Seit mindestens 25 Jahren steht die Abschaffung der Eigenmietwertbesteuerung auf der politischen Matte. Gut möglich, dass diese Reform demnächst eine Mehrheit findet: Ende Mai hat die ständerätliche Kommission für Wirtschaft und Abgaben eine entsprechende Gesetzesvorlage verabschiedet. Doch bedeutet nicht, dass die Debatte inhaltlich weitergekommen wäre. Weiterhin beharren die Vertreter der Hauseigentümerschaft darauf, die Existenz des Eigenmietwertes in Frage zu stellen. Dies ist aus steuerökonomischer Sicht unverständlich. Alles, was die Fähigkeit zu konsumieren erhöht, wird zum Einkommen gezählt – so lautet das Grundprinzip unserer Einkommenssteuer. Wohneigentum erhöht die Fähigkeit zum Wohnkonsum, weshalb der Eigenmietwert zweifellos einen Einkommensbestandteil darstellt.
Der stete Hinweis auf die Nichtbesteuerung des «Eigenwagenwerts», des «Eigenjachtwerts» oder des «Eigenprivatjetwerts» ist nicht überzeugender. Diese Naturalleistungen sind aus rein praktischen Gründen steuerfrei: Ihr Anteil am Gesamtvermögen ist zu gering (und ihre laufende Bewertung zu umständlich), als dass sich das Steueramt auch noch darum kümmern müsste. Autos machen knapp 5% des Vermögens der privaten Haushalte aus. Sollen wir uns beklagen, dass der Fiskus für einmal die 80:20-Regel anwendet – nein, sogar die 95:5 Regel?
Verschuldungsanreize sind gar nicht so hoch
Dass der Eigenmietwert sehr wohl real ist, heisst aber noch nicht, dass es keine Gründe für einen Systemwechsel gäbe. Der Bericht des Bundesrates zum Gesetzesentwurf nennt als Hauptziel der Reform die Reduktion der Verschuldungsanreize. Damit wurde leider das falsche Ziel gewählt. Ein Steuersystem sollte möglichst neutral bezüglich der Finanzierungsentscheidung (Eigen- versus Fremdkapital) bleiben, mitnichten die Minimierung der Privatschulden anstreben. Zu viel Fremdkapital mag die Stabilität der Banken gefährden. Eine zu geringe Verschuldung erhöht allerdings die Anfälligkeit der Haushalte in Krisen, da sie dann einen noch grösseren Teil ihres Eigenkapitals in einem illiquiden und sperrigen Anlagevehikel namens «Eigenheim» halten.
Für das besagte Ausmass der Verschuldungsanreize, die vom gegenwärtigen System der Eigenheimbesteuerung ausgehen sollen, braucht es dringend solidere empirische Evidenz. Oft spricht man davon, dass die Hypothekarverschuldung in der Schweiz im internationalen Vergleich hoch sei – beispielsweise die Verschuldung relativ zum BIP. Diese Sicht überzeugt nicht: Seit 2003 ist die durchschnittliche Belehnung am Hypothekarmarkt um gut 10 Prozentpunkte zurückgegangen. Auch wenn man die Gesamtverschuldung der Haushalte (nicht nur mit Hypothekarkrediten) in Relation zu ihrem Gesamtvermögen (nicht nur Wohnimmobilien) setzt, ist keine Verschlechterung ersichtlich. Noch klarer wird das Bild, wenn man die Entwicklung der Zinslast betrachtet. Die Privathaushalte leisteten anfangs der 1990er Jahre noch Zinszahlungen in der Höhe von fast 10% des Nettonationaleinkommens: Ende 2019 lag der Wert bei nur 2%.
Ist das gegenwärtige System zu wenig ergiebig?
Gibt es bessere Gründe, die zu einem Systemwechsel animieren sollten? Ein häufig gehörtes Argument gegen die Eigenmietwertbesteuerung ist ihre geringe Ergiebigkeit, verbunden mit einem beträchtlichen administrativen Aufwand. Die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) rechnet, dass ein Systemwechsel ab einem Hypothekarzinsniveau von 3,5% (entspricht dem historischen Durchschnitt) aufkommensneutral wäre. Es ist allerdings nicht realistisch, ein langfristiges Szenario zu definieren, in dem nur die Hypothekarzinsen deutlich höher als heute liegen, nicht jedoch die (Eigen-)Mietzinsen. Sollte die Inflation (und damit auch die Nominalzinsen) wieder anziehen, wäre eine parallele Entwicklung der Eigenmieten wahrscheinlich. Daher sollten die Szenarien der ESTV auch die Mindereinnahmen miteinbeziehen, die ein Systemwechsel verursachen würde.
Relevant für die Folgenkostenabschätzung sind auch die Kantonsfinanzen. Auch hier ein politisches Unikum: In der Schweiz wird jahrelang über eine potenziell äusserst wichtige Steuerreform debattiert, ohne dass man über genaue Angaben zu den finanziellen Auswirkungen auf Bundes- und Kantonsebene verfügt. Die statische Betrachtung und die Fixierung auf die Privatschulden berücksichtigen zudem zu wenig den makroökonomischen Nutzen der Eigenmietwertbesteuerung als automatischer Stabilisator. Die Immobilienrechnungen der Haushalte – sprich, die Eigenmiete netto der Schuldzinsen und Abzüge – sind in Phasen guter Konjunktur eher positiv; in Krisenzeiten, wie beispielsweise in der ersten Hälfte der 1990er Jahre, eher negativ. Das heutige System verhält sich also antizyklisch und wirkt dämpfend auf die Konjunkturentwicklung.
Umverteilung von Jung zu Alt
Ein weiterer, plausiblerer Grund für die Abschaffung der Eigenmietwertbesteuerung betrifft seine Komplexität. Sie ist unbestritten hoch. Der diskutierte Vorschlag (Systemwechsel nur bei den Erstliegenschaften, jedoch nicht bei den Ferienwohnungen; begrenzter Abzug der Schuldzinsen) wäre aber genauso komplex und würde offensichtlich neue Anreize zur Steueroptimierung bieten. Hinzu kommt, dass die Steuerämter weiterhin Schätzungen der Immobilienwerte vornehmen müssten, etwa für die Erhebung der Vermögenssteuer.
Schliesslich bleibt noch die Frage der Verteilungswirkung. Wie summarische Analysen der ESTV gezeigt haben, ist die Eigenheimbesteuerung über weite Strecken der Einkommensverteilung progressiv. Sie belastet die älteren, vermögenderen Haushalte stärker als die jüngeren Familien, die ein Eigenheim kürzlich erworben haben. Erstere haben einen grossen Teil der Hypothek bereits amortisiert; sei es, weil sie ihre Schulden zurückbezahlt haben, oder weil ihre effektive Belehnung im Zuge steigender Immobilienpreise bei gleichbleibender Hypothekarschuld abgenommen hat. Würde man den Zinsabzug stark einschränken, müssten sich die jüngeren Familien noch länger gedulden, bevor sie in der Lage wären, ein Eigenheim zu erwerben. Der Systemwechsel würde eine einmalige Umverteilung von Jung zu Alt verursachen: Alteigentümer haben ein Leben lang vom Abzug der Hypothekarzinsen profitiert; nun würde sie durch den Wegfall der Eigenmietwertbesteuerung nochmals zu den Gewinnern zählen. Hier fehlt eine saubere Übergangslösung.
All diese Argumente hinterlassen einen schalen Eindruck: Obwohl die Reform der Wohneigentumsbesteuerung seit 25 Jahren von Kammer zu Kammer gezogen wurde, scheint der Moment für einen Systemwechsel doch nicht gekommen.