Die Gesundheit gilt vielen Menschen als höchstes Gut überhaupt. Die grosse Wertschätzung alleine scheint oft Grund genug zu sein, den freien Markt im Gesundheitswesen strikte abzulehnen. Dabei wäre es gerade aus ethischer Sicht vernünftig, mehr Wettbewerb zu fordern.
Das Schweizer Gesundheitssystem gilt als gut ausgebaut und qualitativ hochstehend. Kaum ein anderes Land verfügt über eine solch hohe Versorgungsdichte mit Gesundheitspersonal und -einrichtungen. Mindestens in einer aggregierten Betrachtung scheint sich das System zu bewähren: Im OECD-Vergleich weist die Schweiz hinter Japan die höchste durchschnittliche Lebenserwartung bei der Geburt auf. Gleiches gilt, wenn man die Lebenserwartung der 65-jährigen vergleicht. Doch gesundes und langes Leben haben ihren Preis. 2008 lag der Anteil des Gesundheitssektors am Schweizer Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei 10,7%, 1990 waren es lediglich 8,2% gewesen. Nur in den USA (16%), Frankreich (11,2%) und Belgien (11,1%) lag er 2008 höher.
Politischer Einfluss auf Angebot und Nachfrage
Diese zugegebenermassen etwas oberflächliche Analyse von Nutzen und Kosten könnte den Schluss zulassen, dass das Schweizer Gesundheitssystem zwar teuer ist, aber immerhin relativ gute Resultate liefert. Geht man davon aus, dass vielen Menschen die Gesundheit als höchstes Gut überhaupt gilt, sind mit dem Einkommen steigende Gesundheitsausgaben im Grunde weder überraschend noch negativ. Vielmehr spiegeln sie unter Marktbedingungen die individuelle Wertschätzung, den Wohlstand und die daher wachsende Zahlungsbereitschaft für die Gesundheit. Doch im Gesundheitswesen herrscht nur wenig Markt. Sowohl das Angebot als auch die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen werden vielmehr wesentlich vom Staat mitbestimmt. Während der Konsum durch einen Katalog von Versicherungsleistungen, regulierte Prämienmodelle und diverse Subventionen beeinflusst wird, sind Anzahl und Struktur von Leistungserbringern durch Instrumente wie Ärztestopp oder Spitallisten und damit faktisch durch die Politik determiniert. Vieles deutet darauf hin, dass die Höhe und das rasante Wachstum der Ausgaben nicht einzig Resultat des Bedürfnisses nach dem «superioren» Gut Gesundheit sind. Vielmehr bestehen Fehlanreize bei Konsumenten und Ineffizienzen auf Seiten der Leistungserbringung. Beides verursacht mehr Kosten als Nutzen.
Die Ineffizienz der Leistungserbringung ist nicht zuletzt das Resultat einer zweifelhaften Mehrfachrolle der Kantone. Im stationären Bereich agieren sie nicht nur als Eigner und Betreiber von Spitälern, sondern auch als Regulatoren bzw. Spitalplaner. Im Kontext vielfältiger politischer Interessen und fehlenden Wettbewerbs wird Gesundheitspolitik oft zur Regional-, Gewerbe- oder gar Arbeitsmarktpolitik. In der Schweiz schlägt sich dies in besonders fragmentierten und kleinteiligen Spitalstrukturen nieder. Die Kleinheit der Spitäler per se muss nicht negativ sein, solange sie effizient sind und ihre Qualität hoch ist. Häufig aber ist ihr Leistungsangebot zu breit, sind die Fallzahlen zu gering. Mit den heterogenen Spitalstrukturen gehen unterschiedliche Preis- und Leistungsniveaus einher. Tatsächlich weist eine – umstrittene – Pilotstudie des Bundesamtes für Gesundheit auf eine bedeutende Varianz der Spitalqualität hin. Parallel dazu zeigen auch Vergleiche der Fallkosten grosse Unterschiede zwischen Spitälern. Die Varianz und die Tatsache, dass hohe Kosten auch mit tiefer Qualität einhergehen können, sind eindeutige Hinweise auf Ineffizienz. In einem (freien) Markt könnten derart grosse Preis- und Leistungsunterschiede nicht nachhaltig bestehen. Vielmehr würde der Wettbewerb dafür sorgen, dass Anbieter nur dann höhere Preise verlangen können, wenn sie bessere Qualität bieten. Gäbe es bei den Spitälern einen funktionierenden Markt, würde dieser konsequente Strukturveränderungen anstossen. Auch die Patienten würden von einer solchen Entwicklung profitieren.
Warum Wettbewerb ethisch ist
Doch in weiten Teilen der Bevölkerung ist das Vertrauen in den Wettbewerb in diesem Bereich gering. Häufig werden moralische und ethische Argumente gegen eine Marktöffnung ins Feld geführt. Ungeachtet dessen scheint es einen Konsens darüber zu geben, dass das rasante Kostenwachstum im Gesundheitswesen gestoppt werden muss. Über die dazu nötigen Schritte herrscht freilich wenig Einigkeit. Aus ökonomischer Sicht gibt es sehr vereinfacht nur zwei Möglichkeiten: Entweder werden die Leistungen eingeschränkt (Rationierung) oder sie werden effizienter erbracht. Natürlich erscheint von diesen Alternativen die zweite attraktiver und vor allem ethisch vertretbarer. Die Erfahrung aber zeigt, dass sich Effizienz nicht einfach verordnen oder staatlich planen lässt. Wird der Wettbewerb nicht durch Informationsdefizite, Marktmacht und Eintrittsbarrieren verzerrt, ist er mit Sicherheit der effektivste Mechanismus zur Steigerung der Effizienz. Die neue Spitalfinanzierung, die angestossene Qualitätstransparenz sowie die erhöhte Patientenmobilität sind wohl Schritte in die richtige Richtung. Bis zu einem funktionierenden Wettbewerb im Gesundheitssektor ist es aber noch ein sehr weiter Weg.
Dieser Artikel erschien im Geschäftsbericht 2010 des Verbands Zürcher Krankenhäuser.