Die Bedrohung der offenen Gesellschaft kommt heute nicht mehr von Sozialismus oder Nationalsozialismus, sondern von neuen «Ismen». Dies stellte Gerhard Schwarz in einem Referat fest, das er zum Abschluss des Jahrestreffens der Mont Pelerin Society in der Prager Burg im September hielt. Zu diesen neuen Ismen gehören auch Autoritarismus, Demokratismus und Zentralismus:
Autoritarismus: Wohlstand ohne Mitsprache
Der Autoritarismus hat sich bisher noch nicht zu einer wirklichen Bedrohung für die Freiheit entwickelt, er könnte aber dazu werden. Gemeint ist mit Autoritarismus die da und dort zu beobachtende Tendenz, Wohlstand ohne politische Mitsprache als ein durchaus valables Konzept für die Ordnung einer Gesellschaft anzusehen. Der Verlockung der «autoritären Technokratie» (Buruma, 2005) erliegen weniger Intellektuelle als vielmehr Unternehmer und auch Politiker, die gelegentlich einige Sympathie für die vermeintliche Stabilität und Berechenbarkeit dieses Ordnungsmodells erkennen lassen, nicht nur in Ländern wie Singapur oder früher Chile, Südkorea und Taiwan, sondern neuerdings nicht zuletzt in der Volksrepublik China.
Das ist für die Freiheit durchaus gefährlich. Allerdings bin ich zugleich nach wie vor der Meinung, dass man den Ausgangspunkt nicht aus dem Auge verlieren darf. In Übergangsphasen, auch in längeren, kann eine autoritäre Technokratie sehr wohl die bessere Lösung sein als gar keine Bewegung Richtung mehr Markt und mehr Freiheit, und es kann auch die bessere Lösung sein als ein überstürzter Sprung ins kalte Wasser der Demokratie.
Demokratismus: Gegen individuelle Entscheide
Aber das Gegenteil des Autoritarismus ist mindestens so gefährlich. Ich halte die Demokratie – trotz aller berechtigten Kritik vieler Liberaler, nicht zuletzt auch von Hayek – als gelernter Schweizer sehr wohl für die am wenigsten schlechte Regierungsform. Aber die Demokratie gehört an den ihr zustehenden Platz, also dorthin, wo es darum geht, Entscheide zu treffen für Angelegenheiten, die alle angehen, wo es um veritable Kollektivgüter geht. Das scheint bei vielen vergessen zu gehen.
Ich denke dabei nicht nur an den Irrweg der Mitbestimmung in den deutschen Grossunternehmen. Wie oft hört man doch den Vorwurf, irgendwelche Vorgänge in der Wirtschaft seien undemokratisch und umgekehrt die Forderung, dieses oder jenes müsse demokratisch entschieden werden. Ein aktuelles Beispiel in der Schweiz ist die Diskussion über die Corporate Governance, die derzeit vermutlich eine Mehrheit der Bevölkerung lieber bis ins Detail gesetzlich regeln möchte, als sie den Aktionären, also den Eigentümern zu überlassen. Die Demokratie ist nur der liberalere Weg zur Entscheidfindung als die Diktatur oder die Monarchie, aber sie ist der weniger liberale Weg der Entscheidfindung als der individuelle Entscheid eines jeden Einzelnen. Deshalb sollte die Demokratie nur in der Politik ausgebaut werden, aber nicht in anderen Bereichen von Wirtschaft und Gesellschaft.
Zentralismus: Abschieben von Verantwortung
Neben dem Autoritarismus und Demokratismus bringt auch der Zentralismus eine Vorstellung über die politische Organisation der Gesellschaft zum Ausdruck. Er erlebte vor allem in der frühen Neuzeit unter dem Absolutismus eine Blütezeit, erfährt aber heute mit der europäischen Bewegung eine fast unglaubliche Renaissance. Vielleicht könnte man auch von Gigantismus sprechen. Die geplanten Rettungsmassnahmen für den Euro – etwa die Idee einer Bankenunion oder die Vergemeinschaftung von Schulden – führen dies eindrücklich vor Augen. Die Grundphilosophie ist immer die gleiche, sie ist sehr einfach, und sie ist fast immer falsch. Sie lautet: Man suche die Lösung (und die finanziellen Mittel) auf der nächsthöheren oder jedenfalls grösseren Ebene, in der Hoffnung, dass dann andere etwas von der eigenen Last übernehmen und man seine eigenen Hausaufgaben nicht wirklich machen muss.
Der Zentralismus ist das Gegenteil von Subsidiarität. Eng mit dem Zentralismus verwandt ist der Hang zur Harmonisierung. Unterschiede, die den Reichtum menschlichen Lebens und menschlicher Kultur ausmachen und die den Wettbewerb und die Innovation antreiben, etwa die verschiedenen Schulsysteme der Schweizer Kantone, sollen zunehmend eingeebnet werden. Hinter beiden Vorstellungswelten, der zentralistischen und der harmonistischen, steckt die Idee, man gewinne so mehr Effizienz und mehr Fairness im Sinne gleich langer Spiesse.
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