Schulen stehen vor der schwierigen Aufgabe, Kinder mit dem Wissen von heute auf eine Welt von morgen vorzubereiten. Im Grunde bedeutet Unterrichten immer das Lehren von Gewissheiten, die in der Vergangenheit Gültigkeit besassen. Einerseits bleibt ungewiss, inwiefern die Erkenntnisse aus der Vergangenheit auch in Zukunft noch ihre Richtigkeit haben werden. Treffend brachte es der Philosoph Karl Popper auf den Punkt: Theorien besitzen so lange Gültigkeit, bis sie widerlegt werden. Andererseits schaffen technischer Fortschritt und insbesondere auch der gesellschaftliche Wandel immer wieder neue Realitäten, die erlernte Fähigkeiten und Wissen ein Stück weit obsolet machen.

Es lohnt sich, drei Faktoren genauer anzuschauen, um die Arbeitswelt der Zukunft und somit die künftigen Anforderungen an die heutigen Kindergartenkinder fassen zu können. Erstens die Veränderung auf dem Arbeitsmarkt: Das Arbeitsangebot wird massgeblich durch die demografische Entwicklung (Geburten- und Sterberate) und durch die Migration bestimmt. Zweitens die Arbeitsformen, also die Art und Weise, wie gearbeitet wird: Innovative Kommunikationstechnologien aber auch moderne Lebensweisen schaffen neue Möglichkeiten und Bedürfnisse am Arbeitsplatz. Und drittens die Veränderung der nachgefragten Kompetenzen – sprich Fähigkeiten –, die auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft beherrscht werden müssen.

Wird uns die Arbeit ausgehen?

Der Arbeitsmarkt war schon immer im Umbruch. Während um 1870 mehr als 40% der Erwerbstätigen in der Forst- und Landwirtschaft arbeiteten, sind es heute weniger als 3% (Adler & Salvi, 2017). Trotz diesem massiven Rückgang an Erwerbstätigen im Primärsektor herrscht heute keine Massenarbeitslosigkeit, denn der Strukturwandel konnte erfolgreich bewältigt werden, indem neue Arbeitsplätze im Industriesektor und noch mehr im Dienstleistungssektor geschaffen wurden, wo heute die überwiegende Mehrheit der Beschäftigten tätig ist. Auch heute ist der Arbeitsmarkt dynamischer als gemeinhin wahrgenommen: Jedes Jahr gehen rund 15 % aller Arbeitsstellen verloren, während noch mehr neue geschaffen werden. Der Saldo war in den letzten Jahren stets positiv (Adler & Salvi, 2017).

Die Roboter sind hier, aber können den Menschen längst nicht in allen Facetten ersetzen. (Alex Knight, Unsplash)

In der Vergangenheit ist uns die Arbeit also nicht ausgegangen, und die Schweiz blieb dank ihrem liberalen Arbeitsmarkt und einem flexiblen Bildungssystem vor langanhaltender Massenarbeitslosigkeit verschont. Aber was, wenn die Digitalisierung doch anders wirkt? Kann das Bildungssystem auch weiterhin mit dem technischen Fortschritt mithalten?

Das Schweizer Bildungssystem besitzt zwei Stärken in diesem Rennen. Zum einen ist Bildung Sache der Kantone. Die dezentrale Organisation erlaubt es, auf regionale Besonderheiten einzugehen, indem das Bildungssystem auf die örtlichen Anforderungen zugeschnitten wird. Die Kantone fungieren zusätzlich als bildungspolitische Versuchslabore, in denen neue Konzepte getestet werden können, ohne dass bei einem Misserfolg das ganze System leiden müsste. Zum anderen hat die Schweizer Berufslehre relativ kurze Feedbackzyklen, sodass Informationen über Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt schnell in die Ausbildung einfliessen.

Zentral sind dabei die Organisationen der Arbeitswelt, die gemeinsam Bildungsinhalte der beruflichen Grundbildung und der Bildungsgänge an höheren Fachschulen festlegen. Zwei Drittel der Jugendlichen eines Jahrganges absolvieren eine Lehre. Sie stehen im Berufsleben und spüren Entwicklungen der Arbeitswelt umgehend. Sowohl der Föderalismus als auch die duale Ausbildung bieten in einer dynamischen Zeit somit grosse Vorteile für das Bildungssystem. Sie erlauben es, individuell und schnell auf Veränderungen zu reagieren.

