In Prinzip müssten sich kurz- und langfristig orientierte Aktionäre nicht in die Haare geraten. Halbwegs effiziente Aktienmärkte stellen sicher, dass Entscheidungen des Verwaltungsrates oder der Geschäftsleitung, die nicht im langfristigen Interesse der Gesellschaft liegen, bereits heute zu Kursverlusten führen. Damit sind sie auch nicht im Sinne der kurzfristig orientierten Aktionäre. Dennoch sei die Frage berechtigt, ob und wie die Anreize für eine dauerhaftere Bindung der Aktionäre an die Gesellschaft und für mehr Loyalität der Investoren verstärkt werden sollten.

ANzahl kotierte Aktien

Die Anzahl der an der Schweizer Börse (neu-)kotierten Unternehmen hat nach dem Platzen der Dotcom-Blase spürbar abgenommen.

Der Weg des «Going-private» und des damit verbundenen Abschieds von der Börse erscheint als zu radikal, auch wenn immer mehr Unternehmen ihn einschlagen. In den letzten zehn Jahren hat sowohl in den USA als auch in Europa die Zahl der börsenkotierten Unternehmen markant abgenommen (s. Abb.). Die Dekotierung mag für gewisse Gesellschaften durchaus eine Lösung darstellen, sie ist jedoch kein Allheilmittel, denn sie ist auch mit hohen volkswirtschaftlichen Kosten für unsere Gesellschaft verbunden. Ein Grossteil des Vermögens der institutionellen Anleger muss schliesslich in liquiden Titeln gehalten werden.

Im Buch «Ideen für die Schweiz» schlagen wir deshalb einen anderen Weg vor: die Schaffung einer neuen Klasse von Aktien, die loyale Aktionäre belohnt. In Anlehnung an das Treueprogramm eines Schweizer Grossverteilers nennen wir diese neue Aktienklasse «Kumulusaktie ». Ihr Prinzip ist bestechend einfach: Ein Aktionär, der den Titel während einer statutarisch festgelegten Mindestdauer hält, wird mit einer Treueprämie belohnt:

Positive Nebeneffekte

Diese Loyalitätsprämie besteht aus zusätzlichen Bezugsrechten oder einer erhöhten Dividende. Das Bezugsrecht berechtigt zum Kauf einer weiteren Aktie zu einem im Voraus festgelegten Preis. Es verfällt indessen wertlos, wenn die Kumulusaktie vor der festgelegten Mindesthaltedauer von beispielsweise zwei bis fünf Jahren veräussert wird. Das Kaufrecht ist umso wertvoller, je tiefer der festgelegte Ausübungspreis ist.

Verschiedene Varianten zur Festlegung dieses Ausübungspreises sind denkbar. Im einfachsten Fall entspricht der Ausübungspreis des Bezugsrechtes dem Aktienkurs am Tag des Erwerbs der Kumulusaktie. Möglich wäre aber auch, dass der Durchschnittskurs der Aktie während der Treueperiode als Ausgabepreis gewählt wird also dieser erst am Schluss der Treueperiode festgelegt wird. Damit wird gesichert, dass der Preis, zu dem der treue Investor die zusätzliche Aktie erwerben kann, nicht über dem gegenwärtigen Aktienkurs liegt. Dies würde den Aktionär belohnen, der eine Baissephase ausgestanden hat.

Ein positiver Nebeneffekt ist beiden Varianten gemeinsam: Das Bezugsrecht ist umso wertvoller, je höher die Volatilität des Aktienkurses ist. Die Loyalität der Aktionäre würde somit besonders dann belohnt, wenn sie der Gesellschaft am meisten nützt, also in unsicheren Zeiten. Als Ergänzung oder Alternative zur sog. «Wall Street Rule» hätten die Investoren einen Anreiz, das Schiff nicht bei der erstbesten Eventualität zu verlassen. Wer das Recht auf Mitbestimmung aktiv wahrnähme, würde belohnt.

Kosten auch berücksichtigen

Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass die Einführung einer neuen Aktienklasse ihrerseits potenzielle Govemanceprobleme auslösen kann. Wenn treue Aktionäre von ihrem Bezugsrecht Gebrauch machen, werden neue Aktien geschaffen. Dies führt zu einer Verwässerung der Ansprüche der übrigen Aktionäre. Die Verwässerung könnte mit Aktienrückkäufen kompensiert werden. Damit wird aber klar, dass die Belohnung der Treue eines strategischen Aktionärs nicht kostenlos erfolgt.

Vorsicht vor volkswirtschaftlichem Desaster

Auch dieses Beispiel zeigt, dass unerwartete Konsequenzen von Reformen im Bereich der Corporate Governance stets im Auge zu behalten sind. Eine gut gemeinte, aber schlecht durchdachte Reform kann schnell in einem volkswirtschaftlichen Desaster enden, mit Folgen wie der Abwanderungen von Unternehmen ins Ausland, Verlusten von Steuereinnahmen und verpassten Wachstumschancen. Auch dieser Vorschlag ist also vom Willen geprägt, das «Haus in Ordnung zu halten».

Ob und wann mehr Aktionärsdemokratie auch einen Mehrwert für die Aktionäre schafft, ist alles andere als klar. Immerhin gibt es vielversprechende Wege, Unternehmenswerte (im doppelten Sinn des Wortes) nachhaltig zu stärken.

Dieser Artikel erschien in der «Zürcher Wirtschaft», zusammen mit
 «Die Schweiz muss sich bewegen» und «Altlastentsorgung in der Raumplanung».