Wenn sich – wie von den Anhängern der «grossen Substitution» erwartet – künstliche und menschliche Intelligenz schrittweise angleichen, wären Maschinen in der Lage, selbst Maschinen zu entwerfen und diese zu koordinieren. Nach der Einschätzung der Zukunftsforscher würde dies eine Phase exponentiellen Wirtschaftswachstums einleiten, in der die menschliche Arbeit im Vergleich zum digitalen Kapital stark an Bedeutung verlöre. Der US-Ökonom William Nordhaus von der Yale University hat verschiedene Kriterien identifiziert, die aus Sicht der Wachstumstheorie eine Beschleunigung der Digitalisierung begleiten müssten:
- Hohes Produktivitätswachstum: Produktivität misst das Verhältnis von Wirtschaftsleistung zu den eingesetzten Ressourcen wie Arbeit und Kapital. Die Arbeitsproduktivität müsste im Fall einer beschleunigten Digitalisierung massiv steigen, sobald weniger menschliche Arbeit für die Produktion einer gegebenen Menge an Output erforderlich ist.
- Steigender Anteil des Kapitals am Gesamteinkommen: Der Anteil des Einkommens, das aus der Bereitstellung von Kapital entsteht, müsste zulasten der Löhne wachsen.
- Mehr Investitionen in IKT-Kapitalgüter: Der Anteil der Investitionen in IKT (Informations- und Kommunikationstechnologie) am Kapitalinput müsste bei einer beschleunigten Digitalisierung stark steigen, wie auch der Anteil des IKT-Kapitals am Gesamtkapital.
- Preis von IKT-Kapitalgütern: Der relative Preis von IKT-Kapitalgütern müsste stark fallen. Da der Anteil dieser Kapitalgüter am Gesamtkapitalstock (der andere Kapitalgüter wie Liegenschaften, Fahrzeuge, Ausrüstungen usw. umfasst) zunehmen dürfte, müsste die Preisentwicklung der Kapitalgüter entscheidend von den IKT-Preisen geprägt werden.
- Kapitalintensität: Der durchschnittlich pro Arbeitsplatz (oder pro Arbeitsstunde) zur Verfügung stehende Kapitalinput, die so genannte Kapitalintensität, müsste stark zunehmen.
- Löhne: Dank rascher Digitalisierung würde insgesamt mehr Wirtschaftsleistung generiert, die auf die Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital verteilt werden kann. Es ist deshalb nicht zu erwarten, dass Löhne absolut fallen, auch wenn die Bedeutung des IKT-Kapitals stark zunimmt. Unter plausiblen Annahmen für die Substitutionsbeziehung zwischen Arbeit und (IKT-) Kapital ist es sogar wahrscheinlich, dass im Falle einer beschleunigten Digitalisierung – und bei entsprechendem Wachstum – die Löhne stark steigen würden, wenn auch im geringeren Ausmass als die Kapitaleinkommen.
Sind diese Indizien in der Schweiz zu beobachten? In den Produktivitätszahlen sucht man die Spuren der Roboter vergebens – die «grosse Substitution» hat da nicht stattgefunden. Dieser Eindruck wird bestätigt, wenn man weitere volkswirtschaftliche Kennzahlen betrachtet. Die untenstehende Tabelle liefert einen summarischen Überblick über die Vorboten einer disruptiven Digitalisierung.
Zusammenfassend lässt sich Folgendes sagen: Bisher ist der Beitrag der Digitalisierung an die Verschiebung von Arbeits- zu Kapitaleinkommen gering. In der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ist auf jeden Fall von einer disruptiven Digitalisierung (noch?) wenig zu spüren.
Die Schweizer Wirtschaft hat seit 1995 stark in IKT investiert. Im Jahr 2013 machten IKT-Investitionen fast 4% des BIP aus – ein im internationalen Vergleich hoher Wert. Dennoch haben sich diese Investitionen, in der Schweiz wie anderswo, nicht in einer merklichen Zunahme der Produktivität ausgedrückt. Bescheiden war das Wachstum der Arbeits- als auch der Multifaktorproduktivität, vor allem im Vergleich mit früheren Perioden, wie beispielsweise der Nachkriegszeit (1950–1973). Eine digitale Disruption müsste indessen zwangsläufig mit einer starken Zunahme der Effizienz (und einer höheren Produktivität) einhergehen.
Ausserdem ist in der Schweiz kein Rückgang des Anteils der Löhne am Gesamteinkommen zu beobachten. Dieser Anteil ist seit 2008 sogar von 64,3% auf 68,2% gestiegen und ist somit leicht höher als vor dem ersten Boom des Internets Ende der 1990er Jahre. Das ist umso bemerkenswerter, als die Verschiebung zugunsten der Löhne in einer Phase steigender Immobilienpreise erfolgte. In anderen Ländern hat nämlich der Boom der Immobilienpreise zu einer Verschiebung in Richtung des Kapitals beigetragen.
Weitergehende Informationen finden Sie in der Publikation «Wenn die Roboter kommen – Den Arbeitsmarkt für die Digitalisierung vorbereiten».