Seit 1990 hat sich der weltweite Handel mit Waren laut WTO-Zahlen auf ein jährliches Volumen von 16 Bio. $ (2015) verfünffacht. Die Erschliessung neuer Produktions- und Absatzmärkte liess das globale Bruttoinlandprodukt (BIP) um knapp 60% wachsen und hat den Lebensstandard für Millionen von Menschen erhöht.

Die jüngsten Zahlen der WTO lassen aber aufhorchen: Gegenüber dem Vorjahr ist der in US-Dollar gemessene Wert des globalen Handels 2015 um knapp 13% eingebrochen. Dies ist seit 1990 der zweitgrösste Rückgang, nur 2009 war er im Zuge der Finanzkrise mit -23% noch ausgeprägter. Das heutige Niveau hat sich wieder auf den Werten von 2008 eingependelt. Ein ähnliches Bild zeichnen die Frachtraten von Hapag-Lloyd, denn die Kosten für den Transport eines Standardcontainers (TEU) sind von 2014 auf 2015 um 14% gesunken. Auch die Prognosen wurden angepasst. Für 2016 erwartet die WTO ein globales Handelswachstum von 2,8%, auch dies ist eher wenig im Vergleich mit dem langjährigen Durchschnitt.

Konjunkturelle und strukturelle Gründe

Für diese Verlangsamung gibt es eine ganze Reihe von möglichen konjunkturellen und strukturellen Ursachen:

  • Ein stotternder Wirtschaftsmotor: Das Wachstum der Weltwirtschaft hat sich seit der Finanzkrise verlangsamt. Das globale BIP wuchs in den letzten Jahren jeweils nur knapp um 2%, während dieser Wert vor 2009 noch zwischen 2% und 4% lag.
  • Der Preiszerfall der Rohstoffe: Die Preise vieler Rohstoffe, die einen bedeutenden Anteil am Welthandel haben, sind in den letzten Jahren stark gesunken. Auch das hat einen dämpfenden Einfluss auf den in Geldeinheiten gemessenen Handel.
  • Der steigende Regulierungsaufwand: Die internationale Arbeitsteilung hat in einigen Branchen auch den Koordinationsaufwand erhöht. Das Management dieser globalen Wertschöpfungsketten und die Sicherstellung der Compliance für die verschiedenen Länder wirken kostentreibend.
  • Neue protektionistische Ströme: Die aufstrebenden BRIC-Staaten setzen vermehrt auf den Binnenmarkt und versuchen über nationale Regeln, den inländischen Wertschöpfungsanteil an den Produkten zu erhöhen. Ausländische Unternehmen sind in diesem neuen Umfeld vermehrt gezwungen, durch Direktinvestitionen lokal Fuss zu fassen – was sich negativ auf die Handelsstatistiken auswirkt.
  • Die Krise der WTO: Der multilaterale Ansatz der globalen Handelsliberalisierung ist im Kriechgang, die Doha-Runde der WTO stockt seit Jahren, während die Zahl der bilateralen oder plurilateralen Abkommen stark zugenommen hat. Bessere Handelsbedingungen werden oft nur noch auf einer regionalen Ebene geschaffen.

Wachstum der Aussenhandels mit Waren | Avenir Suisse

Zweifel an der Aussagekraft der Statistik

Neben diesen realwirtschaftlichen Entwicklungen liegt eine Ursache des Krebsgangs möglicherweise auch an der Art der Berechnung der Aussenhandelszahlen:

  • Vorleistungen werden günstiger: Warenhandel wird grundsätzlich auf Basis der Bruttoproduktionswerte gemessen. Damit sind aus dem Ausland bezogene Vorleistungen im Warenwert enthalten. Werden die aus dem Ausland bezogenen Komponenten günstiger und wird der Preisvorteil an den Endkunden weitergegeben, reduziert sich der Handelspreis: einmal bei der Erfassung der Importe eines Landes (Komponenten), ein weiteres Mal beim Export des fertigen Produktes. Die WTO rechnet erwartet weiterhin fallende Preise für viele international gehandelte Massenartikel.
  • Der Dollar ist nur noch eine Währung unter vielen: Bis vor wenigen Jahren fand der Grossteil des Welthandels in US-Dollar statt. Mittlerweile hat der Euro an Gewicht gewonnen, und der erst seit kurzer Zeit konvertible Renminbi befindet sich im Aufschwung. Da der globale Handel immer noch in US-Dollar gemessen wird, wirken sich Wechselkursveränderungen auf die Handelsstatistik aus: 2014 z.B. sank der Wert des Euro zum US-Dollar um rund 15%. Je mehr verschiedene Währungen im internationalen Handel zum Einsatz kommen, umso schwieriger werden die Rückschlüsse auf die realen Handelsströme.
  • Dienstleistungen sind schwieriger zu berechnen: Die WTO-Zahlen geben auch bei den Dienstleistungen eine Wachstumsverlangsamung an – und zwar von rund 8% vor der Finanzkrise auf rund 5%. Auch diese Zahlen sind vorsichtig zu interpretieren, denn die internationale Erbringung von Dienstleistungen wird durch die gängigen Statistiken nur indirekt abgeleitet oder geschätzt. Wie soll man messen, wenn Research-Aufträge an indische Dienstleister mittels Telefonaten und E-Mails vergeben werden? Wie wird digital erworbene Software von ausländischen Anbietern behandelt? Alle diese Tätigkeiten lassen sich im Gegensatz zu einem physischen Produkt schwer messen.

Unter Berücksichtigung der oben genannten Argumente ist es verfrüht, von einer abnehmenden Bedeutung des Welthandels zu sprechen. Die Bedeutung des internationalen Austausches von Waren, Dienstleistungen, Kapital, Personen und Ideen wird vermutlich unterschätzt – und mit ihr die positiven Auswirkungen offener, internationaler Märkte auf die inländische Beschäftigung, den Wohlstand und die Konsumenten. Auch deshalb ist den Stimmen, die einen Marschhalt der Handelsliberalisierung fordern oder gar für eine stärkere Abschottung eintreten, entschieden entgegenzutreten.