Es gibt gute Gründe für eine griffige Raumplanung. Die Schweiz ist ein kleines, dichtbesiedeltes Land mit einer schwierigen Topographie. Im Mittelland drängen sich zwei Drittel der Einwohner auf einem Drittel der Landesfläche. Dort ist die Bevölkerungsdichte so hoch wie in den Niederlanden, dem dichtesten Flächenstaat Europas. Gleichzeitig wächst die Bevölkerung der Schweiz. Zwischen 1980 und 2010 stieg die Einwohnerzahl um 1,5 Millionen an und im Jahr 2013 um 100’000.
Es bedarf Regeln, die das damit verbundene Siedlungswachstum kanalisieren und Nutzungskonflikte auf knappem Raum (z.B. zwischen Landwirtschaft und Hochwasserschutz) minimieren. Eine geordnete Siedlungsentwicklung spart Infrastrukturkosten und schont die knapper werdende Landschaft. Traditionelle Natur- und Kulturlandschaften sind für die Schweiz identitätsprägend, ein wichtiger Faktor für die Lebensqualität und zentrales Kapital für die Tourismuswirtschaft.
Geplant wurde in der Vergangenheit jedoch halbherzig. Während sich die Stadtlandschaft Schweiz in funktionalen Räumen entwickelt (z.B. Agglomerationen), sind noch immer 26 Kantone und 2400 Gemeinden für die Raumplanung zuständig. Das eidgenössische Raumplanungsgesetz (RPG) von 1980 war wenig griffig und 2010 zeigte eine Avenir-Suisse-Studie, dass es von vielen Kantonen wenig konsequent umgesetzt wurde. Es gab massive Vollzugsdefizite, etwa bei der Bauzonendimensionierung.
Die bereits eingezonten und noch nicht überbauten Bauzonen sind gross genug, um 1 bis 2 Millionen zusätzliche Einwohner unterzubringen. Doch diese Reserven sind nicht nur viel grösser als nach Bundesrecht erlaubt. Sie liegen meist auch noch am falschen Ort: in peripheren, infrastrukturell schlecht erschlossenen Lagen und nicht nahe den Zentren, wo sie nachgefragt werden. Wenn man sie einfach «volllaufen» lässt, wird dies gigantische infrastrukturelle Folgekosten nach sich ziehen. Daher sind die fehlplatzierten Bauzonenreserven die grösste Altlast der schweizerischen Raumplanung.
Dieser Problemdruck wuchs über die Jahre und mit ihm der Unmut über Zersiedlung, exzessiven Zweitwohnungsbau im Berggebiet und verschandelte Ortsbilder. 2012 wurde die Zweitwohnungsinitiative vom Volk angenommen und 2013 die RPG-Revision, die verbindlichere Regeln zur Steuerung der Siedlungsentwicklung mit sich bringt. Gemeinsam mit dem 2012 verabschiedeten Raumkonzept Schweiz ist dies der grösste Reformschub in der Schweizer Raumplanung seit drei Jahrzehnten.
Nicht alles wird so strikt umgesetzt wie von den Gegnern befürchtet. Die Verordnung zur Umsetzung der Zweitwohnungsinitiative erlaubt grosszügige Umgehungstatbestände, etwa durch Umwandlung von Erst- in Zweitwohnungen. Die Umsetzung der RPG-Revision wird wohl nur in geringem Mass zur Rückzonung überdimensionierter Bauzonen führen, und nur wenige Kantone scheinen bereit, bei der Mehrwertabschöpfung für Neueinzonungen über den Mindestsatz von 20 Prozent hinauszugehen.
Es wird also keine Revolution in der Schweizer Raumplanung geben, aber wohl doch eine Zeitenwende. Nach den hitzigen Abstimmungsgefechten kommt nun die pragmatische Phase der Umsetzung. Dabei wird es viele Kompromisse geben, auch den einen oder anderen faulen. Aber entscheidend ist: die Stimmung hat sich gewandelt. Viele Gemeinden und Kantone sind bereit, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und ihre Orts- und Richtplanung griffiger auszugestalten.
Überall im Lande wird nachverdichtet, die Siedlungs- und Verkehrsentwicklung effektiver koordiniert, der Flächenverbrauch reduziert. Auch dank der erfolgreichen Agglomerationsprogramme des Bundes mit ihren finanziellen Anreizen haben Gemeinden und Kantone erkannt, dass sie die räumliche Entwicklung innerhalb von funktionalen Räumen besser abstimmen müssen. Durch neue Regional- und Agglomerationspärke werden Landschaften in Wert gesetzt und für die Bevölkerung nutzbar gemacht. Durch diese und andere raumplanerische Massnahmen sollte es gelingen, auch in einer 9-Millionen-Schweiz, die sich bis spätestens 2030 abzeichnet, wirtschaftliche Entwicklung, effektive Infrastrukturversorgung und landschaftliche Qualitäten miteinander zu vereinbaren.
Dieser Artikel erschien im «Schweizer Monat» vom Oktober 2014.