Der Aufwertungsdruck auf den Franken ist die Folge der Flucht vieler Anleger in die Sicherheit, und diese hat mehrere miteinander verbundene Ursachen: Es sind dies die immer wieder aufflackernde Finanzkrise, die Verschuldungskrise – nicht nur, aber vor allem in der Europäischen Währungsunion (EWU) – und die Erkenntnis, dass die Währungsunion mit schwer lösbaren und sich verschärfenden strukturellen und institutionellen Defiziten konfrontiert ist.
Die Überschuldung einzelner Mitglieder ist das sichtbarste, aber bei weitem nicht einzige Symptom dieser Defizite. Zurzeit ist die Aufmerksamkeit auf Griechenland gerichtet, aber im Hintergrund «lauert» schon das Schwergewicht Italien als weiterer Problemfall.
Wie lange die Schweizerische Nationalbank (SNB) in diesem Umfeld an der Untergrenze von Franken 1.20 für den Euro festhalten wird, hängt im Wesentlichen von der weiteren Entwicklung dieser Krisenherde ab.
Szenario 1: Ein Schrecken ohne Ende
Man kann in pessimistischer Sicht eine Akzentuierung der europäischen Krise mit einem langsamen Auseinanderbrechen der Europäische Währungsunion in ihrer heutigen Zusammensetzung, einer teilweisen Rückkehr zu nationalen Währungen, einer wachsenden Entfremdung innerhalb der EU und einer quälend langsamen, unentschlossenen und inkompetenten Reaktion der Politik auf solche Verwerfungen voraussehen.
Weil immer wieder Krisenherde zu bekämpfen wären, würden sich die Finanzmärkte in einem Zustand anhaltender Verunsicherung befinden. Die Risikoaversion bliebe hoch, und die Suche nach sicheren Häfen sowie der Druck auf den Franken würden nicht nachlassen. Der Zwang zur Verteidigung der Untergrenze könnte sich so über mehrere Jahre erstrecken.
Szenario 2: Befreiungsschlag
Man kann aber auch weniger pessimistische Annahmen treffen. In der Regel dauern Krisen nicht jahrelang; es kommt oft zu einer dramatischen Zuspitzung mit darauf folgendem Neustart. Vielleicht ist diese Zuspitzung gerade jetzt im Gang. Die Erkenntnis, dass die EWU in ihrer heutigen Zusammensetzung nicht lebensfähig ist, kann in die Vorbereitung von Schuldenrestrukturierungen und von geordneten Austritten aus dem Verbund münden. Das braucht nicht überhastet zu geschehen; es ist wichtig, dass die institutionellen Voraussetzungen klar definiert sind. Aber die Mitgliedsländer und die Marktteilnehmer müssen wissen, dass die Probleme auf nachhaltige und wirkungsvolle Weise angepackt werden – und die vorgeschlagenen Lösungen tragfähig sind.
Unter solchen Rahmenbedingungen könnte der Euro wieder erstarken. Dann erschiene eine Zeitspanne von etwa einem Jahr bis zur Rückkehr zu einem flexiblen Frankenkurs durchaus realistisch.