Ortsungebunden und kollaborativ: Arbeitsformen der Zukunft

In Hinblick auf die Ausbildung spielt nicht nur das Stellenangebot eine Rolle, sondern auch, wie in Zukunft gearbeitet wird. Trotz neuer technologischer Möglichkeiten der Zusammenarbeit und der Integration der Frauen auf dem Arbeitsmarkt blieben die Arbeitsformen erstaunlich stabil. Über 60% der Schweizer Erwerbstätigen arbeiten Vollzeit und sogar über 90% sind in einer unbefristeten Anstellung (BFS, 2019). Zugenommen – aber auf nach wie vor niedrigem Niveau – hat die gleichzeitige Erwerbstätigkeit für mehrere Arbeitgeber, wobei Frauen viel häufiger solche Doppelmandate ausüben.

Die Digitalisierung hat in der Schweiz kein Prekariat geschaffen. Vielmehr haben sich die Arbeitsgewohnheiten verändert. Möchte man mit einem Blick in die Glaskugel erfahren, wie in Zukunft gearbeitet wird, so kann man sich am ehesten an der Kreativwirtschaft oder Wissenschaft orientieren. Im Vordergrund stehen ortsungebundene Projekte, die kollaborativ vorangetrieben werden. Nicht selten wird an verschiedenen Vorhaben gleichzeitig gearbeitet, für welche man Aufgaben selbst definiert und deshalb auch Autorenschaft übernehmen möchte. Kollaborativ zu arbeiten oder sich selbständig zu organisieren, werden künftig relevante Kompetenzen sein.

Was wir besser können als Maschinen

Maschinen beherrschen zwar viele Tätigkeiten besser als der Mensch. Menschen besitzen aber kreative Eigenschaften, die von Maschinen zurzeit schwer kopiert werden können. Menschen empfinden Empathie oder stellen sich schnell auf neue Situationen ein. Sie können sich in andere hineinversetzen, sie können deshalb motivieren und führen. Nicht-kognitive Fähigkeiten oder sogenannte «Soft skills» sind wichtige Unterscheidungsmerkmale gegenüber Maschinen und alles andere als «soft», weshalb Menschen den Maschinen noch lange überlegen sein werden. Auch wenn Maschinen schneller rechnen als Menschen, heisst dies nicht, dass in der Schule keine Mathematik mehr unterrichtet werden sollte – ganz im Gegenteil.

In einer digitalisierten Welt wird «Computational thinking», also die Fähigkeit, Problemstellungen zu definieren und Lösungsschritte zu zeichnen, sodass sie von Maschinen ausführbar sind, immer wichtiger. Im Lehrplan 21 wurden die Weichen hierfür mit dem Modul «Medien und Informatik» gestellt. Informatik muss deshalb als Wissenschaft des 21. Jahrhunderts ausreichend Platz in den Stundentafeln finden. Während Medienkompetenz hilft, sich in der Welt zu orientieren, heisst Informatik, sie zu verstehen.

Herausforderungen für das Bildungssystem

Die jüngere Vergangenheit zeigt: Dank der Weiterentwicklung des Bildungssystems konnte der steigenden Nachfrage nach höher qualifizierten Arbeitskräften Rechnung getragen werden. Während heute etwas weniger als ein Viertel der über 65-Jährigen über einen Tertiärabschluss verfügen, sind es bei den 25- bis 34-Jährigen über 50% (Ammann, 2019). Dabei ist der Abschluss an einer Hochschule keine Frage des Bildungsweges. Mit der Einführung der Berufsmaturität wurde die Durchlässigkeit gestärkt. Es gelingt also, einen Grossteil der Jugendlichen für die in der vergangenen Dekade gewachsene Nachfrage nach höheren Qualifikationen auszubilden.

Nach wie vor fehlen aber zahlreiche Absolventinnen und Absolventen aus dem Mint-Bereich auf dem Arbeitsmarkt. Die offenen Stellen müssen mit Arbeitskräften aus dem Ausland besetzt werden. Zunehmend stellt sich die Frage, auf welche Fachkräfte man im Inland zwingend angewiesen ist, wenn qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland nicht mehr rekrutiert werden könnten. Eine der grössten Herausforderungen bleibt die Demografie. Auch die Sozialversicherungen sind davon betroffen. Eine Erhöhung des Rentenalters ist eine logische Konsequenz. In der Folge werden wir länger Teil des Arbeitsmarktes und mit unterschiedlichen Anforderungen konfrontiert sein. Lebenslanges Lernen wird zur Grundvoraussetzung für Arbeitsmarktfähigkeit.

Die unbändige Neugierde aus dem Kindesalter muss daher nicht nur in der Schule gefördert, sondern auch im Alter kultiviert werden. Keineswegs gilt dies nur in Hinblick auf die Beschäftigungsfähigkeit, denn Lernen trägt zum allgemeinen Wohlbefinden bei.

Dieser Beitrag ist in der Fachzeitschrift «4 bis 8», Ausgabe 3/2020, des Schulverlags plus erschienen.