausbau einer Infrastruktur sind, doch bitte nicht in ihrem Hinterhof. Ein Fachartikel definiert den Begriff als «der Gedanke, dass sich Bürger aus Eigennutz gegen neue Einrichtungen in ihrer Nachbarschaft wehren». Ein Beispiel: überall und jederzeit 5G-Empfang gerne, aber bitte keine Antenne in der Nähe des Wohnortes.

Rotorblatt-Transport für Windkraftanlage

Beängstigende Grösse: Rotorblatt einer Windkraftanlage auf einem Lastwagen in Deutschland. Gegen die Bedenken der Bevölkerung hilft nur ein fairer und transparenter partizipativer Prozess. (Wikimedia Commons)

Erstmals dokumentiert wurde das Akronym Nimby in einem Zeitungsartikel in Virginia im Juni 1980, damals ging es um den Bau von Lagerstätten für schwach strahlende Nuklearabfälle. Der Begriff beschreibt, was ein wohl schon seit Jahrhunderten beobachtbares Verhalten ist: So dürfte bereits im Mittelalter die Einrichtung öffentlich städtischer Bedürfnisanstalten kaum Freude bei den Nachbarn ausgelöst haben. Dies wohl nicht nur wegen der offensichtlichen Geruchsentwicklung, sondern auch aufgrund des Aberglaubens, wonach der Abtritt als verrufener Ort galt, bei Teufeln und Dämonen als Erscheinungsstätte beliebt.

Gemäss Fachliteratur ist der erste Schritt zur Überwindung einer Blockade oft, sich seitens Investor einzugestehen, dass der Ausdruck Nimby zu kurz greift. Denn die Begrifflichkeit suggeriert, dass beinahe jede Kritik als unberechtigt – da aus egoistischen Motiven erfolgend – abgetan werden kann. Nimby mutiert so zu einem Schimpfwort. Dabei müssen es nicht immer egoistische Motive sein, die zur Ablehnung eines Projektes führen. Oft fühlt sich die lokale Bevölkerung übergangen, da es versäumt wird, früh und proaktiv über ein geplantes Projekt zu informieren. Für die Akzeptanz ist es essenziell, zu begründen, weshalb das vorgeschlagene Projekt die aus fachlicher Optik als am besten geeignete Lösung angesehen wird. Alternativen müssen geprüft und aus nachvollziehbaren Gründen verworfen worden sein.

Die Bevölkerung enger in das Verfahren einbinden

Bereits viel Erfahrung im Umgang mit lokalem Widerstand hat die Nagra. Seit beinahe 50 Jahren sucht die Organisation in der Schweiz ein geeignetes Endlager von radioaktiven Abfällen. Nachdem der erste Plan eines Stollens im Wellenberg (NW) in den 90er Jahren scheiterte, änderte die Nagra ihr Vorgehen. In den sechs Gebieten, die als Endlagerstandorte in Frage kamen, wurden sogenannte Regionalkonferenzen gegründet. Das Ziel war, die Bevölkerung enger in das Verfahren einzubinden. Grundlage bildete der «Sachplan geologische Tiefenlager», ein verbindlicher und öffentlich gemachter Fahrplan.

Im September 2022 wurde der Standortentscheid kommuniziert, die Begründung für die Wahl von Nördlich-Lägern (ZH) war fachlicher Natur und wurde breit akzeptiert: «Die Geologie hat gesprochen.» Bereits ein Schritt weiter ist Finnland, die beiden KKW-Betreiber TVO und Fortum bauen gemeinsam auf der Halbinsel Olkiluoto das weltweit erste Endlager für radioaktive Abfälle. Auch sie banden die lokale Bevölkerung sehr früh ein und informierten z.B. über die geologischen Abklärungen. Dabei wurde darauf geachtet, keine technokratischen Informationen «von oben herab» zu verbreiten, sondern es wurde Wert darauf gelegt, auf die Ängste der Bevölkerung einzugehen. Dass Etablieren einer gemeinsamen Vertrauensbasis spielt eine zentrale Rolle für die Umsetzung umstrittener Projekte.

Doch nicht immer gelingt dies auf Anhieb. Denn es bedarf einigem Moderationsgeschick, vorgeschobene Gründe zu identifizieren, um an einer Lösung des wahren Problems zu arbeiten. So kann beispielsweise der vielzierte Vogelschlag durch Windturbinen ein Vorwand sein, denn objektiv betrachtet dürfte manche Katze im Quartier zu grösserer Verringerung der Fauna beitragen. Im Kern geht es allenfalls um den stroboskopischen Schattenwurf eines Windrades. Die Lösung könnte darin bestehen, bei direktem Sonnenlicht das Windrad abzuschalten, bis der Windrad-Schatten vom betroffenen Grundstück gewichen ist.

Abgeltung an den Erlösen des Investors orientieren

Eine andere oder zusätzliche Variante ist, Gemeinden oder der direkt betroffenen Bevölkerung eine Abgeltung anzubieten. Sie sollte aber nicht staatlich vorgeschrieben und wie beim Wasserzins de facto fix sein, sondern sie sollte zwischen den Standorteignern und den Investoren ausgehandelt werden. So könnte sich die Abgeltung beispielsweise am Gewinn oder den Markterlösen des Investors für diese Anlage orientieren. Je besser ein Standort geeignet ist, umso höher dürfte die Kompensationsbereitschaft des Investors sein. Weniger geeignete Standorte fallen so aus, da keine Abgeltung angeboten werden kann, ebenso Lokalitäten mit einer hohen Nutzungskonkurrenz (z.B. ein Windrad nahe einer bevorzugten Wohnlage), da die gestellte Kompensationsforderung einen ökonomischen Betrieb wohl verunmöglichen würde.

Anzustreben ist ein fachlich und rechtlich korrekter, fairer und transparenter, ergebnisoffener und öffentlicher partizipativer Prozess, der zuerst zu einer Verfahrens- und schliesslich zu einer Ergebnisakzeptanz führt. Eine Überblicksstudie empfiehlt einen Methodenkatalog mit dem Akronym Enuf: «Engage, never use nimby, understand, facilitate». Der Weg vom Nimby zum Yimby («Yes in my backyard») ist nicht einfach, es existiert kein Patentrezept, aber Ansätze dazu gibt es, man muss sie nur beherzigen wollen.