Man wähnt sich an einem Boxkampf. «Erste Runde an die SNB». «Wer knickt als erster ein?» «Die grosse Kraftprobe steht noch bevor.» So lauten einige Schlagzeilen in den Medien. Sie suggerieren, dass die Untergrenze der Schweizerischen Nationalbank (SNB) für den Franken/Euro-Kurs (Franken 1.20 pro Euro) früher oder später von den Märkten «getestet» wird und die Währungshüter dann mit massiven und wiederholten Interventionen in das Marktgeschehen eingreifen müssen.
Entscheidend ist die Glaubwürdigkeit
Das ist nicht sicher. Die Marktteilnehmer wissen, dass die SNB unbegrenzt Franken schaffen kann und den eisernen Willen hat, dies im Bedarfsfall zu tun. Ihre potenziellen Verluste sind entsprechend hoch. Die Hemmung, solche Verlustrisiken einzugehen, ist beträchtlich, auch wenn die zur Verfügung stehenden Mittel enorm sind. Auch Hedge Funds und andere Grossinvestoren nehmen aus Performance- und Reputationsgründen Risikoabwägungen vor.
Sollte es zu den durchaus denkbaren «Tests» durch die Märkte kommen, und gelänge es der SNB dann, die «Spekulanten» auflaufen zu lassen, hätten diese kaum mehr Anreize für Wiederholungen dieses Versuchs.
Wenn die SNB glaubwürdig und entschlossen wirkt, könnte sich zudem auf der Untergrenze von Franken 1.20 pro Euro in einem gewissen Ausmass eine neue Basis für Carry-Trade-Operationen bilden, weil faktisch gegenüber dem Euro kein Aufwertungspotenzial mehr besteht. Dies könnte relativ rasch zu der erhofften weiteren Abschwächung des Frankens beitragen. Dann würden auch die Stimmen verstummen, die der SNB direkt oder indirekt vorwerfen, mit ihrem Entscheid einen weltweiten Abwertungswettlauf ausgelöst zu haben.
Eine klug gewählte Untergrenze
Die Marktteilnehmer realisieren ausserdem, dass die Untergrenze bei 1.20 klug gewählt ist. Sie liegt nicht weit vom Niveau entfernt, das im August bereits einmal erreicht worden war. Sie befindet sich auf der Schwelle zum normalen Schwankungsbereich von rund 10 % beidseits der gängigen Kaufkraftparitätskurse. Das bedeutet aus fundamentaler Sicht Erholungspotenzial für den Euro. Deshalb wirkt die Untergrenze angesichts der anhaltenden Spannungen in der Politik und auf den Finanzmärkten glaubwürdiger, als wenn die SNB einen Kurs nahe bei oder gar über der Kaufkraftparität angestrebt hätte. Dann wäre wohl der Zwang zu massiven Devisenkäufen unausweichlich geworden. Die Wahl von 1.20 als Untergrenze macht deren Verteidigung chancenreicher. Die von der SNB angestrebte «deutliche und dauerhafte Abschwächung des Frankens» wird leichter erreichbar. Zugleich wird die SNB in die Lage versetzt, die Untergrenze unter günstigen Voraussetzungen anzuheben.
Zinsvorteil bleibt dank Stabilitätsbonus
Wird die Zinsentwicklung – konkret: eine Verringerung der Zinsdifferenz zwischen Franken und Euro – allem einen Strich durch die Rechnung machen? Aus zwei Gründen ist nicht mit einer Angleichung der Zinsniveaus zu rechnen. Erstens handelt es sich bei der temporären Festlegung einer Untergrenze nicht um eine formelle Anbindung des Frankens an den Euro, wie vor allem einige Kommentatoren in Deutschland glauben machen wollen, und zweitens bleiben der Stabilitätsbonus der Schweiz und der über Jahrzehnte erworbene Glanz der Schweizer Währung erhalten.
Eine gewisse Verflachung des Zinsunterschieds ist jedoch zu erwarten. Das wäre kein Drama; im Gegenteil. Wie wir im Diskussionspapier «Der harte Franken» geschrieben haben, hat der sogenannte Zinsbonus gerade in einem Umfeld extrem niedriger Zinsen auch seine Kehr- und Schattenseiten. Wir erwähnten Fehlallokationen der Produktionsfaktoren, das Risiko einer Überhitzung auf den Immobilienmärkten, langfristige Inflationsrisiken und nicht zuletzt tiefe nominale Zinserträge für Pensionskassen und Versicherungen, die auf angemessene Renditen angewiesen sind, um ihren Verpflichtungen nachkommen zu können. Zudem ist wenig wahrscheinlich, dass eine gewisse Einebnung des Zinsgefälles für sich allein neuen Aufwertungsdruck auf den Franken auslöst.